Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

03.03.2021

08:42

Digitale Revolution

Alternativen zu Google: Das sind die neuen Suchmaschinen

Von: Larissa Holzki, Christian Wermke

Die öffentliche Kritik an Google wächst. Das ermutigt neue Konkurrenten. Was die Alternativen zu Google anders machen und wie sie erfolgreich sein wollen.

Nie schien die Chance größer, den scheinbar übermächtigen Gegner Google herauszufordern. Handelsblatt

Suchmaschinen-Alternativen

Nie schien die Chance größer, den scheinbar übermächtigen Gegner Google herauszufordern.

Düsseldorf, Rom Mit 25 Jahren sei eine Technologie eigentlich veraltet, sagt Gianpiero Lotito. Einen Fernseher in dem Alter würde man höchstens als „Vintage-Erfahrung“ kaufen. „Aber genauso alt sind Suchmaschinen.“ Der Mitgründer von FacilityLive, Italiens wertvollstem Start-up, will sagen: Es ist Zeit für Innovationen.

Schon viele haben versucht, eine Alternative zu Google aufzubauen oder die Internetsuche neu zu erfinden. Die Liste der Gescheiterten ist fast ebenso lang. Doch jetzt probiert eine Reihe von Unternehmern es wieder. Darunter ehemalige Google-Mitarbeiter und Wissenschaftler in Deutschland. Sie haben Auftrieb bekommen durch Regulatoren, Datenschutzdebatten und technologische Fortschritte. Nie schien die Chance größer, den scheinbar übermächtigen Gegner Google herauszufordern.

Wie Lotito hoffen sie auch auf das „Innovator's Dilemma“: Ein zunächst revolutionäres Produkt lässt sich im Laufe der Zeit nur noch minimal verbessern. Und während der Marktführer sich auf den Vertrieb konzentrieren muss, können neue Wettbewerber ihre Entwicklung vorantreiben.

Die Hoffnung wird auch genährt durch Wettbewerbshüter weltweit, die Googles Monopolmacht aufbrechen wollen. Zudem zeigt der Fall WhatsApp, dass viele Internetnutzer durchaus auf Datenschutz setzen, wenn sie die Wahl haben. Nach dessen Ankündigung neuer, umstrittener Nutzungsbedingungen stiegen die Downloadzahlen des datenschutzfreundlicheren Signal rasant. Das Datentracking ist auch beim Google-Modell der größte Kritikpunkt.

Noch ist Googles Marktmacht allerdings riesig. 2020 wurden in Europa mehr als 93 Prozent aller Internet-Suchanfragen „gegoogelt“. Die größte Suchmaschine aus Europa ist Ecosia, die in Deutschland, Frankreich und Großbritannien laut Gründer Christian Kroll auf etwas über ein Prozent Marktanteil kommt.

Das wirkt verschwindend gering. Doch Dirk Lewandowski, der an der HAW Hamburg zu Suchmaschinen forscht und lehrt, verweist auf die „gigantische Zahl“ von Suchanfragen. „Wenn man zu jeder Suchanfrage eine passende Werbeanzeige schaltet, kann man selbst mit einem minimalen Marktanteil durchaus Geld verdienen.“ Google hat allein im vierten Quartal 2020 mit seinem Geschäft rund um die Suchmaschine 32 Milliarden Dollar Umsatz gemacht.

Wichtig ist auch, dass es verschiedene Wege gibt, sich einen Teil des Riesenmarktes zu erschließen. Die meisten Suchmaschinenanbieter kombinieren verschiedene Ansätze.

Der Index

Im Hintergrund funktioniert eine Internetsuchmaschine wie ein Inhaltsverzeichnis. Anbieter müssen Milliarden von Websites scannen und verschlagworten, um anzeigen zu können, wo gesuchte Informationen zu finden sind. Wer im eigentlichen Sinne mit Google konkurrieren will, muss einen ebenso großen Index für Internetseiten aufbauen und aktuell halten. Das scheint fast unmöglich.

