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10.03.2021

04:00

Digitale Revolution

Wie Microsoft Hologramme in die Arbeitswelt bringen will

Von: Axel Postinett

Jeder kennt sie aus Science-Fiction-Filmen: Hologramme, die virtuelle und reale Welten verbinden. Mit einer neuen Technologie-Plattform macht Microsoft sie für die Büros bereit.

Datenbrillen verwandeln die reale Bewegung in Echtzeit in den Griff einer digitalen Hand. Microsoft

Besprechung in der „Mixed Reality“

Datenbrillen verwandeln die reale Bewegung in Echtzeit in den Griff einer digitalen Hand.

San Francisco Vordenker und Starprogrammierer Alex Kipman gilt bei Microsoft schon mit Anfang 40 als Legende. Daher erstaunte es weniger, dass der gebürtige Brasilianer vor wenigen Tagen die Microsoft-Entwicklerkonferenz „Ignite 2021“ eröffnete.

Überraschender war, wie der Entwickler auftrat – als Hologramm. Eine täuschend echte Illusion seines Körpers stand auf dem Boden eines virtuellen Aquariums. Konferenzteilnehmer konnten sich mit der Microsoft-Datenbrille Hololens 2 in die Fischwelt beamen. „Es beginnt eine neue Ära des kollaborativen Computerarbeitens“, verkündete Kipman.

Möglich machte es Microsofts neuestes Projekt: „Mesh“, salopp übersetzt mit Mischmasch. Mesh ist eine Plattform für „Mixed Reality“, auch gemischte Realität oder „Augmented Reality“ genannt. Dabei werden echte und digitale Welt miteinander verbunden. Der Mensch steht gleichzeitig in beiden Realitäten. „Dahinter stehen jahrelange Forschung und Entwicklung“, so Microsoft-Chef Satya Nadella.

Ein wichtiger Teil von Mesh ist die 3500 Dollar teure Datenbrille Hololens 2, die Hand-, Augen- und Kopfbewegungen und Standortwechsel verfolgen kann. Gegenstände im digitalen Raum lassen sich berühren und bewegen. Die Datenbrille merkt, wenn die Hand ausgestreckt wird und etwas greifen will. Sie verwandelt die reale Bewegung dann in Echtzeit in den Griff einer digitalen Hand.

Die Brille ist mit der Cloud-Plattform Azure verbunden, mit deren Künstlicher Intelligenz und Hunderten von möglichen Apps. Laut Microsoft-CEO Nadella entsteht so ein „globaler Computer“, in dem die gesamte Arbeit erledigt wird. Unternehmenskunden müssen sich nicht mehr um Details kümmern, sondern die virtuelle Realität nur ihren Bedürfnissen anpassen.

Microsoft stellt Entwicklerwerkzeuge bereit, um existierende Software in Mesh zu integrieren. Konzernchef Nadella will gängige Programme wie Office, Dynamics und natürlich Teams bereit für die virtuelle Welt machen.

Teams soll Mesh zum Durchbruch verhelfen

Der Videokonferenzdienst Teams ist Microsofts aktuelles Erfolgsprodukt, mit größeren Wachstumsraten als Windows zu seiner Einführung in den Achtzigerjahren. „Stellen Sie sich ein mit Mesh aufgerüstetes Teams vor, wo Sie mit Kollegen aus aller Welt zusammenarbeiten können, so als ob sie alle physisch im selben Raum wären“, zeigt Kipman die Möglichkeiten auf.

Die Hoffnungen von Microsoft sind groß. Mit Mesh will das Unternehmen die Nutzung und Akzeptanz der eigenen Cloud erhöhen und den Vorsprung von Marktführer Amazon AWS aufholen. Die Rechnung von Microsoft: Jeder Unternehmenskunde kann zwar seine Cloud-Software betreiben, wo er will, aber Mesh-Meetings finden auf Microsoft-Servern statt. Und da wird die Zeit für Unternehmenskunden im Minutentakt abgerechnet.

Das „Internet der Hologramme“, so Forrester-Analyst J.P. Gowender, „könnte neuer Standard werden und die Zukunft der Arbeit beeinflussen“.

