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27.02.2023

16:22

Handelsblatt-Kamingespräch

Sieben Thesen über die Zukunft Künstlicher Intelligenz

Von: Hannah Krolle

Beim Kamingespräch des Handelsblatts diskutieren KI-Experten über ChatGPT und die Arbeitswelt der Zukunft. Das sind ihre wichtigsten Thesen.

Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes, KIEZ-Direktorin Tina Klüwer, Aleph-Alpha-CEO Jonas Andrulis (v.l.n.r.) diskutieren über die Zukunft von KI. (Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Teilnehmer des Handelsblatt-Kamingesprächs

Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes, KIEZ-Direktorin Tina Klüwer, Aleph-Alpha-CEO Jonas Andrulis (v.l.n.r.) diskutieren über die Zukunft von KI.

(Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Düsseldorf Künstliche Intelligenz (KI) wird die Welt verändern. Sie wird die Forschung erleichtern, kreative Prozesse unterstützen und Arbeitsschritte in Fabriken automatisieren. Besonders im Fokus steht derzeit der Chatbot ChatGPT vom US-Start-up OpenAI, in das Microsoft in den nächsten Jahren Milliarden US-Dollar investieren will. Die Technologie hinter ChatGPT sei so wichtig wie die Erfindung des Internets, sagte Microsoft-Mitgründer Bill Gates vor einigen Wochen im Handelsblatt-Interview.

Hunderte Start-ups versuchen allein im Silicon Valley, auf Basis von KI neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Noch stehen viele von ihnen am Anfang. Doch die Ziele von Unternehmen wie OpenAI sind groß: Sie wollen Computerprogramme schaffen, die nahezu jede Aufgabe erlernen können.

Ist das realistisch? Vollzieht sich diese Entwicklung exponentiell, wie einige Tech-Visionäre glauben? Was bedeutet all das für Europa? Das diskutieren hochkarätige Experten beim „Kamingespräch“ der Handelsblatt Media Group in Düsseldorf: Jonas Andrulis, Gründer und CEO von Aleph Alpha, und Tina Klüwer, Direktorin des Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrums (KIEZ) in Berlin.

Aleph Alpha entwickelt eine europäische Alternative zu ChatGPT. KIEZ ist ein Modellprojekt der Berliner Universitäten und betreut wissenschaftsnahe Unternehmen, insbesondere vielversprechende KI-Firmen. Der sogenannte Accelerator bietet Start-ups Infrastruktur an, etwa Büroräume, Zugang zu Jobportalen sowie Mentoring durch KI-Experten.

Die Runde, zu der rund 100 Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft kamen, wurde von Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes moderiert. Das waren die wichtigsten Thesen.

These 1: KI löst eine industrielle Revolution aus

Einigkeit gab es auf dem Panel schon zu Beginn: ChatGPT werde beinahe jede Branche von Grund auf verändern. „Wir stecken inmitten einer industriellen Revolution, und sie ist die schnellste bislang“, sagt Andrulis. 

Auch KIEZ-Direktorin Klüwer ist vom Potenzial von KI überzeugt und ergänzt: „KI ist die Speerspitze der Digitalisierung.“ In den letzten Jahren haben mehr und mehr Geschäfts- und Arbeitsbereiche den Sprung in die digitale Welt geschafft.

Dadurch entstanden über die Zeit digitale Daten im Gegensatz zur Papierakte, die nun die Basis für den nächsten Schritt der digitalen Transformation bilden, der kognitiven Verarbeitung mittels KI, sagt Klüwer. Mithilfe dieser Daten kann die KI lernen, Teile der Aufgaben, die bisher nur Menschen lösen konnten, zu übernehmen.

Wie es mit dieser Schlüsseltechnologie weitergehen könnte, zeigen Zahlen. Die weltweiten Umsätze mit Unternehmensanwendungen im Bereich KI werden für das Jahr 2025 auf rund 31,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. In Europa sind es 2025 laut Berechnungen des auf Technologie fokussierten Marktforschungsinstituts Omdia knapp acht Milliarden US-Dollar.

These 2: Bislang haben sich Menschen an die Bedürfnisse der Maschine angepasst, jetzt ist es umgekehrt

ChatGPT basiert auf einem großen Sprachmodell, einem Deep-Learning-System mit vielen Hundert Milliarden Parametern, das fast jede Form der Sprache versteht, oft korrekt antworten kann – und dabei Aufgaben erledigt oder Wissen weitergibt.

Der Chatbot ist besonders leistungsfähig und vielseitig, da zum Training ein großer Datensatz verwendet wurde, in dem Menschen aufwendig eigene Präferenzen vermerkt haben, sagt Andrulis.

Auf Basis dieses Datensatzes mit menschlichen Inputs optimiert sich das Sprachmodell selbst. Mussten Menschen früher die Programmiersprache des Computers lernen, sei es heute die Maschine, die „menschliche Sprache in all ihrer Komplexität versteht“.

These 3: Die größten Innovationsschübe entstehen in den Bereichen Medizin und Nachhaltigkeit

Die größten Innovationsschübe durch KI entstünden im Moment unter anderem in der Medizintechnik, sagt Klüwer. KI in der Medizin ist schon im Einsatz. Deepmind etwa, die Tochter des Google-Mutterkonzerns Alphabet, hilft mittels einer Plattform bei der Vorhersage von Proteinstrukturen. Die Struktur eines Proteins bestimmt die Funktion in der Zelle. Ist diese Struktur bekannt, können Medikamente präziser entwickelt werden. 

