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20.01.2021

04:00

Digitale Revolution

SAP, Salesforce, IBM: Softwarehersteller entwickeln Lösungen für den Kampf gegen das Virus

Von: Christof Kerkmann

Die Corona-Impfungen sind ein logistischer Kraftakt. Softwarehersteller wie SAP, Salesforce und IBM wollen dabei helfen – und sich auch profilieren.

Lieferketten-Tracking, Terminbuchungssysteme, digitale Impfausweise: Mit Software wollen große Konzerne der Pandemie beikommen. Credit: Getty Images, SAP, IBM, Salesforce (M)

Software-Lösungen gegen Corona

Lieferketten-Tracking, Terminbuchungssysteme, digitale Impfausweise: Mit Software wollen große Konzerne der Pandemie beikommen.

Credit: Getty Images, SAP, IBM, Salesforce (M)

Düsseldorf Serum und Spritzen, Trockeneis und Kühlboxen, Transporter und Verteilzentren, Ärzte und Pfleger: Die Impfungen gegen das Coronavirus Sars-CoV-2, die in Deutschland vor einigen Wochen begonnen haben, sind ein logistisches Großprojekt.

Um innerhalb weniger Monate viele Millionen Menschen zu immunisieren, bedarf es einer ausgeklügelten Organisation. Davon hängt maßgeblich ab, wann die Politik die massiven Beschränkungen wieder aufhebt, die in diesen Tagen wohl noch verschärft werden sollen.

Für Hersteller von Geschäftssoftware und Dienstleister für Digitalisierung ist diese Ausnahmesituation eine große Chance: Sie können demonstrieren, welches Potenzial ihre Technologie bietet – und gleichzeitig etwas Gutes tun. Durch das große öffentliche Interesse ergebe sich für die Unternehmen „ein sehr guter Showcase“, um die eigenen Lösungen vorzuführen, sagt Axel Oppermann, Gründer des Analysehauses Avispador.

Es sei „eine tolle Referenz, wenn zum Beispiel Moderna die ganze Logistik mit SAP abbildet“, meint beispielsweise SAP-Chef Christian Klein. Der deutsche Softwarehersteller bietet mit dem „Vaccine Collaboration Hub“ eine Lösung für das Management der Lieferkette an, die auch der amerikanische Impfstoffhersteller nutzt.

Digitaler Blick in den Kühlschrank des Impfzentrums

Zu den Kunden von SAP zählt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Sachsen, das im Freistaat die Impfung gegen das Corona virus organisiert. Der Landesverband beauftragte den Softwarehersteller im Dezember, gemeinsam mit der Telekom-Tochter T-Systems ein System einzurichten, das Funktionen für Logistik und die Terminvergabe bietet. Seit gut zwei Wochen läuft es.

„Der Impfstoff ist ein rares Gut“, sagt Andrea Lehmann, stellvertretende Leiterin des Impfzentrums in Kamenz im Landkreis Bautzen, „deswegen ist es extrem wichtig, dass wir damit genau umgehen.“ Die Software verschafft dem DRK Transparenz – über den Eingang und die Nutzung von Wirkstoffen, aber auch über die Lagerung.

Die Impfkampagne ist ein logistisches Großprojekt – intelligente Software soll dabei helfen. dpa

Spritze mit Impfstoff

Die Impfkampagne ist ein logistisches Großprojekt – intelligente Software soll dabei helfen.

Wenn eine Lieferung ankommt, zählen die Mitarbeiter des Impfzentrums die Dosen zunächst nach, bevor sie diese in den Kühlschrank legen. Der werde abgeschlossen und bewacht, betont Lehmann. Anschließend trägt die Führungskraft die Charge mit ihrem Notebook in das System ein. Falls es Abweichungen von der Menge gibt, die das Zentrallager geschickt hat, fällt das direkt auf.

