Trotz des Coronachaos vermeldet China ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent. Einige Experten zweifeln aber an den Daten – und viele strukturelle Probleme bleiben.
Peking Chinas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr trotz wiederkehrender Lockdowns und chaotischer Öffnung offiziellen Angaben zufolge um drei Prozent gewachsen. Diese vorläufige Schätzung veröffentlichte die staatliche Statistikbehörde am Dienstag. Das Wachstum insbesondere im vierten Quartal fällt höher aus als erwartet. Einige Experten zweifeln daher an den Daten.
Das von der Staatsführung ausgegebene Ziel von rund 5,5 Prozent wurde erwartungsgemäß deutlich verfehlt. Es ist der zweitniedrigste Wert seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Ende der 1970er-Jahre. Im ersten Pandemiejahr 2020 war Chinas Wirtschaft um 2,2 Prozent gewachsen, 2021 hatte sie sich mit einem Plus von 8,4 Prozent stark erholt.
Für das laufende Jahr rechnen die meisten Experten damit, dass die chinesische Wirtschaft wieder erstarken wird. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, wie stark die Erholung ausfällt und wie schnell sie sein wird.
Der Chef der Statistikbehörde, Kang Yi, gestand ein, dass die Grundlage für einen Aufschwung „noch nicht stabil“ sei. Er verwies auf die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote betrug im Dezember 5,5 Prozent. Von den 16- bis 24-Jährigen waren 16,7 Prozent ohne Job.
Allianz-Chefvolkswirt Ludovic Subran erwartet noch „schwierige Wintermonate“, bevor es ab dem zweiten Quartal wieder aufwärtsgehe. Chinas Wirtschaft stehe zu Jahresbeginn noch auf „sehr wackeligen Beinen“. Entscheidend sei dabei nicht nur die Entwicklung im Land selbst, sondern auch die globale Nachfrage. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bleibe der Immobiliensektor, der Schätzungen zufolge direkt und indirekt bis zu ein Drittel zur Wirtschaftsleistung beiträgt.
Ein anderer wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung sind die Auswirkungen der Coronapandemie. Am 7. Dezember hatte Chinas Staatsführung überraschend zahlreiche Restriktionen der fast drei Jahre lang geltenden strikten Null-Covid-Politik abgeschafft. In der Folge stiegen die Coronainfektionen im bevölkerungsreichsten Land der Welt rasant.
Inzwischen sollen rund 900 Millionen Chinesen mit Corona infiziert gewesen sein, schätzten Forscher der Universität Peking Mitte Januar. Das entspricht rund 64 Prozent der Bevölkerung. Offiziellen Angaben zufolge sind seit der Lockerung im Dezember mehr als 60.000 Chinesen in Krankenhäusern an oder mit Corona gestorben. Der britische Datenverarbeiter Airfinity schätzt die Gesamtzahl der Todesopfer auf 350.000.
Krankenschwester in China
Die jüngste Corona-Welle im Land forderte zahlreiche Todesopfer.
Bild: AP
Die Coronawelle legte Chinas Wirtschaft im Dezember zeitweise lahm. Am stärksten betroffen waren der Handel, die Dienstleistungsbranche und der Exportsektor, deren Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schrumpften. Die Industrieproduktion legte hingegen leicht zu.
In den Monaten zuvor hatte die sich schnell verbreitende Omikron-Variante zu ständig wiederkehrenden Lockdowns geführt, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zunehmend wirtschaftlich strangulierten. Die Krise auf dem Immobilienmarkt spitzte sich zu. Hinzu kamen die globalen Auswirkungen des Ukrainekriegs.
Experten des Analysehauses China Beige Book gehen deshalb davon aus, dass Chinas Wirtschaft im vierten Quartal geschrumpft ist – statt des offiziell verlautbarten Wachstums von 2,9 Prozent.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, nannte Chinas Abkehr von der Null-Covid-Politik jüngst den wahrscheinlich wichtigsten Faktor für das globale Wachstum 2023. Ab etwa Mitte des Jahres könnte China einen positiven Beitrag zur Weltwirtschaft leisten, glaubt sie.
Der IWF rechnet damit, dass China 2023 um 4,4 Prozent wachsen könnte. Experten der französischen Investmentbank Natixis betonten, Zeitpunkt und Geschwindigkeit des Aufschwungs hingen dabei maßgeblich von politischen Stützungsmaßnahmen und Investitionen sowie der Entwicklung des Verbrauchervertrauens ab.
Mit Spannung erwarten Chinabeobachter, ob die chinesische Staatsführung angesichts der Krise an ihrem Mantra eines nachhaltigeren, konsumgetriebenen Aufschwungs festhält oder ob sie mittels kreditfinanzierter Investitionen versucht, das Wachstum kurzfristig zu pushen. Auf der jährlichen „Zentralen Wirtschaftskonferenz“ im Dezember betonte die Staatsführung, dass die Priorität für 2023 in der Ausweitung des Binnenkonsums liege.