Nach Erhebungen der Analysten der Beratungsfirma 650 Group aus Incline Village in Nevada werden von allen Cloud-Firmen mit Infrastruktur für IT wie Rechenleistung, Speicher oder Netzwerk bereits zusammen 200.000 Dollar Umsatz pro Minute erzielt. Marktführer Amazon streicht davon allein 86.000 Dollar Umsatz pro Minute ein und erzielt daraus 26.000 Dollar Gewinn in der Minute. Da will Microsoft auch hin, und Mesh könnte helfen.

Google scheiterte kläglich an der Technologie

Hologramme sind nicht neu. Bislang waren sie aber eher Spielzeuge oder nützlich, um in Hollywoodfilmen extraterrestrische Bösewichte auf die Kommandobrücke des Raumschiffs Enterprise zu projizieren. Für den täglichen Einsatz spielten gemischt virtuelle Welten kaum eine Rolle. Erste Versuche wie „Second Life“ von Linden Labs krankten an technischen Problemen, hohen Kosten und langsamen Internetanbindungen.

Spektakulär scheiterte Google mit Augmented Reality. Die 1500 Dollar teure Datenbrille „Google Glass“ für den trendigen Computernerd sorgte 2015 für Aufsehen und verschwand 2019 wieder in der Versenkung. Doch auch Google gibt nicht auf. 2020 übernahm der Internetriese den Smartbrillenhersteller North. Ein Start-up namens Magic Leap arbeitet an einem neuen Produkt für Googles Unternehmenskunden in der Cloud.

„Wenn man sich die IT-Geschichte anschaut“, erläutert John Hanke, Chef des Spieleherstellers Niantic aus San Francisco, „ging es immer vom Businessleben in das Privatleben. Nie umgekehrt. Darum ist Google Glass gescheitert. Die wollten zuerst die Konsumenten. Microsoft aber ist groß im Businessbereich.“

Niantic wurde 2015 aus Google ausgegründet, hat laut Hanke heute 600 Mitarbeiter und setzt über eine Milliarde Dollar im Jahr um. Zugpferd ist „Pokémon Go“, ein Augmented-Reality-Spiel, in dem man mit seinen Pokémons, sympathischen Spielfiguren mit magischen Fähigkeiten, gegnerische Zielpunkte erobern muss. Das sind Orte in der echten Welt, zu denen man hingehen muss.

Der Rest läuft dann digital im Smartphone ab. Auf der Bühne zeigte Hanke, wie es aussehen würde, wenn man mit Datenbrille durch die Straßen geht, sein Pokémon an der Seite, dann auf einen anderen „Trainer“ mit seinem Pokémon trifft und ihn zum Wettkampf auffordern kann.

Microsoft will die Nutzung und Akzeptanz der eigenen Cloud erhöhen und den Vorsprung von Marktführer Amazon AWS aufholen. dpa

Datenbrille Hololens

Microsoft will die Nutzung und Akzeptanz der eigenen Cloud erhöhen und den Vorsprung von Marktführer Amazon AWS aufholen.

Vom Konkurrenten Mesh hält Hanke einiges. „Microsoft ist hier ein Pionier. Wenn sie vom Business- in den Konsumentenmarkt kommen, wollen wir bereit sein.“ Dass es so kommen wird, bezweifelt er nicht. „Der PC war nicht das Ende der Entwicklung, der Laptop nicht, das Tablet nicht, und das Smartphone wird es auch nicht sein.“

Niantic selbst entwickelt den Prototyp einer Datenbrille zusammen mit dem Chipriesen Qualcomm. „Da wird dann unsere Software drauf sein.“

Mit den Händen die Excel-Tabelle greifen

Mesh löst in Pandemiezeiten viele Probleme. In Zeiten, wo die Menschen weniger reisen, nicht in Gruppen arbeiten oder feiern können, bietet die Technologie einen Ausweg, um wenigstens digital wieder zusammenzukommen.

