PremiumDeutschland ist von chinesischer Mobilfunktechnik ähnlich abhängig wie von russischem Gas. Die Bundesregierung bewertet jetzt die Risiken neu.
Luftaufnahme eines 5G-Sendemasts
Hoher Anteil von Huawei-Komponenten im neuen Netz.
Bild: E+/Getty Images
Hamburg, Brüssel, Berlin Die Bundesregierung könnte deutsche Telekommunikationsanbieter schon bald dazu zwingen, chinesische Komponenten aus ihren Mobilfunknetzen zu entfernen. Das Innenministerium behält sich das Recht vor, die Netzbetreiber anzuweisen, kritische Bauteile von „nicht vertrauenswürdigen“ Herstellern auszubauen – selbst dann, wenn diese schon in Betrieb sind.
Die Verwendung bereits verbauter Komponenten könne untersagt werden, „wenn der weitere Einsatz die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich beeinträchtigt, insbesondere, wenn der Hersteller der kritischen Komponente nicht vertrauenswürdig ist“, bestätigte das Ministerium dem Handelsblatt. Eine solche „Ex-post-Untersagung“ könne „auch den Ausbau der jeweiligen Komponenten umfassen“.
Im Branchen-Jargon ist von „rip and replace“ die Rede: Netzbestandteile von chinesischen Herstellern wie Huawei und ZTE müssten durch Bauteile der skandinavischen Anbieter Ericsson und Nokia ersetzt werden. Ein solcher Austauschzwang würde die Mobilfunknetzbetreiber Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland (O2) vor erhebliche Probleme stellen: Ein Umbau wäre teuer und würde wahrscheinlich den Aufbau der neuen, ultraschnellen 5G-Netze verzögern.
Die Komponenten der großen Netzausrüster sind untereinander nicht immer kompatibel. Der Ausbau eines Bauteils würde in vielen Fällen eine umfassende Umrüstung erforderlich machen. Auch deshalb kann das Innenministerium eine entsprechende Anweisung nicht allein erlassen. Es müsse sich mit den jeweils betroffenen Ressorts abstimmen, etwa dem Außen- und Wirtschaftsministerium, hieß es.
Ginge es nach den Netzbetreibern, würde Huawei etwa 60 Prozent der 5G-Netztechnik stellen, wie Berechnungen der Beratungsfirma Strand Consult zeigen. Der Anteil von Huawei-Komponenten im 4G-Netz beträgt je nach Betreiber heute bis zu 65 Prozent.
Huawei lässt auf Anfrage wissen, dass dem Unternehmen Planungen eines Ausschlusses der eigenen Komponenten nicht bekannt seien. Der chinesische Konzern bescheinigt sich selbst eine „hervorragende Sicherheitsbilanz“.
Vodafone gibt lediglich an, in seinem Antennen-Netz (4G und 5G) Technik mehrerer Anbieter zu nutzen – „auch von Huawei“. Ähnlich äußert sich Telefónica, nennt Huawei aber nicht konkret. Ein sicheres Netz habe für die Münchener „höchste Priorität“. Die Telekom wollte eine Handelsblatt-Anfrage zunächst gar nicht beantworten. Auf Rückfrage verwies ein Sprecher hinsichtlich des Huawei-Anteils im Telekom-Netz auf frühere Angaben des Konzerns. Demnach nutzt der Konzern Huawei-Komponenten im Antennen-Zugangsnetz, nehme chinesische Technik aus dem Kernnetz aber „heraus“.
Die Entscheidung, ob kritische Komponenten von Huawei und ZTE nicht vertrauenswürdig sind, ist zwar offiziell noch nicht gefallen. Doch unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine und der Versuche des Kremls, Deutschland mit einer Drosselung der Gaslieferungen zu erpressen, bewertet die Bundesregierung die Risiken wirtschaftlicher Verflechtungen mit Diktaturen neu.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht Abhängigkeiten von chinesischer Technologie kritisch. Auf die Frage, ob die Regierung den Einsatz einer bestimmten Netzkomponente bereits verweigert hat, verwies das Innenministerium auf „laufende Verfahren“, ohne nähere Angaben zu machen.
Huawei-Logo
Der chinesische Konzern bescheinigt sich selbst eine „hervorragende Sicherheitsbilanz“.
Bild: imago images/Passion2Press
Die FDP rät im Fall Huawei zu größter Vorsicht. „Es wäre weltfremd und naiv, die geopolitische Bedeutung der Aktivitäten Huaweis in Deutschland für den Einfluss Chinas nicht zu erkennen“, sagte Fraktionsvize Konstantin Kuhle dem Handelsblatt. Mit Blick auf die Cybersicherheit bestünden „erhebliche“ Bedenken.
„Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass deutsche Behörden die Risiken einer Nutzung von Huawei-Komponenten erneut überprüfen“, betonte Kuhle. „Deutschland darf sich nicht von Diktaturen abhängig machen.“
Das sieht der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz genauso. „Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine und der schlimmen europäischen Gasmisere sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass man sich Diktaturen mit imperialistischer Grundhaltung tunlichst nicht wirtschaftlich ausliefern sollte, um nicht erpressbar zu werden“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Das gelte gerade in sensiblen Bereichen wie der Energieversorgung, aber eben auch bei der IT-Infrastruktur.