Entscheidend dafür ist, ob die Konsumenten wieder Vertrauen in eine stabile wirtschaftliche Entwicklung fassen. Chinas Haushalte haben im vergangenen Jahr ihr Geld zusammengehalten. Sie legten umgerechnet rund 2,4 Billionen Euro mehr zurück als im Vorjahr, wie aus einer Analyse der chinesischen Zentralbank hervorgeht.
Geschäfte in Peking
Die Konsumenten haben sich in den vergangenen Jahren zurückgehalten.
Bild: Reuters
Die überschüssigen Ersparnisse werden „wahrscheinlich“ in den kommenden Monaten ausgegeben, glaubt Wang Tao, China-Chefvolkswirtin der Schweizer Bank UBS. Allerdings könnten weitere Coronawellen die Konsumlaune beeinträchtigen.
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Auch Iris Pang, China-Chefvolkswirtin der niederländischen Bank ING, rechnet im ersten Quartal mit einem „sprunghaften Anstieg“ bei den Handelsumsätzen. Einer Umfrage der chinesischen Zentralbank von Ende Dezember nach sind Chinas Konsumenten derzeit allerdings noch vorsichtig. Nur 22,8 Prozent der Befragten gaben an, in Zukunft mehr zu konsumieren. Mehr als 60 Prozent wollen weiter sparen.
Experten gehen davon aus, dass eine nachhaltige Erholung des Konsums maßgeblich von der Entwicklung des Immobiliensektors abhängt. Aufgrund fehlender alternativer Anlagemöglichkeiten stecken schätzungsweise rund drei Viertel des Vermögens privater Haushalte in Immobilien.
Bereits im November verabschiedeten die Behörden 16 Maßnahmen, um den Immobiliensektor zu stützen. So sollen Bauträger mit Krediten gestützt werden, damit sie Immobilienprojekte fertigstellen können. 2020 hatte die Staatsführung die Kreditvergabe an hochverschuldete Immobiliengesellschaften eingeschränkt, um eine Spekulationsblase zu verhindern.
Viele Immobilienentwickler waren dadurch in Finanznot geraten, Bauprojekte stoppten. Die zweitgrößte Immobiliengesellschaft Chinas, Evergrande, wurde zahlungsunfähig. Ob die nun ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um den Markt zu stabilisieren und vor allem die Nachfrage nach Immobilien wieder anzukurbeln, ist fraglich. Im Dezember sanken die Preise für neue Wohnungen in den 70 größten Städten weiter.
Baustelle in Schanghai
Der Immobiliensektor ist ein wichtiger Bestandteil der chinesische Wirtschaft.
Bild: dpa
Ebenfalls eingetrübt haben sich die Aussichten für den wichtigen Exportsektor. Das Chaos, das auf das unerwartete Ende der Null-Covid-Politik folgte, habe die Probleme dort „weiter verschärft“, warnt UBS-Ökonomin Wang. Im kommenden Jahr könnten Chinas Ausfuhren sogar um vier Prozent schrumpfen, prognostiziert sie.
Auch Lu Ting, China-Chefvolkswirt der japanischen Investmentbank Nomura, erwartet, dass unter anderem die Abkühlung der Weltwirtschaft den Exportsektor „wahrscheinlich bis weit in das Jahr 2023 hinein belasten“ wird. Warenexporte machen gemessen an der Wertschöpfung rund 14 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts aus.
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Angesichts der schlechten Aussichten im Exportsektor, einer voraussichtlich nur moderaten Erholung des Konsums sowie des angeschlagenen Immobiliensektors rechnet Lu damit, dass die Staatsführung die Wirtschaft weiter stützen wird. Bislang allerdings waren die Konjunkturmaßnahmen relativ zurückhaltend.
Bei Chinas Technologiekonzernen wächst die Hoffnung, dass der strenge Griff der Regulierer etwas gelockert wird. Jüngst hatten hochrangige Vertreter der Kommunistischen Partei unter anderem das Hauptquartier des Onlinegroßhändlers Alibaba besucht. Beim 2021 in Ungnade gefallenen Taxidienstleister Didi dürfen sich seit Montag wieder neue Kunden registrieren, zum ersten Mal seit knapp eineinhalb Jahren.
Doch selbst wenn es Chinas Staatsführung gelingt, die chinesische Wirtschaft 2023 nach dem Coronaeinbruch zu stabilisieren, bleiben die strukturellen Probleme ungelöst. Dazu zählen die starke Abhängigkeit von (staatlichen) Investitionen sowie die schnell alternde Gesellschaft. Schon lange warnen Experten, China werde alt, bevor es reich werde.
Erstmals seit der durch Mao Zedongs fehlgeschlagene Industrialisierungskampagne „Großer Sprung nach vorn“ ausgelösten Hungerskatastrophe schrumpft Chinas Bevölkerung. Ende Dezember lebten 1,412 Milliarden Menschen in China, wie die Statistikbehörde ebenfalls am Dienstag bekannt gab. Es sind rund 850.000 Menschen weniger als im Jahr zuvor.
Die große Herausforderung ist dabei, mit einer schrumpfenden Arbeitsbevölkerung ein stetig steigendes Wirtschaftswachstum zu erzielen. Der wachsende Wohlstand ist die wichtigste Legitimation für die seit 1949 herrschende Kommunistische Partei.
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