Künstliche Intelligenz kann auch im Handel hilfreich sein, zum Beispiel im Einkauf. In der Coronakrise stießen die Systeme aber an ihre Grenzen.
Michael Feindt
„Die Entscheider, die jahrelang ihrer eigenen Erfahrung vertrauten, müssen jetzt eingestehen, dass das System die besseren Entscheidungen trifft.“
Foto: Blue Yonder
Düsseldorf Professor Michael Feindt ist Chief Scientist des Softwareanbieters Blue Yonder und einer der führenden Experten für Künstliche Intelligenz (KI) im Handel. Im Interview mit dem Handelsblatt spricht er über Vertrauen beim Einsatz von KI-Anwendungen, Datensicherheit und die Frage, wie gut lernende Systeme menschliches Verhalten vorhersagen können.
Herr Feindt, ist die Künstliche Intelligenz für den Handel immer noch eine Zukunftstechnologie, die erst für Pilotprojekte taugt, oder schon ein echtes Arbeitswerkzeug?
Es gibt mittlerweile viele Händler, die diese Technologie ganz selbstverständlich einsetzen, der Hype geht in den Arbeitsmodus über. Auch Großunternehmen wagen es jetzt, ihre Prozesse zu automatisieren. Doch für viele Firmen ist das immer noch eine schwierige Entscheidung.
Wo liegen die Hürden?
Es ist auch eine Frage des Vertrauens. Die Entscheider, die jahrelang ihrer eigenen Erfahrung vertrauten, müssen jetzt eingestehen, dass das System die besseren Entscheidungen trifft. Das fällt vielen nicht leicht. Der Einsatz von KI macht die Prozesse schlanker und effizienter, aber er ändert sie eben auch grundsätzlich. Dazu kommt: Wenn Unternehmen ihre Prozesse automatisieren wollen, sind sie darauf angewiesen, dass ihre Daten richtig sind. Es fällt also bei vielen erstmals auf, dass die Qualität der Daten nicht gut ist. Das ändert sich aber schnell, wenn die Daten wirklich genutzt werden und Wert erzeugen.
Ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Personalisierung nur bei Großunternehmen sinnvoll, oder kann auch der Mittelstand davon profitieren?
Entscheidend ist immer, ob Daten von guter Qualität vorhanden sind. Natürlich gibt es Skalenvorteile, wenn man große Datenmengen hat, aber es geht auch schon bei kleineren Unternehmen. Es gibt heute viele Standardprodukte, die es billiger machen und damit auch für Mittelständler interessant sind.
Überfordert das kleine Unternehmen nicht?
Der Vorteil ist, dass man KI-Anwendungen stufenweise einführen kann. Firmen können sie in einzelnen Anwendungen ausprobieren und dann den Einsatz auf andere Bereiche ausweiten. Der Engpass sind in der Regel gute IT-Mitarbeiter.
Große US-Technologiefirmen bieten spezielle KI-Anwendungen im Rahmen ihrer Clouddienste, die die Kunden dann mit wenig Aufwand integrieren können. Doch viele deutsche Händler haben Bedenken, ob ihre Daten da sicher sind. Teilen Sie diese Sorge?
Nein, das sehe ich nicht. Die großen Cloudanbieter verdienen ihr Geld mit dem Vertrauen. Sie haben überhaupt kein Interesse daran, die Daten zu missbrauchen, das würde ihrem Geschäft die Grundlage entziehen. Deswegen glaube ich auch nicht, dass eine europäische Cloud gebraucht wird. Das ist falscher Regionalismus. Es reicht, dass die Daten auf Servern in Europa liegen, die europäischen Datenschutz-Regelungen genügen.
Wo bringt die Automatisierung denn im Handel schon die besten Erfolge?
KI hilft immer da am besten, wo eine große Zahl von ähnlichen und sich wiederholenden Entscheidungen getroffen werden muss. Sie hat beispielsweise einen gewaltigen Wert beim Einkauf von Frischware. Wenn man da den Nachschub automatisiert, entsteht sofort ein riesiger Nutzen, weil viel weniger verdorbene Ware weggeworfen werden muss.
Viele Händler sagen, dass gerade die Automatisierung der Beschaffung in der Coronakrise zu Problemen geführt hat, also auch mit schuld war an den leeren Regalen.
Die erste Reaktion von Händlern war in der Tat, dass sie den Nachschub wieder von Hand gesteuert haben, weil sie in dieser Ausnahmesituation ihrem Gefühl mehr trauten als der Technologie. Aber sie haben dann doch schnell gemerkt, dass die Prognosen der Systeme schon nach kurzer Zeit selbst bei solch überraschenden Ereignissen besser waren als die menschlichen Entscheidungen.
Hätten sich denn die Hamsterkäufe überhaupt mit Künstlicher Intelligenz voraussagen lassen?
Nein, auch KI konnte die Hamsterkäufe vor Ausbruch der Krise nicht vorhersagen, weil es dafür ja keine Erfahrungen aus der Vergangenheit gab. Aber sie konnte sich sehr schnell an diese neuen Ereignisse anpassen. Das System ist so entwickelt, dass es aus Fehlprognosen lernt.
Was lernen die Systeme denn aus den aktuellen Fleischskandalen wie bei Tönnies? Wird die Nachfrage nach Fleisch einbrechen?
Nein, wir sehen nur einen kleinen Effekt, der kaum messbar ist. Langfristig gibt es natürlich einen ganz langsamen Trend weg vom Fleisch. Aber die aktuellen Ereignisse haben den nicht wirklich beschleunigt. Das menschliche Verhalten ist eben eher konstant. Und gerade deshalb ist es von den Systemen so gut vorherzusagen.
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