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22.03.2023

09:14

Biotech

Biontech kauft neues Krebsmittel für 200 Millionen Euro

Der Mainzer Biotech-Aufsteiger nutzt die enormen Impfstofferträge, um sein Forschungsprogramm zu verbreitern. Nun tätigt Biontech seinen bisher größten Produktzukauf.

Das Unternehmen wächst aktuell auch durch Zukäufe. imago images/photothek

Biontech-Gründer Ugur Sahin

Das Unternehmen wächst aktuell auch durch Zukäufe.

Frankfurt Mit einem seiner bisher größten Deals baut Biontech seine Produktentwicklung im Bereich der Krebstherapien aus. Wie das Mainzer Biotech-Unternehmen am Montag mitteilte, erwirbt Biontech für eine Vorabzahlung von 200 Millionen Dollar die weltweiten Rechte an einer potenziellen Krebsimmuntherapie, die von der privaten US-Firma OncoC4 entwickelt wurde.

Dieser antikörperbasierte Wirkstoff mit der Bezeichnung ONC-392 zielt darauf, die Immunreaktionen gegen Krebszellen zu verstärken, und wurde bisher in einer sogenannten Phase-1/2-Studie getestet, in der erste Daten zu Verträglichkeit und Wirksamkeit ermittelt werden.

Noch im laufenden Jahr wollen beide Firmen eine größere Phase-3-Studie starten, die dann auch zulassungsrelevante Resultate liefern könnte. Biontech plant, den Wirkstoff auch in Kombination mit eigenen Produktkandidaten zu testen. Über die Vorabzahlung hinaus hat das US-Unternehmen Anspruch auf erfolgsabhängige Meilenstein-Zahlungen sowie im Fall einer erfolgreichen Vermarktung auch auf Lizenzgebühren im zweistelligen Prozentbereich.

Coronageschäft sichert Biontech hohe Finanzkraft

Der Deal ist der bisher größte Produktzukauf von Biontech. Er ist zugleich ein weiteres Signal dafür, wie der Mainzer Biotech-Aufsteiger die enormen Erträge aus dem Geschäft mit Corona-Impfstoffen nutzt, um sein Forschungsprogramm zu verbreitern. Die Krebsmedizin bildet dabei weiterhin einen Schwerpunkt.

Das Biotechunternehmen verfügt dank der hohen Erträge aus dem Verkauf des zusammen mit Pfizer entwickelten Covid-Impfstoffs Comirnaty über Barreserven von gut 20 Milliarden Euro und damit über erheblichen Spielraum für Zukäufe oder neue Forschungsallianzen. Zuletzt erwarb Biontech die britische Firma Instadeep für rund 410 Millionen Euro mit dem Ziel, eine weltweit führende Plattform für die auf Künstlicher Intelligenz basierende Entwicklung von neuen Impfstoffen und Immuntherapien zu schaffen.

Mit der britischen Regierung vereinbarte Biontech Anfang des Jahres eine umfangreiche Partnerschaft zur Durchführung großer klinischer Studien im Bereich Krebs und Infektionskrankheiten. Zugleich gab Biontech den Aufbau eines Forschungs- und Entwicklungszentrums in Cambridge mit mehr als 70 Mitarbeitern bekannt.

Seine Krebsforschung hatte das Unternehmen in den Jahren zuvor bereits durch kleinere Deals verstärkt. Dazu gehörte etwa die Übernahme des amerikanischen Zelltherapie-Spezialisten Neon Therapeutics sowie Allianzen mit der polnischen Ryvu Therapeutics und der Münchner Medigene. Im vergangenen August erweiterte Biontech außerdem eine bereits seit Längerem bestehende Partnerschaft mit der dänischen Genmab.

Ebenso wie diese früheren Allianzen zielt auch der jüngste Deal auf eine Wirkstoffklasse außerhalb der mRNA-Technologie, die bisher den Schwerpunkt der Biontech-Krebsforschung bildete. Bei dem Wirkstoffkandidaten von OncoC4 handelt es sich um einen Antikörper, der gegen den Rezeptor CTLA-4 gerichtet ist. Dieser Rezeptor hemmt die Immunreaktion von T-Zellen gegen Tumorzellen. Durch Blockade des Rezeptors hofft man daher, die körpereigene Abwehrreaktion gegen Krebs zu verstärken.

Ein vom US-Konzern Bristol-Myers Squibb entwickelter CTLA-Blocker, der unter dem Namen Yervoy vermarktet wird, leitete vor gut einem Jahrzehnt den Siegeszug der sogenannten „Checkpoint-Inhibitoren“ ein, einer Wirkstoffklasse, die in der Krebstherapie inzwischen zweistellige Milliardenerlöse erzielt.

Biontech und OncoC4 glauben, dass ihr Produktkandidat eine verbesserte Variante eines CTLA-4-Blockers darstellt, die weniger Nebenwirkungen im gesunden Gewebe verursacht und daher auch breiter eingesetzt werden kann.

Biontech: 20 Krebstherapien in Entwicklung

„Obwohl CTLA-4 seit mehr als zehn Jahren als vielversprechende Zielstruktur bekannt ist, glauben wir, dass sein volles Potenzial in der Krebsimmuntherapie bisher noch nicht ausgeschöpft wurde“, erklärte Biontech-Chef und -Mitgründer Ugur Sahin am Montag. „Die von OncoC4 vorgestellten Daten zu ihrem Antikörper deuten auf ein differenziertes Sicherheitsprofil und eine ermutigende klinische Aktivität bei der Behandlung verschiedener Tumorarten hin.“

Das Projekt unterstreicht die Strategie des Unternehmens, in der Krebsforschung auf ein breiteres Spektrum an Technologien zu setzen und nicht nur auf die in der Impfstoffentwicklung so erfolgreiche mRNA. Man gehe davon aus, dass der Antikörper eine wertvolle Ergänzung zum immunonkologischen Portfolio sein könnte, sagte Sahin, und dies sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit personalisierten Immuntherapien auf Basis von mRNA.

Der Antikörper ONC-392 hat von der US-Arzneimittelbehörde FDA den sogenannten Fast-Track-Status – der die Entwicklung neuer Medikamente erleichtern und die Prüfung beschleunigen soll – als Monotherapie für immuntherapieresistenten, nicht kleinzelligen Lungenkrebs erhalten. Zudem wird er als Kombinationstherapie bei Eierstockkrebs untersucht.

Einschließlich des neu erworbenen Projekts umfasst die Entwicklungspipeline von Biontech im Bereich der Onkologie künftig insgesamt 20 potenzielle Krebstherapien, die klinisch, also am Menschen getestet werden. Gut die Hälfte davon entfällt auf mRNA-basierte Produktkandidaten, der Rest auf andere Wirkstoffe und Verfahren. Darüber hinaus arbeitet Biontech an einer ganzen Reihe mRNA-basierter Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten.

Erstpublikation: 20.03.2023, 13:07 Uhr (zuletzt aktualisiert: 20.03.2023, 13:55 Uhr).

Von

rtr

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