Der Google-Index soll schätzungsweise 500 bis 600 Milliarden Seiten beinhalten, der größte Konkurrent, Bing von Microsoft, 100 bis 200 Milliarden Seiten. Neben diesen US-Riesen und dem russischen Yandex gibt es kaum Suchmaschinen mit eigenem Index. Eine Ausnahme ist Mojeek, das 2004 als privates Projekt von Marc Smith an der englischen University of Sussex gegründet wurde.

In den vergangenen Jahren hat die kleine Firma knapp 2,7 Millionen Euro Wagniskapital von Privatinvestoren eingesammelt und verspricht, keine Nutzerdaten zu sammeln. Im April 2020 gab Mojeek bekannt, nun drei Milliarden Seiten indexiert zu haben. Auch Cliqz aus München hatte sich an einem eigenen Index versucht. Mehrheitseigentümer Burda hat die Mission allerdings 2020 eingestellt. Die Hürden waren zu groß.

Denn das Internet lässt sich nicht ohne Weiteres scannen. Suchmaschinen benötigen Zugangserlaubnis zu den Seiten, die sie indexieren wollen. Doch weil das die Websites belastet, lassen sie nur Suchmaschinen hinein, die ihnen im Gegenzug viele Besucher zuführen – das sind Google und vielleicht noch Bing.

Es ist ein Teufelskreis. Wer seinen Index nicht vergrößert, gewinnt keine Nutzer. Wer keine Nutzer gewinnt, kann seinen Index nicht vergrößern. Doch es gibt Gerüchte, dass ein neuer, aussichtsreicher Kandidat eine Suchmaschine mit eigenem Index aufbauen will: Apple. Der iPhone-Hersteller hätte genügend Nutzer, Kapital und sucht Suchmaschinen-Ingenieure.

Das Geschäftsmodell

Ohne eigenen Index, aber mit neuem Geschäftsmodell wollen zwei ehemalige Google-Mitarbeiter den Markt aufmischen. Bevor sie vor zwei Jahren Neeva gründeten, waren Sridhar Ramaswamy und Vivek Raghunathan für Googles Werbesysteme und Youtube-Werbung zuständig.

Ausgerechnet sie wollen nun ein Angebot ohne Werbung und gegen Gebühr anbieten. Laut Ramaswamy erfordert Werbefinanzierung Kompromisse – mehr Anzeigen und damit schlechtere Ergebnisse. Das sagten einst auch die Google-Gründer.

Nach einer Testphase soll Neeva weniger als zehn Dollar im Monat kosten. Allgemeine Inhalte kommen von Microsofts Bing, Karten von Apple, Börsendaten von Intrinio und Wetter-Infos von weather.com. Nutzer sollen zudem persönliche Datenspeicher anschließen können wie E-Mail-Postfächer, Microsoft Office oder Dropbox. Mit Sequoia und Greylock Partners haben renommierte US-Investoren bereits 37,5 Millionen Dollar investiert.

Eine weitere Kommerzialisierungsmöglichkeit sehen junge Suchmaschinenanbieter in Angeboten für Unternehmen. Ein Beispiel ist das Berliner Start-up Xayn.

Die Spezialisierung

Mit Richard Socher will auch ein bekannter, ehemaligen Salesforce-Manager den Markt für Suchmaschinen aufmischen. Unter dem Namen You.com will der Experte für Künstliche Intelligenz eine „vertrauenswürdige Suchmaschine“ aufbauen, die „das Internet zusammenfasst“.

Seine Suchmaschine soll sich anfangs auf komplexe Kaufentscheidungen spezialisieren, bei denen Nutzer typischerweise mehrere Fenster parallel öffnen, um Angebote zu vergleichen. Viel ist noch nicht bekannt. Doch auch die Geldgeber sind namhaft: Salesforce-Gründer Marc Benioff und Jim Breyer, ein früher Facebook-Investor.

