PremiumDie deutsche Wirtschaft ist in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen geschrumpft, die Erwartungen sind kaum besser. Das sind die vier Ursachen der neuen Rezession.
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Die Bundesregierung prognostizierte in ihrer jüngsten Konjunkturprojektion für 2023 noch ein Miniwachstum von 0,4 Prozent.
Bild: dpa
Berlin Die deutsche Wirtschaft ist im Winter in eine Rezession gerutscht. Von Januar bis März ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorquartal um 0,3 Prozent geschrumpft. Das gab das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekannt.
Nachdem die Wirtschaftsleistung bereits im vierten Quartal 2022 um 0,5 Prozent zurückgegangen war, sind nun die Kriterien für eine technische Rezession erfüllt. Davon sprechen Ökonominnen und Ökonomen bei zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit abnehmender Wirtschaftsleistung. Ausschlaggebend waren vor allem die hohe Inflation und der dadurch rückläufige private Konsum.
Die Aussichten trüben sich weiter ein. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im Mai nach sechs Monaten wieder gefallen. Es könne leicht passieren, „dass wir im Gesamtjahr unter die Nullgrenze rutschen“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Die Bundesregierung hatte zuletzt noch ein kleines Wachstum von 0,4 Prozent für 2023 prognostiziert. Bundeskanzler Olaf Scholz demonstrierte denn auch Zuversicht. „Die Aussichten der deutschen Wirtschaft sind sehr gut“, sagte er am Donnerstag in Berlin.
Auch Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, geht noch von einem leichten Plus beim BIP für das laufende Jahr aus. „Aber es kann auch gut ein leichtes Minus werden“, sagte sie. Sicher sei das aber nicht. In den neuen Konjunkturzahlen sind laut Experten auch Anzeichen für eine mögliche Besserung der Lage zu erkennen.
So zeigt sich, dass die im Bruttoinlandsprodukt enthaltene Wertschöpfung, also die ökonomische Aktivität der deutschen Wirtschaft, insbesondere der Unternehmen, im ersten Quartal um 0,9 Prozent zugelegt hat. Der Grund für die ungewöhnlich starke Diskrepanz zum BIP liegt laut Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), wohl an einer komplizierten statistischen Verzerrung.
„Der BIP-Rückgang dürfte die schwache konjunkturelle Entwicklung am aktuellen Rand etwas überzeichnen“, resümiert Kooths. Dazu kommt: Die privaten Haushalte und die Folgen der Inflation spielen bei der Berechnung des BIP eine deutlich größere Rolle als bei der Wertschöpfung.
Doch selbst das leichte Wachstum der Wertschöpfung kann nicht über die prekäre Lage der deutschen Wirtschaft hinwegtäuschen. Insgesamt gehe die deutsche Wirtschaft weiterhin „durch schwieriges Fahrwasser“, sagte Kooths.
Ende April hatte das Statistische Bundesamt noch mit einer Stagnation des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal gerechnet. Vier Entwicklungen haben dazu geführt, dass es anders gekommen ist.
Erst waren es nur die hohen Energiepreise, dann stiegen fast jegliche Verbraucherpreise in den vergangenen Monaten an. Die Deutschen konnten oder wollten sich aus diesem Grund deutlich weniger leisten. Nachdem der private Konsum schon im vergangenen Jahr erheblich zurückgegangen war, fiel er im ersten Quartal noch einmal um 1,2 Prozent. „Der Konsum hat alles in die Tiefe gerissen“, sagte der Berliner Ökonom Claus Michelsen.
Die Börsenpreise für Strom und Gas sind seit dem vergangenen Herbst zwar wieder stark gesunken. Doch viele private Haushalte dürften die hohen Preisen dennoch weiter belasten, weil sie über Nebenkostenabrechnungen oder neue Verträge mit Energieversorgern die Nachwirkungen des starken Preisanstiegs im vergangenen Sommer noch immer spüren. Gleichzeitig sind im März zwar die staatlichen Energiepreisbremsen angelaufen. Doch auch die dürften vielfach erst verspätet ankommen.
Die Energiepreise allein haben aber nicht den deutlichen Konsumrückgang ausgelöst, erklärt Wirtschaftsweisen-Vorsitzende Schnitzer. Sowohl für Nahrungsmittel und Getränke als auch für Bekleidung und Schuhe sowie für Einrichtungsgegenstände gaben die privaten Haushalte weniger aus als im Vorquartal.
Schnitzer verweist zudem auf die Sparquote: Die deutschen Haushalte haben laut Statistischem Bundesamt mit 13,8 Prozent im ersten Quartal ähnlich viel gespart wie im Vorjahreszeitraum. Das heißt: Sie haben weder übermäßig auf Ersparnisse zurückgegriffen noch Kredite aufgenommen, um Engpässe wegen hoher Energierechnungen zu überbrücken.
Und Schnitzer sieht Faktoren, die die Konsumlaune direkt gebremst haben: „Auch die Zinswende und Vorzieheffekte könnten einen größeren Einfluss gehabt haben.“ Die Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank (EZB) kommen offenbar zunehmend bei Verbraucherinnen und Verbrauchern an und dämpfen die Nachfrage.
