Der Landeschef der sächsischen CDU und Ministerpräsident über die Schwäche der Union im Bund, die Stärke der AfD in Sachsen und „Wählertäuschung“ beim Braunkohleausstieg.
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer
Das CDU-Präsidiumsmitglied wirft den Grünen Wählertäuschung beim Kohleausstieg vor und fordert von seiner Partei vollen Einsatz beim Wahlkampfendspurt.
Bild: dpa
Berlin Rund drei Wochen vor der Bundestagswahl ist die Union in einer Umfrage auf unter 20 Prozent gefallen. Angesichts der schlechten Werte hat der sächsische CDU-Chef und Ministerpräsident des Freistaates, Michael Kretschmer, seine Partei zu einem kämpferischen Wahlkampfendspurt aufgerufen. „Wir müssen die letzten drei Wochen vor der Wahl dazu nutzen, die Unterschiede zwischen einem linken und einem bürgerlichen Bündnis herauszustellen“, sagte Kretschmer im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Der CDU-Politiker rief die Union zu Geschlossenheit auf. „Wir haben Fehler gemacht, das ist das eine.“ Darüber werde man nach dem 26. September reden „und auch Konsequenzen ziehen, das ist gar keine Frage“.
Nun gehe es aber zunächst um den Wahlkampf und die Unterschiede zu anderen Parteien. „Wollen wir Steuern erhöhen oder senken? Wollen wir große Herausforderungen wie die Energiewende mit staatlichen Verboten oder mit Wettbewerb und Innovationen bewältigen? Wollen wir uns mit Gendersternchen nerven oder mutig die großen Herausforderungen angehen?“
Der 45-jährige Görlitzer kämpft aber nicht nur gegen den schlechten Bundestrend der Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet, sondern auch gegen eine starke AfD im Osten. Sie dürfte bei der Bundestagswahl die überwiegende Zahl der Direktmandate gewinnen, vor allem auch in den Braunkohlegebieten.
Herr Kretschmer, graut Ihnen vor dem Wahlabend?
Nein.
Ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet empfiehlt, gar nicht mehr auf die Umfragen zu schauen. Folgen Sie der Empfehlung?
Wir müssen die letzten drei Wochen vor der Wahl dazu nutzen, die Unterschiede zwischen einem linken und einem bürgerlichen Bündnis herauszustellen. Wollen wir Steuern erhöhen oder senken? Wollen wir große Herausforderungen wie die Energiewende mit staatlichen Verboten oder mit Wettbewerb und Innovationen bewältigen? Wollen wir uns mit Gendersternchen nerven oder mutig die großen Herausforderungen angehen?
Diese Angstmacherei vor einer linken Regierung scheint aber nicht zu verfangen.
Es geht nicht um Angstmacherei. Wir wollen die Wahl mit einem Zukunftsversprechen gewinnen, mit einem Plan für die nächsten zehn Jahre. Sachsen ist auch nur ein führendes Ökosystem für Mikroelektronik geworden, weil frühere CDU-Regierungen weitsichtig entschieden haben. Wir dürfen nicht nur darüber reden, wie wir Wohlstand verbrauchen, sondern wie wir ihn schaffen.
In Sachsen liegt die AfD sogar vor der CDU. Wie erklären Sie sich das?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Dazu gehören auch Fehler der Union in den vergangenen Monaten, keine Frage.
Die AfD wird sogar – Stand heute - enorm viele Direktmandate in Sachsen gewinnen, mehr noch als 2017. Damals mussten Sie sich sogar geschlagen geben.
Sie sprechen da einen wichtigen Punkt an: Direktkandidaten sind die Vertreter eines Wahlkreises in Berlin. Sollen diese wichtige Funktion Vertreter einer Protestpartei übernehmen – oder Macher, die etwas bewegen? Diese Frage hat ganz große Auswirkungen auf das, was vor Ort möglich ist, sei es im Bereich des Sports, der Wirtschaft, der Verkehrsprojekte und so weiter.
Die Wähler in Sachsen scheint das nicht zu scheuen. Reicht der Hinweis auf eine Protestpartei, die nicht gestalten will?