Auch die Nutzung von Vakzinen überwachen Lehmann und ihr Team mit der Software. Wenn etwa ein mobiles Team nicht den gesamten Impfstoff verbraucht, lagern die Mitarbeiter ihn wieder ein und verbuchen ihn im System – sofern der Tracker in der Kühlbox einwandfrei dokumentiert, dass das Mittel den ganzen Tag kühl gelagert wurde. Selbst wenn die Ärzte aus einer Ampulle nur fünf statt sechs Dosen entnehmen können, wird das vermerkt.

Nach der kurzfristigen Einführung der Technik ist noch einiges zu tun. So war die Online-Terminvergabe in Sachsen zwischenzeitlich lahmgelegt, weil ein Dienstleister, der für die Verifizierung von Namen zuständig ist, Verfügbarkeitsprobleme hatte.

Zudem wird noch daran gearbeitet, dass das Terminbuchungssystem auf den Lagerbestand zugreifen kann, um automatisch die Zahl der freien Plätze zu ermitteln. Andrea Lehmann zieht aber bereits ein positives Fazit: „Bei uns ist ein Alltag absehbar, das läuft in geregelten Bahnen.“

SAP ist Marktführer bei Lösungen für die Lieferkette

Bei SAP kennt man sich mit solchen Themen aus: Der Softwarehersteller gilt bei Lösungen für die Lieferkette – im Fachjargon Supply Chain Management (SCM) – als Marktführer. Unternehmen organisieren mit den SAP-Systemen komplexe Logistikprozesse. Auch rund 80 Prozent der Pharmakonzerne zählen nach Konzernangaben zu den Kunden.

Als Kunden im vergangenen Jahr Interesse an einer Lösung für die Impfstofflogistik bekundeten, entwickelten Experten aus verschiedenen Bereichen wie Logistik und Pharmaindustrie den Vaccine Collaboration Hub. Die Lieferkette sei in praktisch allen Ländern ähnlich organisiert, berichtet der Konzern – das erleichtert die Entwicklung eines Standards.

Das System greift auf mehrere bestehende Lösungen zurück, zum Beispiel für die Nachverfolgung von Lieferungen: Beim Transport von Lebensmitteln, Chemikalien und Medikamenten ist es seit Jahren üblich, dass Lkws ihren Standort sowie für die Qualität relevante Daten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-Gehalt und Erschütterungen übermitteln, dank Sensoren und Mobilfunk in Echtzeit.

Das Bestandsmanagement wiederum ist für Handelsunternehmen eine Standardfunktion: Viele Anbieter gleichen Wareneingänge und Verkäufe direkt mit dem Bestand ab – es gilt, ausreichend Nachschub vorzuhalten, aber gleichzeitig die Lagerkosten zu drücken. Dicke Bände und lange Anleitungen sind zu diesen Themen bereits erschienen.

Die Coronakrise erschwere logistische Prozesse, betont SAP-Chef Klein – zum Beispiel, wenn Komponenten knapp werden oder Lieferanten ausfallen. „Unsere Wettbewerber haben auch einige Lösungen für die Impflogistik, aber die Kernprozesse für die Herstellung und Bereitstellung von Impfstoffen laufen über SAP.“ Der Manager sieht darin einen Wettbewerbsvorteil.

Auch Salesforce und IBM bieten Systeme für Impflogistik

Tatsächlich haben zahlreiche Softwarehersteller Lösungen für den Kampf gegen das Coronavirus entwickelt. „Bei diesem prominenten Thema lässt sich leicht Sichtbarkeit herstellen“, sagt Analyst Axel Oppermann. „Für die logistische Unterstützung der Impfungen wird die gesamte Klaviatur der IT benötigt“ – von den Sensoren in der Kühlbox bis zur Verarbeitung in der Cloud, von der IT-Sicherheit bis zur Prozessautomatisierung.

