Wir leben in einer Informationsflut. Doch was neue Ideen fördert, kann gleichzeitig Kreativität blockieren. Forscher testen neue Wege, das Paradox aufzulösen.
Programmierer im Gespräch
Die Digitalisierung hält Einzug in alle Lebensbereiche und sie beeinflusst auch unsere Kreativität.
Bild: Maskot/Getty Images
Aachen, Düsseldorf Was unterscheidet den Menschen von der Maschine? Kreativität. So eine weit verbreitete Meinung. Aber wie funktioniert Kreativität, und vor allem – verändert sie sich nicht auch, wenn sich durch die Digitalisierung auch so vieles andere ändert?
Eine kühle Halle am Rande von Aachen. Die ganze Stadt ist voll von Instituten, Hörsälen und Mensen der RWTH Aachen. Die Hochschule ist seit 150 Jahren eine Institution in der Technikforschung – und hier, fast schon am Stadtrand, in dieser unscheinbaren Halle kommt nun seit kurzer Zeit etwas zusammen, was früher oft als Gegensatz galt: Kreativität und Maschine.
Die österreichische Professorin Sigrid Brell-Cokcan deutet auf den ruhenden Arm eines orangenen Industrieroboters. Davor steht eine Säule aus grauem Beton, unten deutlich schmaler als oben. Sie ist nicht solide, sondern luftig, wie ein grob gestrickter Pullover. Diese Säule hat es so noch nicht gegeben. Der Student, der sie hergestellt hat, ist für das Fertigungsverfahren ausgezeichnet worden.
Sie wurde nicht – wie sonst bei Beton üblich – in Form gegossen, sondern von dem Roboterarm „freischwebend extrudiert“, also in den Raum gespritzt, ähnlich wie bei einem 3D-Drucker. Der Vorteil: Die Säule braucht weniger Material. Die Innovation war nur möglich, weil sich der Student bewusst von etablierten Methoden gelöst hat.
Brell-Cokcan stellt ihren Studierenden eine Software zur Verfügung, die es ihnen ermöglicht, vermeintlich komplizierte Maschinen für die Umsetzung ihrer Ideen einzuspannen – und damit etwas völlig Neues zu erschaffen. Die Professorin lässt ihre Studierenden ausprobieren, testen und scheitern. Für sie zählt das Ergebnis. Den Weg dorthin sollen die Studierenden selbst finden.
2015 hat Brell-Cokcan den Lehrstuhl für individualisierte Bauproduktion gegründet, ein interdisziplinärer Fachbereich, der am Einsatz neuer Technologien für das Bauwesen forscht. Bis heute ist sie dessen Direktorin. Für sie ist klar: „Wir benutzen Technologie, um die Kreativität zu erweitern.“
Kreativität gilt als Wunderwaffe des Menschen gegen die Macht der Maschinen. Die können zwar schneller analysieren, sich mehr merken und dank Sensoren auch mehr mitbekommen als wir.
Aber wir können außerhalb der Box denken. Wir müssen uns nicht an Regeln halten, können Zusammenhänge selbst in vermeintlich unzusammenhängenden Situationen erkennen, können Dinge neu kombinieren. Maschinen sind davon meist überfordert. Zwar gibt es mittlerweile Künstliche Intelligenz, die selber Musik komponiert oder Bilder malt, aber selbst deren Funktionen sind darüber hinaus stark eingeschränkt.
Doch haben die Menschen mit ihrer Kreativität nicht nur eine zunehmend digitale Welt erschaffen, sie haben eine Spirale in Gang gesetzt. Denn diese digitale Welt verändert die Kreativität der Menschen.
Schon der Ökonom Joseph Schumpeter sagte, dass Innovation durch Rekombination entsteht. Und noch nie in der Geschichte war der Zugang zu Informationen aller Art einfacher als heute. Knapp 2,4 Millionen Artikel listet Wikipedia – nur im deutschsprachigen Raum. Dazu kommen rund sechs Millionen auf Englisch, insgesamt sind es mehr als 51,5 Millionen.
Jeden Tag schauen Nutzer in 91 Ländern eine Milliarde Stunden Videos auf Youtube. Laut den Marktforschern von Statista nutzen rund 4,1 Milliarden der 7,8 Milliarden Menschen weltweit regelmäßig das Internet. In Deutschland sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung online.
Tatsächlich belegt die Bundesrepublik einen der Spitzenplätze des Global Innovation Index, der jährlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen erstellt wird. Deutschland ist auf Platz neun der Länder mit gleicher Einkommensgruppe, hinter Ländern wie Dänemark, Schweden oder den Niederlanden. Sind wir also die kreativste und damit innovativste Gesellschaft aller Zeiten?
Rainer Holm-Hadulla sagt: „Es hilft Ihrer Kreativität nicht, wenn Sie einfach irgendwo im Internet unterwegs sind und das Gesehene nicht einordnen können.“ Der Professor erforscht Kreativität, lehrt an der Universität Heidelberg und leitet das Heidelberger Institut für Coaching.
Zwar sei es richtig, dass Kreativität die Neukombination vorhandener Informationen sei. „Aber das kombinatorische Denken kann nur das neu denken, was Sie selbst gespeichert haben. Wir können neurowissenschaftlich zeigen, dass Wissenserwerb und kombinatorisches Denken leiden, wenn jemand die ganze Zeit durch visuelle Reize gebannt ist.“
Solide im Gedächtnis verankertes Wissen und ungestörtes Fantasieren seien für Kreativität unerlässlich. Viele Fälle von Goethe und Albert Einstein bis zu Bill Gates würden zeigen, dass kreative Ideen auf dem Boden souveräner Fachkenntnisse beim ungestörten Mind-Wandering und sogar im Schlaf entstehen.
Holm-Hadulla ist deswegen aber kein Gegner neuer Technologien, im Gegenteil. Es sei wichtig, digitale Medien und andere Maschinen als Instrumente kompetent zu nutzen und den Umgang mit ihnen zu lernen. Dabei dürfe aber die Entwicklung der spezifisch menschlichen Kreativität nicht vergessen werden.
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