Greifen oder modifizieren kann man alles, was digitalisierbar ist. Designmodelle oder Excel-Daten. Die Säulen einer Tabellenkalkulation existieren nicht mehr nur auf dem Bildschirm, sie ragen im Konferenzraum aus dem Boden. Die Teilnehmer einer Besprechung laufen an ihnen vorbei, können Änderungen umsetzen und die Wirkung erleben. „In einer hybriden Welt der Arbeit“, so Kipman, „wird ‚hier‘ überall sein können. Mesh wird es Organisationen erlauben, Treffen abzuhalten, bei denen jeder im selben Raum ist.“

„Das ist die Zukunft. Die Frage ist nur, wann es bereit ist“, ist sich Holger Müller von Constellation Research in Kalifornien sicher. Die heutige Situation sei unbefriedigend. „Der Mensch“, sagt er, „ist ein dreidimensionaler Computer. Bisher waren seine digitalen Erfahrungen immer ein Kompromiss. Nur durch die menschliche Abstraktionsfähigkeit gelingt es uns, mithilfe von Geräten und Bildschirmen reale und digitale Welten zu verbinden.“

Anwendungen in Industrie 4.0

Analyst Müller schlägt vom „Internet der Hologramme“ die Brücke zum „Internet der Dinge“, wo bald über die Cloud Milliarden von Sensoren die Fabriken und Konzerne bis hin zum kleinsten Schalter digitalisieren und verbinden werden. „Ich hole dann keinen Laptop oder kein Smartphone mehr raus, sondern gehe mit der Hololens in die Fabrikhalle, und alle Maschinen reden mit mir, signalisieren Probleme oder warnen vor Ausfällen“, sagt er.

„Ich werde Teil der Fabrik und hole jederzeit einen Techniker-Avatar in die Halle, egal, wo der wirkliche Techniker gerade stationiert ist“, so Müller weiter. „Wir schauen dann auf die Maschine, nicht auf einen Laptop.“ Die Consultingfirma Accenture plant mit „nth Floor“ virtuelle Büroetagen für Unternehmen, um Mitarbeiter dort gemeinsam arbeiten zu lassen.

Auch Hausbaupläne auf Papier sind Auslaufmodelle. Digitale Modelle in Lebensgröße werden am Bauplatz digital begehbar sein, und Änderungswünsche lassen sich in Sekundenschnelle begutachten. Zwei Branchen dürften allerdings nicht glücklich sein, wenn sich Mesh durchsetzen kann und eine Hololens erst einmal so groß ist wie eine Sonnenbrille und 200 Dollar kostet, glaubt Müller: „Dann möchte ich kein Hersteller von Monitoren oder Smartphones sein. Denn eine Telefon- oder SMS-Funktion in eine Hololens einzubauen wäre kein Problem.“

Derzeit hat Microsoft zwei Anwendungen verfügbar. Die Mesh-Plattform im Betastadium für Hololens 2 und eine Mesh-fähige AltspaceVR-App für den Einsatz mit Laptops, Smartphones oder virtuellen Brillen wie von Oculus, HP oder HTC.

Apple und Facebook beschäftigen sich auch mit der Technologie

Auch Apple arbeitet an der Technologie. Seit Februar verdichten sich Gerüchte über eine „Apple Glass“ genannte Augmented-Reality-Brille, die noch 2022 erscheinen könnte. Es wäre eine konsequente Weiterführung der Strategie von CEO Tim Cook. Mit der Watch hat er bereits den Markt für „Wearables“, am Körper tragbare Computer, an sich gerissen. Apple Glass wäre das ultimative tragbare Supercomputing-Gerät.

Spekulationen gehen davon aus, dass die Brille nicht so leistungsstark wie die Hololens sein wird und dass sie die Rechenleistung eines iPhones nutzt. Das soll Stromverbrauch, Gewicht und Kosten gering halten.

Facebooks Mark Zuckerberg kündigte ebenfalls eine Datenbrille an und eine Zusammenarbeit mit dem Brillenhersteller Ray Ban. Produkte werden zwischen 2022 und 2024 erwartet.

Ohne Frage werde es einige Zeit brauchen, sagt Analyst Anshel Sag, bis eine „gemischte Realität“ für uns so normal sein wird wie ein Telefonanruf. „Aber Mesh macht das viel wahrscheinlicher“, so Sag, der für die Branchenberatung Moor Insight & Strategy arbeitet.

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