Politiker in der Schweiz machen Richtern ihr Amt madig: Weil ihnen ein Urteil nicht gefällt, üben sie Druck auf die Richter am Bundesgericht aus. Das Rechtssystem erlaubt das sogar.
Justitia
In der Schweiz sind Politik und Justiz miteinander verbunden – zum Nachteil der Richter.
Zürich Richter haben einen schweren Job – das wusste schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt. Ein Richter „habe dafür zu sorgen, dass eine so unvollkommene Institution funktioniere, wie es die Justiz nun einmal sei“, schrieb Dürrenmatt einmal. Yves Donzallaz und seine Kollegen würden ihm wohl zustimmen: Der Richter urteilt seit 2008 am Bundesgericht in Lausanne – und soll das in Zukunft nicht mehr tun, wenn es nach manchen Schweizer Politikern geht.
Der Grund: Donzallaz stimmte mit zwei Amtskollegen dafür, dass die Schweizer Großbank UBS die Daten von Zehntausenden Kunden an französische Steuerbehörden liefert. Das Urteil des Bundesgerichts sorgte im Bankenland Schweiz für Furore. Vertreter der rechtskonservativen Partei SVP verlangten lautstark Konsequenzen – und zwar nicht für die Bank. Sondern für die Juristen, die den Datenaustausch in ihrem Urteil für rechtmäßig erklärt haben.
So klingt die Drohung des SVP-Nationalrats Thomas Matter, als stamme sie aus einem Italo-Western: „Ich werde die Namen der für dieses Skandalurteil zuständigen Bundesrichter bei der nächsten Wiederwahl bestimmt nicht vergessen haben“, sagte Matter. „Auch den betreffenden Richter meiner eigenen Partei nicht.“ Matter scheint die Sache mit dem Bankgeheimnis persönlich zu nehmen – was daran liegen könnte, dass er sich auskennt. Er ist nämlich Banker.
Aber auch Politiker anderer Parteien sprachen sich nach dem UBS-Urteil gegen eine Wiederwahl der betreffenden Bundesrichter aus. Sie fürchten, dass Steuerbehörden überall auf der Welt auf „Fischzüge“ gehen, um die Daten von Steuersündern zu erhalten – und werfen den Richtern am Bundesgericht vor, internationales Recht über das der Schweiz gestellt zu haben.
Dass Politiker sich derart offen in die Rechtsprechung einmischen, kennt man sonst eher aus Bananenrepubliken. In der Schweiz aber ist das legal. Die Richter sollen zwar „unparteilich“ und „ohne Voreingenommenheit im Hinblick auf politische Interessen oder Beziehungen“ urteilen. Doch ohne politische Beziehungen kann ihre Karriere ein jähes Ende finden.
Mitzureden hat die Politik bei der Auswahl von Richtern auch in anderen Ländern, darunter Deutschland. Doch in der Schweiz gibt es zwei Besonderheiten: Um überhaupt aufgestellt zu werden, müssen die Juristen Parteimitglied werden und alljährlich eine sogenannte Mandatssteuer an die Parteien zahlen. Zudem müssen sich die Richter turnusmäßig zur Wiederwahl stellen. Dadurch werden sie angreifbar, wie die Diskussion um das UBS-Urteil zeigt.
Die Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter zeigte sich nach dem Urteil besorgt. „Diese Unabhängigkeit der Gerichte und damit die Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sind zu respektieren“, mahnen die Juristen. Sie plädieren für eine Rechtsänderung: In Zukunft sollen Richter nur dann ihres Amtes enthoben werden können, wenn es dafür triftige Gründe gibt.
Noch weiter geht die „Justiz-Initiative“. Ihre Anhänger wollen dafür sorgen, dass qualifizierte Bewerber künftig per Losverfahren für das Richteramt ausgewählt werden. Sie sollen bis zur Pensionierung bestellt sein. Die nötigen Unterschriften haben die Initianten bereits zusammen. Setzen am Ende also die Bürger der umstrittenen Praxis ein Ende? Das Rationale am Menschen, sagte Friedrich Dürrenmatt, sind seine Einsichten. „Das Irrationale, dass er nicht danach handelt.“
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