Vorzieheffekte hat es insbesondere bei Autokäufen gegeben: Weil die Elektroauto-Förderung zum Jahreswechsel verringert wurde, sind die Verkaufszahlen Ende 2022 in die Höhe geschnellt und im ersten Quartal dieses Jahres entsprechend niedrig ausgefallen.
Noch mehr überrascht als der Konsumeinbruch hat die deutsche Industrie. Die Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes stieg im ersten Quartal zwar um zwei Prozent. Den Rückgang des privaten Konsums konnte die Industrie damit aber nicht kompensieren.
Die BIP-Revision des Statistischen Bundesamts, das in seiner ursprünglichen Schätzung von Ende April noch von einer Stagnation im ersten Quartal ausgegangen war, hängt insbesondere mit einem besonders schwachen März in der Industrie zusammen. Die wichtige Industrieproduktion war in dem Monat um 3,3 Prozent eingebrochen. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute, sprach von einem „beachtlichen Rücksetzer“.
Ende des vergangenen Jahres hatte es zwar noch deutlich stärkere Einbrüche gegeben. Doch sie waren vor allem auf die energieintensiven Branchen zurückzuführen. Im März aber waren nahezu sämtliche Industriebereiche betroffen. Am stärksten war der Rückgang in der Automobilbranche mit einem Minus von 6,5 Prozent.
Gleichzeitig ließ das Neugeschäft der deutschen Industrie im März so stark nach wie seit der Hochphase der Coronapandemie nicht mehr. Die Aufträge sanken im März um 10,7 Prozent im Vergleich zum Vormonat und damit so kräftig wie zuletzt im April 2020.
Die schwache Performance der deutschen Industrie hängt insbesondere damit zusammen, dass kaum Impulse aus dem Ausland kommen. Im März waren die deutschen Exporte gegenüber dem Vormonat um 5,2 Prozent gesunken.
Vor dem Hintergrund des unsicheren weltwirtschaftlichen Umfelds bewegen sich die Exporterwartungen der Industrieunternehmen kaum. Vor allem der erhoffte Konjunkturstimulus für die deutsche Exportwirtschaft durch eine stärkere Nachfrage aus China, nachdem dort die rigide Null-Covid-Politik beendet worden war, blieb aus.
Im April exportierte die deutsche Wirtschaft laut Statistischem Bundesamt Waren im Wert von 7,5 Milliarden Euro in die Volksrepublik, das waren 9,6 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. „Das Ende der Null-Covid-Politik hat zunächst zu mehr Infektionen geführt, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Konjunktur“, sagte Ifo-Präsident Fuest.
Im Frühsommer erwartet – gleichbleibend zum Jahresbeginn – knapp ein Viertel der Unternehmen laut Deutscher Industrie- und Handelskammer (DIHK) einen höheren Exportumsatz in den kommenden zwölf Monaten, während 22 Prozent der Firmen von sinkenden Ausfuhren ausgehen.
Obwohl die deutsche Wirtschaft in eine technische Rezession gerutscht ist, ist sie nicht so massiv eingebrochen, wie manche vor dem Winter befürchtet hatten. Und auch wenn die Aussicht auf Besserung in den kommenden Monaten eingeschränkt ist, ist ein leichtes Wachstum nicht auszuschließen.
Die Bundesbank rechnet schon im laufenden dritten Quartal mit einem leichten Wachstum. Und im Gegensatz zu bewährten Barometern wie dem Ifo-Geschäftsklimaindex stützen experimentelle Frühindikatoren diese Aussicht.
Der private Konsum könnte seine Schwächephase langsam hinter sich lassen. Der Index des Statistischen Bundesamts über die Passantenfrequenz in deutschen Innenstädten zeigt seit dem Frühjahr einen eher positiven Trend an.
>> Lesen Sie hier: Wer arbeitet wie lange in Deutschland?
Und der Containerumschlag-Index der Institute RWI/ISL bildet die aktuelle Schwäche in Deutschland zwar ab, zeigt aber auch, dass außerhalb von Europa schon wieder deutlich mehr Fracht verschifft wird. RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt erwartet daher keine weiteren Rückgänge in der Industriekonjunktur.
Expertinnen und Experten sehen nun die Politik in der Verantwortung. Auf die kurzfristige Konjunkturentwicklung hat politisches Handeln erfahrungsgemäß wenig Einfluss. Die Wirtschaftsweisen-Vorsitzende Schnitzer erklärt aber: „Die wirtschaftliche Entwicklung ist national wie international zurzeit von vielen Unsicherheiten geprägt.“ Einen Beitrag zur Reduzierung der Unsicherheit könne auch die Bundesregierung leisten, indem sie sich auf eine klare gemeinsame Linie verständigt.
Erstpublikation: 25.05.2023, 08:00 Uhr (zuletzt geändert am 25.05.2023, 18:21).
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