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27.01.2021

04:00

Digitale Revolution

Vernetzt, aber einsam – warum Unternehmen eine neue Arbeitskultur benötigen

Von: Lazar Backovic, Christof Kerkmann, Michael Scheppe

Zoom bedienen können alle, doch erfolgreiche Arbeit im Homeoffice benötigt mehr. Wie Chefs ihre Mitarbeiter erreichen und die Kreativität fördern.

Durch die Arbeit im Homeoffice fehlt Mitarbeitern oft die persönliche Verbindung. Getty Images (M)

Digitale Zusammenarbeit

Durch die Arbeit im Homeoffice fehlt Mitarbeitern oft die persönliche Verbindung.

Düsseldorf Auf dem Campus rollen die Bagger. Der Handelskonzern Otto baut im Hamburger Stadtteil Bramfeld eine neue Zentrale, im nächsten Jahr soll sie fertig werden. Wie viele Menschen die Büros künftig bevölkern werden, ist aber unklar: Derzeit sind die Mitarbeiter wegen der Corona-Pandemie zu einem großen Teil im Homeoffice – und eine Umfrage zeigt, dass die meisten auch nach dem Ende des Ausnahmezustands zumindest einen Teil der Arbeit von zu Hause aus erledigen wollen.

Trotzdem habe die Zentrale weiterhin eine wichtige Funktion, sagt IT-Chef Michael Müller-Wünsch: „Die Qualität der Organisation wird leiden, wenn uns die soziale Dimension fehlt – wir müssen eine Balance finden.“ Das Management will den Campus daher zu einem Ort für Begegnungen ausbauen, mit Räumen für Konferenzen und Zusammenarbeit. Es soll ein „emotionales Zentrum“ werden.

Otto tastet sich an eine neue Art des Arbeitens heran – so wie derzeit viele Unternehmen. Ein Jahr nachdem der erste Fall des Coronavirus in Deutschland aktenkundig geworden ist, mag die Technik im Homeoffice einwandfrei laufen, doch eine neue Arbeitskultur bildet sich erst langsam heraus. Eine neue Arbeitsweise für die zweite Infektionswelle wie auch für die Zeit nach der Pandemie.

Wie bleibt das Teamgefühl erhalten, wie entstehen Freiräume für Kreativität, und wie bekommen Chefs die Nöte ihrer Mitarbeiter mit? Einfache Antworten gebe es nicht, betont Ottos IT-Chef Müller-Wünsch: „Wir müssen das üben.“ Die Erfahrungen von Otto und anderen Unternehmen zeigen aber, welche Strategien Organisationen helfen können, trotz der Distanz zusammenzufinden.

Führung mit Umfragen und digitalem Kaffeeklatsch

Als sich die Corona-Pandemie in Deutschland verbreitete, schickte der Versandhändler Otto die Mitarbeiter bald ins Homeoffice. Laptops und Fernzugänge hatte die IT bereits zwei Jahre zuvor angeschafft. Die Technik lief reibungslos.

„Was wir nicht wussten: Wie funktioniert Führung aus der Distanz?“, berichtete IT-Chef Müller-Wünsch diese Woche auf der Handelsblatt-Tagung „Strategisches IT-Management“. Das habe man nicht tagtäglich praktiziert.

Die Kommunikation, so der IT-Manager, sei dabei zentral. Otto führt deswegen regelmäßig Umfragen durch, um die Situation der Mitarbeiter zu verstehen. Müller-Wünsch, intern MüWü genannt, lädt seine Kollegen in der IT immer dienstags zu einem virtuellen „Good Morning Coffee“. Der Alltag mit den vielen Videokonferenzen sei sehr intensiv, daher wolle er einen Freiraum für Gespräche jenseits des Geschäfts schaffen.

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Die Situation dürfte anderswo ähnlich sein. Viele Manager haben mit ihren Abteilungen und Bereichen Erfahrungen gesammelt und kommen zurecht – zumindest rein kommunikationstechnisch betrachtet. Doch ob Entwicklungsabteilung, Marketing oder Finanzwesen: Die dauerhafte Steuerung virtueller Teams ist eine Herausforderung.