Wir sind in Sachsen sehr aktiv und reden mit den Menschen. Es ist Fakt, dass bei der Wahl dieser Kandidaten am Schluss der Ansprechpartner vor Ort fehlt, der etwas bewegen kann. Die Situation ist wirklich gefährlich. Wir brauchen als Freistaat Sachsen Verbündete in Berlin: Wenn es darum geht, den Kohleausstieg ordentlich zu organisieren, die Infrastruktur auszubauen oder Wirtschaftsstandorte zu stärken.
Der Freistaat Sachsen war einst eine Hochburg der CDU, der Freistaat Bayern eine der CSU. Beide Länder sind mittlerweile für die Union kein Garant mehr für viele Wählerstimmen. Woran liegt das?
Wir haben Fehler gemacht, das ist das eine. Darüber werden wir nach dem 26. September reden und auch Konsequenzen ziehen, das ist gar keine Frage. Jetzt geht es aber im Wahlkampf darum, die Unterschiede deutlich zu machen. Wir halten Steuererhöhungen für Gift, wir wollen die Wirtschaft mit marktwirtschaftlichen Instrumenten und Innovationen voranbringen und beim Thema innere Sicherheit klare Kante zeigen.
Reicht das aus, um den Trend zu brechen, wie CSU-Chef Markus Söder sagt?
Es ist eine freie Wahl, bei der wir durch Debatten überzeugen wollen. Wir haben ein gutes Angebot: Es geht darum, den Menschen wieder mehr Freiräume zu geben, statt immer mehr zu regulieren. Wir stehen für eine freiheitliche bürgerliche Politik.
Hat die Union im Wahlkampf ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie ihre Kernthemen in den vergangenen Jahren zu sehr vernachlässigt hat?
Es ist sicherlich so, dass vieles nicht möglich war, weil wir mit der SPD einen Koalitionspartner hatten, der gebremst hat. Deshalb muss man sich nicht grämen: Deutschland, auch als ein Eckpfeiler Europas, braucht eine handlungsfähige Regierung. Und da muss man Kompromisse eingehen. Gewisse Dinge wie eine Steuerreform gehen dann nicht. Nun werden die Karten bei der Bundestagswahl neu gemischt.
Olaf Scholz verspricht den Deutschen, dass sich nicht viel ändert und sie mit ihm so beruhigt sein dürfen wie mit Angela Merkel.
Ich wundere mich, wie in diesem Wahlkampf Fehler einzelner Personen genüsslich seziert werden, während die Inhalte keine Rolle spielen. Das birgt die Gefahr, dass niemand weiß, wer wofür steht, was wiederum in den nächsten Jahren für großen Frust sorgen dürfte.
Dann reden wir doch über den Kohleausstieg, der Ihr Land besonders betrifft. Armin Laschet hält am Ausstiegsdatum 2038 fest, sein für Klimafragen zuständige Vertreter in seinem Zukunftsteam, Andreas Jung, rechnet mit einem Ende vor dem Jahr 2035. Was gilt denn nun?
Armin Laschet stützt sich auf den Kohlekompromiss, der mühsam überparteilich geschmiedet wurde, um Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Das war eine enorme Leistung. Und nun kommen die Grünen und verunsichern die Menschen, indem sie schon 2030 aussteigen wollen. Das ist Wählertäuschung. Für das Klima macht es kaum einen Unterschied, denn die meisten Kohlekraftwerke werden ohnehin in den 20er-Jahren abgeschaltet und nicht zwischen 2030 und 2038. Für die Lausitz aber, die sehr von der Braunkohle abhängt, macht es einen großen Unterschied.
Andreas Jung ist aber nicht bei den Grünen, sondern CDU-Mitglied.
Andreas Jung steht zum Kompromiss der Kohlekommission. Danach werden wir in den 30er-Jahren darüber reden, ob ein früherer Ausstieg möglich ist – wenn der Strukturwandel vorher den Menschen eine gute Zukunft ohne die Braunkohle bietet und die Versorgungssicherheit im Land gewährleistet ist. Wir als Union sind vertragstreu und halten uns an den Kompromiss. Die Grünen leisten dem Land einen Bärendienst mit der Art, wie sie jetzt Stimmung machen. Hier wird eine ganze Region, die sich auf einen Kompromiss verlässt, einfach geopfert. Wer so etwas tut, der tut es auch bei nächster Gelegenheit: bei der Mobilität, der Industrie, der Landwirtschaft – koste es, was es wolle.