Von Notz, der auch Vorsitzender des Geheimdienstgremiums des Bundestages ist, hält es daher für folgerichtig, bestehende Kooperationen auf den Prüfstand zu stellen. „Rip and Replace ist aber noch kein Konzept, sich diesen enormen Herausforderungen zu stellen“, fügte er hinzu. „Am Ende werden weder Europa noch Deutschland darum herumkommen, eigenständiger, autarker und souveräner zu werden - auch im Bereich der IT-Infrastruktur.“
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Die rechtliche Basis für die Staatseingriffe bietet das sogenannte IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das zum Ende der vergangenen Legislaturperiode nach langen Kontroversen verabschiedet wurde. Das Gesetz sieht keine Grundsatzentscheidung über die Zulassung chinesischer Netzausstatter vor, sondern Einzelfallprüfungen für „kritische Komponenten“.
Dafür formuliert es Kriterien, die für chinesische Hersteller angesichts der im Land üblichen Eingriffe des Staates kaum zu erfüllen sind. „Bei der Prüfung einer voraussichtlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung“ kann nach Angaben des Innenministeriums berücksichtigt werden, ob der Hersteller „unmittelbar oder mittelbar“ von der Regierung eines Drittstaates kontrolliert wird, ob der Hersteller „bereits an Aktivitäten beteiligt war“, die der Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer engsten Verbündeten geschadet haben, und ob „der Einsatz der kritischen Komponente im Einklang mit den sicherheitspolitischen Zielen der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union oder des Nordatlantikvertrages steht“.
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle
„Deutschland darf sich nicht von Diktaturen abhängig machen.“
Bild: IMAGO/Political-Moments
Gerade erst hat die Nato in ihrem neuen Sicherheitskonzept auf die Gefahren durch chinesische Technologie hingewiesen. China strebe „die Kontrolle über technologische und industrielle Schlüsselsektoren, kritische Infrastrukturen sowie strategische Materialien und Lieferketten“ an, warnen die Nato-Partner in ihrem strategischen Leitfaden.
Die Netzbetreiber haben bislang den Standpunkt vertreten, dass es reichen würde, Huawei und ZTE aus dem sogenannten „Kernnetz“ zu verbannen, wo große Mengen von Daten verarbeitet werden. Im „Zugangsnetz“, das etwa aus den über das Land verteilten Antennen und Basisstationen besteht, seien die Risiken indes beherrschbar.
So betonen die Netzbetreiber, in ihren 5G-Kernnetzen keine Huawei-Komponenten mehr zu nutzen. Telefónica setzt hier etwa auf den schwedischen Ausrüster Ericsson. Auch Vodafone hatte mit dem Anbieter einen Vertrag geschlossen.
Das Innenministerium betont nun aber: Rechtlich werde nicht zwischen Kern- und Zugangsnetz unterschieden. „Vielmehr basiert die Festlegung auf kritischen Funktionen, welche unabhängig vom Ort der Realisierung innerhalb des Netzes zu betrachten sind“, erläutert ein Sprecher. Die Ankündigung der Netzbetreiber, im Kernnetz auf chinesische Komponenten zu verzichten, wird daher kaum ausreichen, um den rechtlichen Vorgaben zu genügen.
Auch gelten die Regelungen nicht allein für das 5G-Netz, das derzeit noch aufgebaut wird. Mit den Regelungen „ist aus Sicht des Bundesinnenministeriums auch das 4G-Netz umfasst, sofern dieses dem 5G-Netz zugrunde liegt, etwa in einer sogenannten hybriden Netzstruktur“.
SPD-Außenpolitiker Nils Schmid, der eine der treibenden Kräfte in der Huawei-Debatte ist, betont daher: „Das Gesetz hat Biss. Jetzt ist es an der Bundesregierung, die notwendigen Konsequenzen für die nationale Sicherheit daraus zu ziehen.“ Die Koalitionsfraktionen erwarteten eine schnelle Entscheidung.
Die öffentliche Diskussion um Huawei kreiste lange vor allem um den Vorwurf, dass die Technologie des Unternehmens von chinesischen Nachrichtendiensten zur Spionage genutzt werden könnte. Anzeichen dafür gibt es, aber keine gerichtsfesten Beweise. Wichtiger für die sicherheitspolitischen Erwägungen der Ministerien ist, ob der Netzbetrieb aufrechterhalten werden kann, wenn China die Lieferungen von Softwareupdates als politisches Druckmittel einsetzt – wie derzeit Russland die Lieferung von Gas.
„Wir haben ein Problem mit der Abhängigkeit von russischem Gas, aber eine Reihe von EU-Staaten, darunter Deutschland, ist auch von chinesischer Technologie abhängig“, sagte John Strand, Chef der Beratungsfirma Strand Consult. In Deutschland werde kein Netz ohne chinesische Komponenten betrieben, das mache die Bundesrepublik erpressbar.
Im Nachbarland Frankreich wurden die Netzbetreiber bereits vor zwei Jahren von der Regierung darüber in Kenntnis gesetzt, dass Lizenzen für Huawei-Equipment nicht erneuert würden. Dies hat ein kontinuierliches „phasing-out“ der chinesischen Technik zur Folge.
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