Während in einer Umfrage der Personalberatung Odgers Berndtson unter knapp 1500 Führungskräften aus dem deutschsprachigen Raum sechs von zehn angeben, dass ihre Mitarbeiter sehr flexibel auf die Herausforderung Homeoffice reagiert haben, sind nur drei von zehn uneingeschränkt mit der Produktivität einverstanden.

„Es hängt an der Bereitschaft umzulernen“

Alexandra Altmann weiß: Das ist nicht die einzige Frage, die sich Manager stellen. Sie ist Gründerin der Beratungsfirma Virtuu, die Workshops zum Thema „Führen in der neuen Normalität“ anbietet – 1500 Teilnehmer haben diese seit Beginn der Pandemie durchlaufen.

Die Beraterin verspürt eine Unsicherheit. „Wie schaffe ich es, den Teamspirit aufrechtzuerhalten? Wie nehme ich Menschen mit? Wie kann ich meine Leute befähigen, in einer anderen Kultur zusammenzuarbeiten?“, so lauteten typische Fragen.

Die Beraterin bringt Managern bei, wie sie vor der Kamera überzeugend auftreten, mit Moderationstechnik und der richtigen Ausleuchtung zum Beispiel. Und sie vermittelt, welche Programme sich für welche Art der Kommunikation eignen, ob Videokonferenzen, Chats oder virtuelle Whiteboards. Die Technik sei fundamental, ohne ein Grundwissen gehe es daher nicht.

„Soziale Nähe bei physischer Distanz herstellen – letztendlich hängt es an der Bereitschaft umzulernen“, betont Altmann. Darin sieht die Beraterin nicht allein eine Aufgabe für den Einzelnen: Das Management müsse zusammen mit der IT und der Personalabteilung dafür sorgen, dass Führungskräfte für die neue Normalität fit werden.

Wenn die Mitarbeiter weit weg und Anlässe für Gespräche selten sind, müssen Führungskräfte ihre Mitarbeiter in die Lage versetzen, eigenständig zu arbeiten – und ihnen vertrauen. Wenn man sich nicht um Führung kümmere, so Altmann, „droht die Qualität der Arbeit zu leiden“.

Fester Rahmen für persönliche Treffen

Im Mischkonzern Baywa gehörte die Arbeit im Homeoffice vor der Pandemie nicht zum Alltag – es habe da bei vielen Vorgesetzten Vorbehalte gegeben, berichtete CIO Tobias Fausch auf der Handelsblatt-Tagung. Zumal in dem Konzern, der neben Produkten für die Landwirtschaft auch im Bau- und Energiesektor tätig ist, die Kollegen in der Produktion vor Ort sein müssen. Nicht alle können im Homeoffice arbeiten.

Die Umstellung klappte jedoch erstaunlich reibungslos. „In der IT sind einige Projekte sogar pünktlicher fertig geworden als vor Corona“, bilanziert Fausch. Seine Beobachtung: Die digitale Zusammenarbeit laufe zielstrebiger, allerdings weniger leidenschaftlich.

Trotzdem – oder gerade deswegen – fehlt etwas. „Die Leute möchten in die Firma, um sie wieder zu spüren“, sagt Fausch. „Was am meisten vermisst wird, ist der Kaffeeklatsch.“ Der sei wichtig, weil er die Kultur einer Firma mitpräge.

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Der Konzern arbeitet deswegen an einem Konzept für die neue Normalität. Zu den Säulen zählt – neben der richtigen Technik und veränderten internen Prozessen – beispielsweise auch die Gestaltung der Arbeitswelt.

So schafft Baywa für den Informationsaustausch jenseits von virtuellen Meetings gezielt Anlässe, ob eine virtuelle Happy Hour oder eine digitale Kaffeelounge, die wie im echten Leben immer geöffnet hat. Und weiterhin gibt es Anlässe, bei denen Fausch eindeutig persönliche Treffen vorzieht – zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen oder der Einarbeitung neuer Kollegen.