Was kostet der Klimaschutz die Bürger? Der Verkehrssektor wird die Klimaziele deutlich verfehlen. Eigentlich bleibt da nur die Möglichkeit, den CO2-Preis zu erhöhen. Wird Benzin deutlich teurer?
Es muss alles Maß und Mitte haben. Wir sehen jetzt eine größere Akzeptanz von Elektroautos, das ist erfreulich. Aber wir dürfen den Verbrenner nicht opfern. Durch synthetische Kraftstoffe werden neue Möglichkeiten entstehen. Zudem müssen wir beachten, dass die Menschen auf dem Land dringend auf das Auto angewiesen sind. Und nicht jeder kann sich alle paar Jahre ein neues Auto leisten. Das müssen wir berücksichtigen.
Sie haben die Steuerpolitik schon angesprochen. Wird die Union in der kommenden Legislaturperiode auf jeden Fall eine Steuerreform anpacken?
Unser Versprechen ist klar: Wir werden die Steuern nicht erhöhen. Wer über Steuersenkungen redet, kommt aber sehr schnell ins kurze Gras. Wegen der Corona-Pandemie mussten wir mehr als 400 Milliarden Euro neue Schulden machen, die zurückgezahlt werden müssen. Gleichzeitig wollen wir massiv in die Zukunft investieren. Bei den Zukunftsthemen dürfen wir nicht kleckern, sondern müssen klotzen: bei Quantencomputern, Mikroelektronik, Wasserstoff, in der Medizintechnik. Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluss von Steuererhöhungen ein sehr großes Versprechen.
Aber auch in der Union versprechen einige Steuersenkungen.
Wir sollten wie nach der Finanzkrise vorgehen. Damals hatten wir auch eine Haushaltsnotlage. Wir haben durch kluge Wirtschaftspolitik für einen Aufschwung gesorgt. Und so waren wir in der Lage, Entlastungen umzusetzen. Das sollte nun auch der Plan sein: uns Spielräume erarbeiten, die wir dann für Steuersenkungen nutzen. Zunächst geht es jetzt aber um den Verzicht auf neue Belastungen. Gleichzeitig müssen wir kräftig investieren.
Aufgrund des Investitionsbedarfs stellen auch in der Union einige die Schuldenbremse infrage. Wird sie die kommende Legislaturperiode überleben?
Politik lebt von Verlässlichkeit. Die Schuldenbremse ist ein Segen für die junge Generation. Wir haben oft genug gesehen, dass die Politik zu schnell bereit ist, Probleme der Gegenwart auf Kosten der Zukunft zu lösen.
Die Union fordert die SPD auf, ein Bündnis mit der Linken auszuschließen. Die FDP soll sagen, ob sie sich an einer Ampelkoalition beteiligt. Wie sieht es denn mit der Union selbst aus? Zu welchen Koalitionen ist sie bereit?
Die Union schließt ein Bündnis mit der Linkspartei aus, und sie schließt es mit der AfD aus. Und das aus verschiedenen Gründen. Das eine ist eine zunehmend rechtsextreme Gruppierung. Das andere ist eine Partei, die Grundwerte der Union wie Marktwirtschaft oder Nato-Mitgliedschaft ablehnt. Die Union ist also ganz klar positioniert. Wenn die SPD ein Bündnis mit der Linken nicht ausschließen will, ist es auch in Ordnung. Dann weiß jeder, woran er ist.
Würde die Union auch in eine Deutschland-Koalition oder ein Kenia-Bündnis unter Führung der SPD eintreten?
Ich möchte nicht über Eventualitäten spekulieren. Fakt ist: Nach der Weimarer Republik haben wir gesehen, was passiert, wenn die vernünftigen demokratischen Parteien nicht koalitionsfähig sind. Nun stehen wir aber erst einmal vor der Wahl und werben für uns und unsere Konzepte. Mit dem Wahlergebnis werden dann die Verantwortlichen eine Koalition schmieden. Das wird auch gelingen.
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