Arme Haushalte leiden besonders stark unter den hohen Energiepreisen. Die staatlichen Hilfen ändern das kaum, zeigt eine Studie. Dafür geht das Geld auch an Millionäre.
Berlin Die Zielgruppe ist weit gefasst. Bei der Entlastung der Bürger von den hohen Energiepreisen habe die Regierung „die Breite der Gesellschaft im Blick“, erklärte Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang kürzlich. Der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner sprach von einem Entlastungspaket „für die Mitte der Gesellschaft“.
Die Belastungen durch die rasant gestiegenen Strom- und Gaspreise infolge des Ukrainekriegs will die Bundesregierung mit Steuersenkungen auf Sprit, Transferzahlungen, einer Energiepauschale oder dem 9-Euro-Bahn-Ticket ausgleichen. Fast 24 Milliarden Euro nimmt der Bund dafür in die Hand. Gut investiertes Geld? Nein, lautet das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die dem Handelsblatt vorliegt. Am Montag wurde sie unter den Finanzpolitikern der Ampelkoalition diskutiert.
Die DIW-Ökonomen Stefan Bach und Jakob Knautz haben errechnet, wie die deutschen Haushalte je nach ihrer wirtschaftlichen Lage von den hohen Energiepreisen belastet werden und wie die Entlastungen der Bundesregierung auf sie wirken. Das eindeutige Ergebnis: Die Ärmsten leiden mit Abstand am meisten unter dem Energiepreisschock. Sie werden zwar auch mehr entlastet als die Reichen – doch längst nicht im gleichen Verhältnis.
Bei den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung werden die Kosten für Strom, Heizung und Sprit in den nächsten zwölf bis 18 Monaten 6,7 Prozent des Nettoeinkommens auffressen. 3,7 Prozent erhalten sie durch die staatlichen Hilfen zurück – macht immer noch ein Minus von drei Prozent.
Bei den reichsten zehn Prozent liegt die Belastung durch die Energiepreise bei bloß zwei Prozent. Sie erhalten nur 0,7 Prozent vom Staat zurück – im Saldo bleibt dennoch nur eine Belastung von 1,3 Prozent.
Die Berechnungen basieren auf Angaben von 30.000 Personen im Rahmen des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) und damit auf der wohl größten Datenbasis zur wirtschaftlichen Situation der deutschen Haushalte. Der durchschnittliche Deutsche verliert durch die Energiekosten trotz Hilfen 2,1 Prozent seines Einkommens.
Arme Haushalte geben einen hohen Anteil ihres Einkommens für Energie aus. „Das führt dazu, dass gerade Haushalte mit geringeren Einkommen sehr stark von den Energiepreiserhöhungen betroffen sind“, sagt DIW-Ökonom Bach. Zudem hätten sie in der Regel keine Ersparnisse oder könnten sich nicht verschulden, stattdessen bliebe ihnen im Notfall nur die Möglichkeit, die Heizung herunterzudrehen oder anderweitig zu sparen. Staatliche Hilfen sollten sich daher vor allem auf diese einkommensschwachen Bürger konzentrieren.
Die Pläne der Bundesregierung enthalten durchaus Bausteine, die speziell für Einkommensschwache konzipiert sind. Arbeitslose etwa erhalten eine Einmalzahlung von 200 Euro. Wohngeldbezieher bekommen einen Heizkostenzuschuss von 270 Euro.
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Doch diese Transferzahlungen spielen schon für die untere Mittelschicht keine Rolle mehr, weil dort kaum noch Personen Arbeitslosengeld oder andere Hilfen erhalten, an die die Zuschüsse gekoppelt sind. Somit profitiert ein Arbeitnehmer mit rund 2000 Euro Nettoeinkommen genauso wenig von den Zuschüssen wie ein Einkommensmillionär.
Und viele der weiteren Maßnahmen, so hatten es die Parteichefs Lang und Lindner schon angekündigt, werden breit verteilt. Das gilt für den Tankrabatt, für den Einmalbonus von 100 Euro beim Kindergeld oder für die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro.
Zwar muss das Energiegeld mit dem persönlichen Steuersatz versteuert werden. Doch das gleicht längst nicht die Mehrbelastungen für die einkommensschwachen Haushalte aus. Auch das geplante Neun-Euro-Ticket, mit dem drei Monate günstig die Nutzung von Bus und Bahn gefördert werden soll, werden laut Bach viele Bürger mitnehmen, die den öffentlichen Nahverkehr auch ohne Vergünstigung nutzen würden.
Die scharfe Kritik an den Plänen der Bundesregierung ist außergewöhnlich. Vorwürfe, das DIW wolle bloß Vermögen nach unten umverteilen, tragen nicht. Vielmehr formiert sich Widerstand von allen Seiten der ökonomischen Wissenschaft.
„Werden solche Hilfen auf breiter Front ausgereicht, treibt das zusätzlich die Inflation und torpediert den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise“, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Kooths ist Befürworter eines schlanken Staats. DIW-Mann Bach hält hingegen viel von höheren Steuern. Die beiden stehen damit nicht im Verdacht, aus Eigeninteresse gemeinsame Sache zu machen.
Die Kritik an den Entlastungsmaßnahmen tauchte zuletzt gar in der gemeinschaftlichen Konjunkturprognose auf, an der neben DIW und IfW drei weitere führende Institute beteiligt waren.
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Der Appell von Bach an die Bundesregierung ist eindeutig. „Voraussichtlich werden die Energiepreise noch die nächsten Monate bis Jahre hoch bleiben“, sagt er. Es müsse dafür gesorgt werden, dass sich künftige Entlastungspakete stärker auf die Geringverdienenden konzentrieren.
Dieser Plan findet sich auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP in Form eines Klimagelds. Es könnte je nach Belastungssituation der Betroffenen gezielt ausgezahlt werden.
Das Klimageld taucht auch im jüngsten Entlastungspaket auf. Es fehlt allerdings weiter an einem Verfahren, um Bürgerinnen und Bürgern das zu übermitteln. Das ist auch einer der Gründe für die breit angelegten Hilfen der Regierung: Zum Teil ist eine schnelle Umsetzung kaum anders möglich.
Die Regierenden wollen dies nun ändern und einen Weg für das Klimageld über die Steuer-ID schaffen. Ihr Zeithorizont: „Möglichst“ noch in diesem Jahr.
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