Behörden suchen Fachkräfte, Start-ups Wege zum digital vernetzten Staat. Trotzdem kommt die Digitalisierung der Verwaltung kaum voran. Das sind die Gründe.
Behörden mit reichlich Faxverkehr
Über 46.000 IT-Fachkräfte bräuchte es, um das Ziel des OZG, bis 2022 alle Verwaltungsdienste digital abzubilden, zu erreichen.
Bild: obs
Berlin Digitalminister Volker Wissing beschreibt beim Handelsblatt GovTech-Gipfel seine Zukunftsvision so: „In Unterhose aufs Amt.“ Das sei zwar auf den ersten Blick eine lustige Vorstellung, sagt Wissing, auf den zweiten Blick klinge das aber nach einer ziemlich guten Idee.
Dann beschreibt er, was er damit meint: „Es geht darum, Behördengänge digital schnell und bequem von zuhause zu erledigen.“ Der Digitalminister konstatiert aber auch: Noch gehe es in der Verwaltung oft analog und behäbig statt digital zu.
Um das zu ändern, diskutieren beim GovTech-Gipfel Gründerinnen und Gründer wie Aleph-Alpha-CEO Jonas Andrulis und Civey-Geschäftsführerin Janina Mütze mit Konzernvertretern und Spitzenpolitikern, neben Verkehrs- und Digitalminister Wissing auch Innenministerin Nancy Faeser, über technologische Innovationen für Staat und Verwaltung.
Die Zeit drängt, denn Deutschland droht abgehängt zu werden. Im „Digital Economy and Society Index“ der EU landet Deutschland auf Platz elf. Wenn man sich den Bereich der digitalen Verwaltung ansieht, sogar nur auf Platz 17. Die meisten westeuropäischen, skandinavischen und einige südeuropäische Länder stehen deutlich besser da.
Ob es gelingt, das selbst gesteckte Ziel im Onlinezugangsgesetz (OZG), 6000 Leistungen, zusammengefasst in 575 sogenannten OZG-Leistungsbündeln, bis Ende 2022 zu digitalisieren, ist fraglich. Doch woran liegt es, dass die Digitalisierung der Verwaltung einfach nicht gelingen mag?
Über 46.000 IT-Fachkräfte bräuchte es, um das Ziel des OZG, bis 2022 alle Verwaltungsdienste digital abzubilden, zu erreichen, ergibt eine Modellrechnung der Wirtschaftsprüfung KPMG, des Instituts für den öffentlichen Sektor und einer Projektgruppe der European School of Management and Technology (ESMT) von Mai 2021. Weil externe Dienstleister nicht alle IT-Aufgaben erledigen können, müssten 33.000 Angestellte direkt in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt sein.
Das sind 75 Prozent des gesamten Personalressourcen im Bereich IT. Der größte Aufwand entfällt demnach auf die Implementierung in den Gebietskörperschaften sowie auf den laufenden Unterhalt und die Wartung der digitalen Verwaltungsleistungen.
Dabei soll die Digitalisierung dem Fachkräftemangel entgegenwirken. „Wir brauchen Digitalisierung auch, weil wir dadurch Fachkräfte stärker auf die Aufgaben fokussieren können, wo wir einen enormen Mangel haben“, sagt Wissing.
Das Problem des Fachkräftemangels soll häufig über das bestehende Personal aufgefangen werden. Dabei handelt es sich in der Verwaltung allerdings leider oft um Beamte mit juristischer Ausbildung, die dann über komplexe technische Fragestellungen entscheiden sollen. Oft herrsche die Einstellung vor, in IT-Fragen könne man sich schon irgendwie einarbeiten, berichten Verwaltungsmitarbeiter. Doch so einfach ist es nicht.
Einer Untersuchung der KfW zufolge fehlt es fast 70 Prozent der Kommunen an Expertise und Personal für die Digitalisierung. Häufig wird die Digitalisierung als Lösung des Fachkräfteproblems angeführt. Dabei können die Behörden aber nur mit weniger Personal auskommen, wenn die verbliebenen Mitarbeiter genügend Fähigkeiten besitzen, die automatisierten Aufgaben auch zu steuern – und „über ein technisches und prozessorientiertes Problembewusstsein verfügen“, so der Report.
