Generell sei es für den kreativen Alltag wichtig, dass man ein gutes Gleichgewicht findet, wann und wie man am Bildschirm konzentriert ein Problem löst und wann man aufblickt und zum Beispiel am Fenster den Wolkenformationen nachhängt. Dabei werden andere Hirnfunktionen aktiv, und es laufen ganz andere Denkvorgänge ab, die man unter dem Begriff des „Default Mode“ zusammenfasst: „Wir brauchen beides, das Zusammenspiel von konzentriertem Problemlösen und freiem Assoziieren“, so Holm-Hadulla weiter. „Kreativität ist etwas Dialektisches, das zwischen unterschiedlichen Polen hin- und hergeht: Struktur und Freiraum, Ordnung und Chaos.“
Sigrid Brell-Cokcan lehnt sich in der Halle in Aachen an einen Tisch. Neben und hinter ihr stehen unterschiedliche Maschinen: eine grobe, mit der Gebäude abgerissen werden, und zwei elegantere Greifarme von Kuka. Einer davon ist nur ein Prototyp, sie und ihre Studierenden helfen bei der Entwicklung mit.
Bei der Arbeit mit digitalen Mitteln und Technologie seien Spontanität und schnelle Kombinatorik wichtig, sagt die Professorin. Das müsse eigentlich in der Schule gelernt werden. Brell-Cokcan meint: „In unserer Leistungsgesellschaft kommen Freiräume oft zu kurz.“ Die Forscherin ist überzeugt: „Oft geht Technologieaffinität in der Schule verloren.“
Brell-Cokcan ist als Architektin selbst durch einen Zufall zur Robotik gekommen. Sie hat mit einigen international renommierten Architekten wie Coop Himmelblau, Frank O. Gehry, Peter Cook oder Bollinger & Grohmann an Projekten wie dem Kunsthaus Graz, dem MARTA Herford oder der BMW World in München gearbeitet.
Als sie entdeckte, dass die Arbeit mit Robotern im Bauwesen nicht nur einiges erleichtern, sondern auch vieles überhaupt erst möglich macht, gründete sie 2010 gemeinsam mit Johannes Braumann den internationalen Verein für Robots in Architecture.
Er widmet sich der Erforschung von Industrierobotern für Anwendungen in Architektur, Design und Kunst – und ist laut eigener Aussage das „größte kreative Netzwerk, was von Apple, Google und Co. rekrutiert wird“. Der Verein arbeitet mit rund 100 Universitäten und 50 Partnern aus der Wirtschaft zusammen.
Sie hat eine eigene Art gefunden, Studierenden an neue Technologien heranzuführen: „Ich erkläre den Studierenden nicht, dass sie nun die Roboter programmieren sollen, das verunsicherte einige“, erklärt sie. „Unsere Aufgabe ist es, die Zugänglichkeit zur Technologie so zu gestalten, dass sie keine Hürde ist.“
Der DJI-Gründer Wang Tao ist ein Perfektionist: Für die Entwicklung der Produkte ist das ein Segen, für so manchen Mitarbeiter ist es ein Fluch.
Also gibt sie ihnen eine eigens entwickelte, einfach bedienbare Software an die Hand und eine allgemeine Aufgabenstellung, den Rest finden die Studenten selbst heraus. „Als würden wir den Leuten einen Schlüssel in die Hand geben, und dann schauen wir, welches Schloss sie aufschließen.“
Dieses Austüfteln kommt in den Unternehmen oft zu kurz, meint Sascha Friesike. Er ist unter anderem Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin, Direktor des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft – und er erforscht Kreativität. „Die Unternehmen übersehen, dass ganz viel Kreatives entsteht, wenn ihre Mitarbeiter die Möglichkeit haben, etwas auszuarbeiten, sich zurückzuziehen und Informationen zu verarbeiten“, sagt er.
Weil es bekannt sei, dass Kreativität aus der Kombination vorhandener Informationen stamme, würden viele Organisationen viel dafür tun, das Wissen und den Zugang zu Informationen zu vernetzen – etwa, indem sie Großraumbüros schaffen: „Dabei ist das zu kurz gesprungen. Der Zugang zu Informationen allein macht nicht kreativer“, betont Friesike. Großraumbüros seien zwar nicht genuin digital, aber sie seien Artefakt dieser Digitalisierung mit dem Anspruch, mehr Kreativität möglich zu machen, aber haben ganz oft den gegenteiligen Effekt.
Er ist deswegen kein Kritiker der Digitalisierung. Deren Einfluss auf die Kreativität sei ein zweischneidiges Schwert, sagt er. Zum einen helfe der Zugang zu Informationen dabei, kreativer zu werden, meint Friesike.
Aber es gebe auch Faktoren, die sich negativ auswirken würden: den Matthäus-Effekt zum Beispiel. „Wenn ich nach einem bestimmten Thema google, finde ich weltweit sehr ähnliche Ergebnisse“, erklärt er. „Und dadurch nimmt in vielen Bereichen die Kreativität eher ab, weil Inspiration aus immer den gleichen Quellen gezogen wird.“
Wer heute ein Café einrichten wolle, würde sich auf Instagram erfolgreiche Cafés angucken, weswegen sie zunehmend überall auf der Welt ähnlich aussähen. Früher hätte Kreativität geografische Aspekte gehabt, in Norddeutschland seien Dächer anders gedeckt worden als in Süddeutschland. „Eigentlich haben wir Zugriff auf viele unterschiedliche Informationen. Aber durch die automatisierten Rankings der Plattformen wie Instagram oder Google passiert nun das Gegenteil, ich schöpfe aus einem geringeren Informationspool, den zudem auch praktisch alle anderen zur Inspiration nutzen.“
Dabei sei Kreativität sehr wichtig: Durch die Digitalisierung werde zunehmend auch klassische Wissensarbeit automatisiert. „Deswegen müssen wir uns dringend darum kümmern, Leute darin auszubilden, kreativer zu werden.“
Da stimmt ihm Sigrid Brell-Cokcan zu: „Mein Anspruch ist, dass ich Studierende durch Technologie wieder zu Erfindern mache.“ Mittlerweile würden auch im Architekturbereich Start-ups entstehen, die unterschiedlichste Plattformen anbieten. „Wir passen durch Technologie unsere Kognition und unsere Aufnahmefähigkeit an. Der ein oder andere ist vielleicht am Anfang etwas verunsichert, aber man passt sich schnell an. Die kognitiven Fähigkeiten verändern sich.“
Vor allem: „Künstler und Architekten sind findig bei der Adaption neuer Technologien, die einem helfen“, sagt sie und lächelt.
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