Auch bei der Generali Versicherung in der Schweiz macht man sich darüber Gedanken. „Die Firma ist ein soziales Gebilde, man hat ein Beziehungsnetzwerk, das trägt für eine gewisse Zeit“, sagt Chief Operating Officer Martin Frick. „Aber man muss sich darauf fokussieren, es aktiv zu halten.“

Mit der Zeit mache sich sonst ein gewisser Verfall bemerkbar, vergleicht der Physiker. Sprich: Wenn die Arbeit aus dem Homeoffice zum Standard wird, braucht es neue Möglichkeiten, die Verbindungen wieder zu stärken – die Kontaktmöglichkeiten müsse man institutionalisieren, sagt Frick.

Mehr Unterstützung für Kreativität

Besonders wichtig ist das für die Kreativität. Die frischen Ideen kommen einem selten allein am heimischen Schreibtisch. Das bestätigt eine aktuelle Befragung des Business-Intelligence-Anbieters Leesman unter 145.000 Beschäftigten weltweit.

Danach fühlten sich 28 Prozent der Befragten im Homeoffice nicht oder zu wenig unterstützt, wenn es um kreative Zusammenarbeit geht. Der Leesman-Index erfasst regelmäßig das Feedback von Beschäftigten zu Themen wie Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitsplatzeffektivität.

Für Kreativitätsforscher wie Rainer Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg, ist Kreativität etwas, das „klare Strukturen“ brauche, „um innerhalb dieses Rahmens frei fantasieren zu können“.

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Nicht umsonst hätten die meisten bedeutenden Künstler, Wissenschaftler und politisch Aktiven feste Arbeitsriten, die sie durch den Kreativprozess begleiten. Grundsätzlich ist all das natürlich auch von zu Hause aus möglich. Aber es braucht in jeder der Phasen auch Impulse von außen, damit der Kreativprozess weiter vorangetrieben wird.

In den nächsten Monaten dürfte sich zudem die Frage stellen, wie die hybride Arbeit organisiert wird. Wie also laufen Meetings, wenn einige Mitarbeiter im Büro sind, andere im Homeoffice?

Generali-Manager Frick hält das für einen „extrem relevanten Punkt“: Diejenigen, die nicht vor Ort sind, sollen nicht benachteiligt werden, etwa durch Nebenabsprachen, die nach dem eigentlichen Meeting geschehen.

Digitale Pflege des externen Netzwerks

Noch nie war es so wichtig, ein Netzwerk zu besitzen wie in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Gleichzeitig war es noch nie so schwierig, Kontakte zu pflegen. Auf Konferenzen oder Fachmessen ins Gespräch kommen? Derzeit schwierig.

Dabei sind Netzwerke für die Karriere essenziell. Es sind die Orte, an denen Informationen ausgetauscht und Allianzen geschmiedet werden oder sich neue berufliche Chancen ergeben. Sie geben Zugänge zu Gruppen, die anderen verschlossen bleiben.

Vor allem Karriereplattformen wie Xing oder LinkedIn können in Pandemiezeiten eine neue digitale Heimat für den persönlichen Austausch bieten, auch dass die App Clubhouse derzeit so boomt, dürfte kein Zufall sein. Aber welche anderen Möglichkeiten gibt es ganz konkret, trotz Abstand neue Kontakte zu knüpfen und vor allem alte zu pflegen?

Für den Einstieg gilt: ehemalige Kommilitonen, Arbeitskollegen oder Kontakte anfragen, die man von Messen oder Veranstaltungen kennt. Schritt zwei: Nutzer aus einer ähnlichen Branche kontaktieren, am besten mit einer individuellen Nachricht.

Die LinkedIn-Chefin für die deutschsprachigen Länder, Barbara Wittmann, rät dazu, sich mit Kontakten zweiten Grades zu vernetzen – am besten, indem man enge Kontakte bittet, sich bei deren Bekannten vorstellen zu dürfen. Das geht auch von zu Hause aus.

Und die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger empfiehlt, einen Spaziergang pro Woche mit einem Menschen zu machen, den man noch nicht so gut kennt – das verstößt auch nicht gegen Hygieneregeln.

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