Auf komplexe Suchanfragen haben sich auch Gianpiero Lotito und Mitgründerin Mariuccia Teroni von FacilityLive fokussiert. Im heutigen Web müsse man sich „Informationen selbst zusammensuchen und dauernd die Seite wechseln“, sagt Lotito. 15 neue Themenplattformen sollen das noch dieses Jahr ändern, darunter eine für Museen und eine für Reiseplanung.

Sie sollen technologisch Informationen aggregieren, ohne Nutzer auf andere Seiten weiterzuleiten. FacilityLive hat in der Pandemie 52 Millionen Euro eingesammelt und eine Bewertung von 225 Millionen Euro erzielt. Es gilt als wertvollstes Start-up Italiens.

Die Zielgruppe

Die Berliner Firma Ecosia ist als „Suchmaschine, die Bäume pflanzt“, bekannt. Über ein Lizenzmodell bezieht sie Suchergebnisse von Microsofts Bing und erhält auch einen Großteil der durch ihre Nutzer generierten Werbeeinnahmen. Im Januar verzeichnete Ecosia auf diese Weise Einnahmen von mehr als 2,5 Millionen Euro. 80 Prozent des Einnahmeüberschusses investiert das Sozialunternehmen in Aufforstungsprojekte und regenerative Energien. Für Microsoft lohnt sich der Deal, weil die meisten Ecosia-Nutzer sonst wohl Google nutzen würden.

Ebenfalls mit einem Lizenzmodell über Microsoft arbeitet die US-Suchmaschine DuckDuckGo. Sie richtet sich an sehr datenschutzbewusste Nutzer. Dass Google, Bing und andere so gute Suchergebnisse liefern, liegt nämlich nicht nur an den großen Indizes, sondern vor allem auch an genauen Analysen des Nutzerverhaltens. Mit den gesammelten Nutzerdaten lässt sich antizipieren, was jemand genau suchen könnte. Weil DuckDuckGo das nicht tut, müssen Nutzer sich bis zum gewünschten Ergebnis oft durch mehr Treffer klicken.

Die Technologie

Leif-Nissen Lundbæk ist überzeugt, dass Datenschutz und präzise Suchergebnisse auch zusammen möglich sind. Mit zwei Mitgründern hat der Mathematiker 2018 am Imperial College in London Xayn gegründet: Die Suchmaschine setzt auf dezentrales Lernen in der Künstlichen Intelligenz. Auch Xayn nutzt verschiedene Indizes.

Die bisher nur auf Smartphones nutzbare App analysiert das Verhalten der Nutzer auf ihren Geräten und exportiert keine persönlichen Daten. „Statt die Daten zum Algorithmus zu bringen, bringen wir den Algorithmus zu den Daten“, erklärt CEO Lundbæk.

Individuelle Modelle würden auf den Mobiltelefonen trainiert, danach könne das Suchverhalten an sich als Modell genutzt werden, um auch die Suchergebnisse anderer Menschen zu verbessern. „Wir glauben, dass Privatsphäre nur Mainstream wird, wenn es die gleiche Nutzererfahrung bietet wie die nicht datenschutzgetriebenen Applikationen“, sagt er.

Inzwischen ist die Firma nach Berlin umgezogen und hat unter anderem beim Münchener Risikokapitalgeber Earlybird 9,5 Millionen Euro eingesammelt.

Langfristig will sich Xayn über ein Premiummodell und ein Angebot für Unternehmen finanzieren, die eigene Datenressourcen an die Suchmaschine anschließen können. Derzeit läuft ein Test mit den Behörden einer deutschen Großstadt.

Dirk Lewandowski, der Professor aus Hamburg, hat laut eigener Auskunft „schon viele Suchmaschinen kommen und gehen sehen“. Er bezweifelt, dass Google auf absehbare Zeit ernsthaft zurückgedrängt werden kann. Wenn Wettbewerber diese Ambition äußerten, sei das meistens auch eher eine Marketingmaßnahme. „Man kann auch anderweitig nennenswerte Umsätze machen.“

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×