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26.10.2022

12:53

HRI-Konjunktur-Ausblick

Auftragspolster, Eurokurs, staatlicher Wohnungsbau: Das sind die Lichtblicke für die Konjunktur

Von: Axel Schrinner

Die deutsche Volkswirtschaft steht am Beginn einer neuen Rezession. Bürger und Betreibe ächzen unter der Inflation. Wann wird das Stimmungstief überwunden?

Die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind prall gefüllt. dpa

Schweißerin

Die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind prall gefüllt.

Düsseldorf Für die deutsche Volkswirtschaft kommt es gerade knüppeldick. Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima und das HDE-Konsumbarometer weisen steil nach unten und der Markit-Einkaufsmanager-Index stürzte am Montag auf den tiefsten Wert seit 29 Monaten. Vom Finanzdienstleister Bloomberg befragte Ökonomen erwarten im Mittel, dass die Wirtschaft im zu Ende gegangenen dritten Quartal leicht um 0,2 Prozent geschrumpft ist und diesem hellroten Quartal zwei weitere dunkelrote folgen werden. Zum Frühjahrsbeginn 2023 dürfte die Wirtschaftsleistung knapp unter das Niveau vom Frühjahr 2018 gesunken sein.

Dass es noch weit schlimmer kommen könnte, zeigt ein Risikoszenario der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Demnach könnte die Konjunktur bei einem sehr kalten Winter sowie geringeren Gaseinspeicherungen sowohl im ersten Quartal 2023 als auch 2024 massiv einbrechen. Auf das Gesamtjahr hochgerechnet würde das Bruttoinlandsprodukt 2023 um knapp acht Prozent und 2024 um weitere gut vier Prozent schrumpfen. Die Wirtschaftsleistung wäre 2024 dann niedriger als 2011.

Nun sind auch Konjunkturforscher nicht dagegen gefeit, sich zu stark vom tagesaktuellen Geschehen beeinflussen zu lassen. Auf dem Höhepunkt der Coronapandemie wurden sowohl der Einbruch als auch die anschließende Erholung deutlich überschätzt. Ähnliches geschah im Winter 2008/09, als infolge der Finanzkrise die Wirtschaft einbrach.

Der Grund: Modelle, die die Folgen solcher singulären Ereignisse abschätzen, existieren nicht – damals wie heute. Empirisch getestete Konjunkturmodelle, die die Energiesicherheit in Frage stellen, gibt es ebenso wenig wie entsprechende Daten dazu aus der Vergangenheit.

Bei der Bewertung der aktuellen Lage ist also viel Bauchgefühl im Spiel – und nicht zuletzt deshalb ist ein kühler Kopf gefragt. Schließlich hat die deutsche Wirtschaft schon viele Krisen überstanden. Auch jetzt gibt es Lichtblicke für die Konjunktur.

Dickes Auftragspolster

Monat für Monat markiert der Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe neue Rekordwerte. Nach jüngsten Daten könnten die Betriebe bei gleichbleibendem Umsatz ohne neue Auftragseingänge theoretisch für acht Monate produzieren.

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Probleme bereitet derzeit also nicht die fehlende Nachfrage. Vielmehr gaben im August 62 Prozent der Industrieunternehmen an, von Engpässen bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen betroffen zu sein. Dieser Wert war zwar immer noch sehr hoch, gleichwohl um gut elf Prozentpunkte geringer als im Vormonat.

Schwacher Euro

Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar allein in den vergangenen zwölf Monaten rund 15 Prozent an Wert verloren. Dies hat zur Folge, dass deutsche Exporte auf den Weltmärkten preislich wettbewerbsfähiger werden. In den ersten neun Monaten schnellten die deutschen Exporte in die USA um fast 30 Prozent auf rund 116 Milliarden Euro in die Höhe.

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Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, erklärt das unter anderem mit der Politik von US-Präsident Joe Biden. „Die umfangreichen Fiskalprogramme der Biden-Administration haben die Konjunktur in den USA so stark angekurbelt, dass nun davon auch deutsche Unternehmen erheblich profitieren“, sagt er.

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Auch das China-Geschäft läuft trotz schwacher Konjunktur im Reich der Mitte überraschend gut; die Exporte in die Volksrepublik stiegen in den ersten neun Monaten um gut fünf Prozent auf rund 81 Milliarden Euro . „Das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands dürfte zwar seine goldenen Jahre hinter sich haben“, betont HRI-Präsident Bert Rürup. „Aber auch hier gilt, dass Totgesagte oftmals recht lange leben.“

Bevölkerung wächst

Im ersten Halbjahr lebten erstmals mehr als 84 Millionen Menschen in Deutschland, fast vier Millionen mehr als noch 2011. Fünf Prozent mehr Einwohner konsumieren nicht nur entsprechend mehr. Zumindest ein Teil von ihnen trägt als Erwerbstätige auch dazu bei, Wertschöpfung zu generieren und den Fachkräftemangel zu lindern.

Infolge des Krieges sind viele Ukrainer nach Deutschland gekommen. dpa

Geflüchtete aus der Ukraine

Infolge des Krieges sind viele Ukrainer nach Deutschland gekommen.

Der aktuelle Einwanderungsschub ist vor allem auf die hohe Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine zurückzuführen. In den ersten achten Monaten betrug die Nettozuwanderung aus der Ukraine 874.000. Schätzungen zufolge dürften im laufenden Jahr zunächst rund 81.000 Ukrainer hier eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Bis zum Jahr 2027 könnte sich die Zahl aber auf gut 290.000 Personen erhöhen.

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Hohe Ersparnisse

Im zweiten Quartal erreichte die Sparquote mit 10,8 Prozent erstmals wieder Vorkrisenniveau, nachdem sie während der Pandemie sprunghaft gestiegen war. Seinerzeit wurden zusätzliche Ersparnisse von etwa 200 Milliarden Euro angehäuft, auf die die Verbraucher nun zurückgreifen können, um trotz Rekordinflation ihr gewohntes Konsumniveau aufrechtzuerhalten. Ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Sparquote um zwei Prozentpunkte würde überdies zusätzlichen Konsum von rund 40 Milliarden Euro im kommenden Jahr ermöglichen.

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Das HDE-Konsumbarometer für Oktober signalisiert bereits, dass die befragten Verbraucher weniger sparen wollen. Der entsprechende Teilindex sank zuletzt auf den tiefsten Stand seit Beginn der Datenerhebung. Die sinkende Sparneigung wird also den privaten Konsum stabilisieren.

Staat stützt den Bau

Angesichts stark steigender Materialkosten und Zinsen ist die Stornoquote in der Bauwirtschaft extrem hoch. „Die Auftragseingänge schrumpften in einem Ausmaß, wie es in mehr als zwei Jahrzehnten Datenerfassung selten beobachtet wurde“, sagt Phil Smith, Ökonom beim Institut IHS Markit.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollen – nicht nur vom Staat, aber zumindest teils mit staatlicher Unterstützung. Bislang galt dieses Ziel als Utopie, da der Bau unter Volllast arbeitete. Nun, da private Aufträge wegbrechen, könnte der Staat zum Zuge kommen – und den Einbruch der Baukonjunktur abfedern.

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