Videostreaming ist ein Energiefresser. Der Streaming-Pionier startet eine Nachhaltigkeitsinitiative – sieht sich aber nur für einen Teil des Problems verantwortlich.
Netflix
Bis Ende 2022 will der Streaminganbieter Investitionen in die Regeneration wichtiger natürlicher Ökosysteme tätigen, um das Netto-null-Ergebnis zu erreichen.
Bild: The Image Bank/Getty Images [M]
Düsseldorf Etwa 80 Prozent des Stromverbrauchs, der durch das Internet anfällt, wird allein durch Videostreaming verursacht. Riesige Datenmengen werden dafür über das Internet transportiert. Streamingdienste sind wahre Energiefresser – und schädigen damit auch das Klima.
Streaming-Pionier Netflix will sich nun ein grüneres Image geben und stellte an diesem Dienstag in einem Blogpost seine Nachhaltigkeitsstrategie vor. Das Ziel: Der vom Unternehmen verursachte Ausstoß von CO2 soll massiv gesenkt werden – oder, wenn der Verbrauch nicht weiter zu senken ist, durch Aufforstungsprojekte kompensiert werden.
„Die ganze Welt hat ein Klimaproblem. Wir alle müssen unsere Anstrengungen bis 2030 deutlich erhöhen, damit wir die Klimaziele erreichen“, sagt Emma Stewart, seit vergangenem Oktober Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Netflix, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Allerdings sieht sich das Unternehmen dabei nur für einen Bruchteil der Emissionen verantwortlich, der durch das Videostreaming verursacht wird. „Wir berücksichtigen keine Emissionen aus der Internetübertragung oder von elektronischen Geräten, da Internetdienstanbieter und Gerätehersteller hier die operative Kontrolle über das Design und die Herstellung ihrer Geräte haben – nicht wir“, sagt Stewart.
Sie verweist auf das „Greenhouse Gas Accounting Protokoll“, dem universellen Standard zur Abbildung des CO2-Abdrucks. Dem zufolge könnten sich Unterhaltungskonzerne wie Netflix auf Emissionen konzentrieren, über die sie nach Stewarts Worten die „operative Kontrolle“ haben.
Die Hälfte der Emissionen kommt nach ihren Worten aus der physischen Film- und Serienproduktion, und 45 Prozent stammen von den eigenen Unternehmenstätigkeiten. Netflix’ CO2-Fußabdruck betrug damit im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von 25 Milliarden Dollar nach eigenen Angaben nur 1,1 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Stahlhersteller Thyssen-Krupp meldete 23 Millionen Tonnen.
„Als Unterhaltungskonzern sind unsere Emissionen relativ gering im Vergleich zu anderen Branchen“, sagt Stewart. Die CO2-Emissionen, die durch das Streaming der rund 200 Millionen Abonnenten anfallen, sind dabei aber eben nicht mit einberechnet.
Ist die Verantwortung der Techkonzerne wirklich so eng zu sehen? Meike Gehbard, Geschäftsführerin der Nachhaltigkeitsplattform Utopia, meint: „Was sind die wesentlichen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens? Natürlich sind das bei großen Techkonzernen vor allem die Server und die Rechenzentren.“ Ohne Server, ohne Datenübertragung und ohne Endgeräte ist die Geschäftstätigkeit der Techkonzerne im Grunde nicht denkbar.
Die eigenen Emissionen von Treibhausgasen will Netflix aber immerhin bis Ende 2022 auf netto null reduzieren. Das soll nach dem Plan des Unternehmens danach in jedem weiteren Jahr gelten.
Emma Stewart
Die Netflix-Managerin treibt bei dem Streamingdienst das Thema Nachhaltigkeit voran.
Bild: Netflix/Emily Hagopian
Nachhaltigkeit liegt im Trend: Nicht nur Länder, auch Unternehmen verordnen sich selbst Klimaschutzziele. Konsumgüterhersteller, Lebensmittelhändler, Modeanbieter oder auch Autokonzerne – sie alle wollen nachhaltiger sein.
Damit reagieren die Unternehmen auf den wachsenden Druck der Öffentlichkeit, die Klimaschäden zu begrenzen. Bei „Fridays for Future“ demonstrieren junge Menschen gegen den Raubbau an der Erde, mit dem „Green Deal“ will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Und auch die Finanzmärkte beurteilen Unternehmen immer häufiger nach ihren Nachhaltigkeitszielen.