Dass die Behörden oft nicht an das geeignete Personal für IT-Fachfragen kommen, liegt nicht nur am Fachkräftemangel. Oft, so berichtet ein Behördenleiter dem Handelsblatt, würden die strengen Einstellungsvoraussetzungen ein Recruiting aus der Informatik oder der Wirtschaft ohne Beamtenlaufbahn gar nicht zulassen.
Zudem müssten Stellen erst intern ausgeschrieben werden, bevor eine externe Bewerbung zugelassen wird. Auch kurzzeitige projektbezogene Anstellungen seien in der Verwaltung eher unüblich. Keine guten Voraussetzungen also, um die Verwaltung für IT-Experten und Projektleiter zu öffnen.
Oftmals hemmen zudem juristische Regeln die Digitalisierung. Das EU-Vergaberecht etwa hindert Start-ups mitunter, Aufträge der öffentlichen Hand anzunehmen. Das erkennen auch Investoren. „In den letzten zwei Jahren haben sich öffentliche Vergabeverfahren als eine der größten Herausforderungen für Regierungsinstitutionen erwiesen“, sagt Investor und Vorstand des Bundesverbands Deutsche Start-ups, Christian Miele. Gerade jungen Firmen fehle es an Transparenz über offene Ausschreibungen.
Nach Schätzungen der OECD vergibt die öffentliche Hand jährlich Aufträge im Wert von bis zu 500 Milliarden Euro – nach dem „Deutschen Start-up Monitor“ 2021 erzielen Start-ups nur 4,7 Prozent ihrer Gesamtumsätze durch Geschäftsbeziehungen mit der öffentlichen Hand.
„Eine Vereinfachung der Vergabeprozesse und eine gezielte Berücksichtigung von Start-ups bei öffentlichen Aufträgen wären wünschenswert“, sagt Investor Miele. „Denn die Notwendigkeit, den Staat zu modernisieren, ist dringender denn je.“ Das habe spätestens die Coronakrise gezeigt. Unter den Topforderungen der Start-ups an die Politik stehen vereinfachte Vergabeverfahren und Verwaltungsdienste auf den oberen Rängen. Größte Herausforderung sei es, Kenntnis von den Ausschreibungen zu erhalten, so Miele. „Der Markt ist sehr intransparent.“
Digitalminister Wissing muss zugeben: „Wir haben in Deutschland einen gewissen Nachteil durch den Föderalismus.“ Das sei eine größere Hürde im Vergleich zu Ländern wie Frankreich, einem Zentralstaat, wenn es um die Digitalisierung gehe.
Das Zauberwort, das den Föderalismus überbrücken soll, heißt „Efa“. Efa steht für „Einer für alle“ und beschreibt die Prämisse, dass nicht jede Kommune in Deutschland das digitale Rad neu erfinden sollte, so sieht es das OZG vor. „Jedes Land sollte Leistungen so digitalisieren, dass andere Länder sie nachnutzen können und den Onlineprozess nicht noch mal selbst entwickeln müssen“, beschreibt es das zuständige Bundesinnenministerium auf seiner Website.
Doch die Realität sieht oft anders aus. „Selbst durch Efa-Lösungen bereitgestellte Services treffen in der Praxis immer wieder auf unterschiedliche kommunale Fachverfahren und müssen [...] jeweils neu individuell implementiert werden“, schreibt etwa die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement in einer Stellungnahme. Onlinelösungen anderer Kommunen einfach zu übernehmen funktioniert also oft nicht.
Das liegt auch am Mangel an einheitlicher Softwarearchitektur, denn die Behörden arbeiten mit jeweils unterschiedlichen Betriebssystemen.
Jede Behörde kocht ihr eigenes digitales Süppchen. „Die Wunschvorstellung wäre, dass alle mit demselben System arbeiten“, berichtet ein IT-Dienstleister. Doch das sei selten der Fall. Um Daten von einer Kommune zur anderen zu übertragen, müssten deshalb eigens „Schnittstellen“, also Brücken zwischen den Systemen, gebaut werden. Das bezeichnet er als „unglaublichen Arbeitsaufwand“.
Eine Umfrage des Handelsblatts unter allen 16 Bundesländern im Januar hat ergeben, dass zwar einige ausgewählte Bundesländer wie Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Bremen auf Grundlage eines eigens ins Leben gerufenen IT-Dienstleisters für Datenaustausch zusammenarbeiten – bei den Kommunen hakt es bei der Vereinheitlichung aber noch stark. Und so scheitert die flächendeckende Digitalisierung schon beim Gerüstaufbau. Interoperabilität? Fehlanzeige.
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