Zum Umfang des Geschäfts äußern sich die Softwarehersteller nicht, zumal es nicht so einfach zu beziffern sein dürfte. Vielfach handelt es sich dabei nämlich um einzelne Funktionen von Produkten. Dass es sich lohnt, stehe aber außer Frage, sagt Analyst Oppermann. „Die Wahrnehmung vieler Kunden ist: Wer das kann, kann alles.“

Sehr aktiv ist beispielsweise Salesforce: Der Spezialist für Vertrieb und Marketing, der zunehmend Software für interne Geschäftsprozesse anbietet, vermarktet über die Plattform Work.com verschiedene Programme, mit denen Unternehmen die Einhaltung der Abstandsregeln forcieren und Infektionen nachvollziehen können. Zudem hat der Konzern eine digitale Kommandozentrale entwickelt, die Daten über die Verteilung des Impfstoffs übersichtlich aufbereitet.

Die Impfallianz Gavi nutzt diese, um Schwellenländer mit Vakzinen zu versorgen. Die Cloud-Plattform ermögliche der Organisation, effizient Daten für Impfkampagnen zu sammeln und auszutauschen, sagt Salesforce-Manager David Ragones, der für nichtkommerzielle Kunden verantwortlich ist. „Während in der Vergangenheit Tabellenkalkulationen und ältere Technologien ausgereicht haben mögen, ist dies bei Covid-19 eindeutig nicht der Fall.“

IBM wiederum, das sich neu ausrichtet und das Geschäft mit IT-Dienstleistungen abspaltet, hat das „Vaccine Accountability Network“ aufgebaut: Mit dem System sollen Regierungen, Gesundheitswesen und Privatwirtschaft den Impfstoffversand orchestrieren können. Dabei stellt der IT-Konzern die Sicherheit in den Mittelpunkt. So werden Informationen über jede einzelne Impfstoffcharge in einer Blockchain dezentral und fälschungssicher gespeichert.

Die Verantwortlichen sollen so zum einen den Bestand an Wirkstoffen überwachen und schnell auf Unterbrechungen der Lieferkette reagieren können, zum anderen bei Nebenwirkungen den Weg des verwendeten Impfstoffs zurückverfolgen können – im Idealfall bis in die Fabrik. Je reibungsloser die Kampagne läuft, so die Hoffnung, desto höher die Akzeptanz.

Eine Initiative in den USA arbeitet zudem an einem digitalen Impfausweis, mit dem Nutzer ihre Immunisierung dokumentieren können, ob gegenüber dem Arbeitgeber oder einer Fluggesellschaft. Die Daten sollen auf dem Smartphone gespeichert werden. Der „Vaccination Credential Initiative“ gehören unter anderem Microsoft, Oracle und Salesforce an. Der digitale Impfausweis soll wieder ein öffentliches Leben ermöglichen, dürfte in Deutschland allerdings auf Widerstand stoßen.

Krise zeigt Probleme bei der Digitalisierung

Die Umsetzung dieser technischen Konzepte ist nicht trivial. Gerade in Deutschland hinken viele Behörden bei der Digitalisierung hinterher. So stockt in den Gesundheitsämtern die Einführung einer Software für die Kontaktverfolgung.

Die Vision, die mehrstufige Lieferkette der Impfstoffe transparent zu machen – von der Fabrik bis zur Vene –, lässt sich derzeit kaum umsetzen. „Die Krise lehrt uns alle, wo wir in Sachen Digitalisierung noch besser werden müssen“, erklärt SAP dazu diplomatisch.

Und noch etwas ist schmerzlich zu spüren, auch in Sachsen: Die Technologie hilft nicht, wenn es an Vakzinen fehlt. Hersteller Biontech habe wegen eines Werksumbaus die Produktion heruntergefahren. Man wisse daher nicht, wie viel Impfstoff für die übernächste Woche zur Verfügung stehe, berichtet das DRK im Freistaat. Zum Ärger vieler Bürger, die sich vergeblich um eine Impfung bemühen.

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