Netflix’ Plan sieht wie folgt aus: Zunächst will das Unternehmen die eigenen Emissionen reduzieren – sie sollen bis 2030 um 45 Prozent gesenkt werden.
Mitarbeiter sollen Elektroautos statt Verbrenner nutzen, Strom soll aus erneuerbaren Energien kommen, und Licht wird nur sehr sparsam eingesetzt. „Wir fliegen die Leute oft nicht mehr zu den Produktionen ein, sondern nutzen stattdessen lokale Teams“, erzählt Stewart.
Filmproduktion von Netflix
Am Drehort der Netflix-Produktion „Yes Day“ mit den Schauspielern Jennifer Garner (links) und Edgar Ramirez (rechts).
Bild: AP
Ganz aus der Welt schaffen kann Netflix selbst die eigenen Emissionen nicht – und will dafür Klimakompensationen nutzen. Unternehmen, die viel CO2 ausstoßen, können sich im Gegenzug daran beteiligen, wenn Wälder am Amazonas aufgeforstet werden oder wenn Solarenergieprojekte in Afrika entstehen. Längst ist hier eine eigene Branche entstanden.
Netflix will Emissionen, die das Unternehmen intern nicht vermeiden kann, bis Ende 2021 neutralisieren, indem es in Projekte investiert, die verhindern, dass Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt. So investiert es beispielsweise in Oregon in „die größte Graslandschaft Nordamerikas“. Oder unterstützt in Kenia den Trockenwald.
Ein drittes Ziel lautet: Bis Ende 2022 will der Streaminganbieter Investitionen in die Regeneration wichtiger natürlicher Ökosysteme tätigen, um das Netto-null-Ergebnis zu erreichen. Da geht es beispielsweise um die Wiederherstellung von Grünflächen, Mangroven und gesunden Böden, die Kohlenstoff binden und speichern.
Netflix ist spät dran mit seinen Nachhaltigkeitszielen, andere Techkonzerne wie Facebook, Google oder Microsoft haben längst Ziele definiert. „Wir sind nicht die Ersten, die das machen, und etwas spät dran“, räumt Nachhaltigkeitsexpertin Stewart selbst ein. Allerdings weist sie darauf hin, dass es bereits vor ihrem Amtsantritt im vergangenen Oktober zahlreiche, dezentral organisierte Projekte bei Netflix gegeben habe, in denen Nachhaltigkeitsziele verfolgt wurden. Ihre Aufgabe sei es nun, das Ganze zusammenzuführen.
„Nach meiner Einschätzung sollen sich alle Unternehmen, auch Medienunternehmen und Agenturen, anspruchsvolle Nachhaltigkeitsziele setzen“, meint Utopia-Chefin Gebhard. Unternehmen sollten dabei allerdings sich nicht „auf gut gemeinte Einzelmaßnahmen in den Bürogebäuden beschränken, wie Müllvermeidung, Energiesparen oder den Umstieg auf Ökostrom“.
Ein wesentlicher Hebel der Medien- und Werbebranche liege in der nachhaltigeren, klimafreundlichen Filmproduktion, sagt Gebhard. „Für die Glaubwürdigkeit sind zudem auch Aspekte wie das Reiseverhalten, die Dienstwagen-Praxis oder die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter entscheidend.“
Bei der Produktion der Inhalte sieht Netflix ebenfalls den größten Hebel. Die Originals, wie die Filme intern heißen, boomen – das Unternehmen will künftig jede Woche eine neue Filmeigenproduktion veröffentlichen. Um sich gegen starke Konkurrenz wie Disney Plus oder Amazon Video Prime zu wappnen, ist der Content-Marathon überlebenswichtig für Netflix.
Über die Kosten, die sich mit der neuen Nachhaltigkeitsstrategie ergeben, macht die verantwortliche Managerin Stewart keine Angaben. „Darüber sprechen wir nicht in der Öffentlichkeit.“ Gleichwohl weist sie auf die hohe Relevanz des Themas innerhalb des Konzerns hin. „Ich berichte direkt an den CFO – das ist überhaupt nicht typisch für eine solche Position“, sagt sie. „Es bringt viele Vorteile mit sich – auch finanzielle. Ich spreche so gut wie jeden Tag mit unserem CFO über das Nachhaltigkeitsthema.“
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