Andrea Wasmuth, Geschäftsführerin der Handelsblatt Media Group, und Chefredakteur Sebastian Matthes eröffnen den Abend. (Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Eröffnung des Kamingesprächs

Andrea Wasmuth, Geschäftsführerin der Handelsblatt Media Group, und Chefredakteur Sebastian Matthes eröffnen den Abend.

(Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Neu sind auf KI beruhende Verfahren, die Proteine neu erschaffen. Dazu fütterten Forscher einen Sprachgenerator mit Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, sowie mit Informationen über ihre Funktion. Zwar nur ein Bruchteil der entstandenen Proteine war wie die echten Proteine in der Lage, Bakterien abzutöten. Dennoch ist es „ein Quantensprung“, sagt Klüwer. Denn auch auf diese Weise können neue Medikamente entwickelt werden.

Im Bereich Nachhaltigkeit entstünden die größten Innovationsschübe bei der Entwicklung von Technologien, die CO2 aus der Luft entfernen und als Rohstoff weiterverarbeiten, sagt die KI-Expertin, etwa bei der Produktion von Baustoffen, Kerosin, Kosmetik und Lebensmitteln.

These 4: Gerade entsteht die Infrastruktur der digitalen Welt der Zukunft

Der Schlüssel der KI-Infrastruktur sind Programmierschnittstellen, sogenannte „Application Programming Interface (API). Darüber können alle Unternehmen die Sprachmodelle von OpenAI nutzen. Klüwer erklärt es am Beispiel typischer Kundenservice-Aufgaben. Erhält der Mitarbeiter beispielsweise eine Beschwerdemail, verarbeitet er sie nicht manuell, sondern automatisch über das Sprachmodell von OpenAI. „Das ist wesentlich effizienter“, sagt Klüwer.

Bis jetzt haben die Unternehmen solche KI-Funkionen selbst gebaut. Doch die großen Modelle seien leistungsstärker und besser. Das Problem: Sobald deutsche Firmen nur auf der Infrastruktur amerikanischer oder chinesischer Firmen aufbauten, „geht ein Teil der Wertschöpfung ebenso wie beim Cloud-Computing an die großen Dienstleister verloren“, sagt sie.

These 5: Im Bereich KI hat Europa eine faire Chance, aber nicht mehr lange

Dennoch ist Klüwer überzeugt: In Europa können große Tech-Player entstehen. „Europa startet nicht bei null“, sagt sie. „Wir haben eine starke Forschungslandschaft und kreative Köpfe an Universitäten, die Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen aufbauen wollen.“ Entscheidend dabei sei es, die Forschungsergebnisse in Geschäftsmodelle zu überführen. „Hier hat Deutschland Nachholbedarf.“

Wenn es Deutschland gelänge, Innovationen in Unternehmen und der Verwaltung zu beschleunigen, „haben wir bessere Chancen, das Rennen zu gewinnen, als beim Cloud-Computing“, ergänzt Andrulis.

Investoren haben zuletzt trotz grundsätzlicher Zurückhaltung stark in den Sektor generative KI investiert, also in Systeme wie ChatGPT, die Texte, Bilder oder Programmcode produzieren. Diese Investitionen fanden vor allem in den USA statt. In Deutschland und Europa hemmt die Sorge wegen der anstehenden KI-Regulierung einige Innovationsvorhaben, sagt Andrulis.

These 6: KI automatisiert nicht Handwerksjobs, sondern fängt bei Wissensarbeitern an

Lange herrschte die Angst, KI werde Tausende Menschen arbeitslos machen. Heute wissen wir: KI kommt nicht schnell genug voran, um all die Jobs zu übernehmen, für die keine menschliche Arbeitskraft verfügbar ist.

Entgegen der ebenfalls weit verbreiteten Vermutung, Maschinen würden zuerst Handwerkstätigkeiten automatisieren, fange die Revolution bei den Wissensarbeitern an, sagt Andrulis. „Viele Menschen verunsichert das.” 

Klüwer fordert, den Fokus stärker auf die Chancen der Technologie zu legen: Wenn mehr Arbeit von Maschinen übernommen werde, erhalte die menschliche Arbeit mehr Qualitätswert. KI sei ein „Werkzeug, das die Denkarbeit des Menschen unterstützt“. 

Andrulis geht einen Schritt weiter: „Menschen sind auch nur Maschinen, biologische Maschinen.“ Langfristig gebe es für KI keine unüberwindbaren Grenzen.

These 7: Eine Schlüsselqualifikation der Zukunft ist Anpassungsfähigkeit und Kreativität

Umso wichtiger ist die Frage: Auf welche Qualifikationen kommt es für den Menschen künftig an? Laut den Panelisten sind es im Wesentlichen vier Fähigkeiten, die zutiefst menschlich sind und die von Maschinen nur schwer erlernt werden können: Kreativität, intellektuelle Neugier, die Fähigkeiten, sich anzupassen und neue Probleme zu lösen.

Laut den Panelisten sind es im Wesentlichen vier Fähigkeiten, die zutiefst menschlich sind und die von Maschinen nur schwer erlernt werden können: Kreativität, intellektuelle Neugier, die Fähigkeiten, sich anzupassen und neue Probleme zu lösen. (Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Vordenkerinnen und Vordenker beim Kamingespräch

Laut den Panelisten sind es im Wesentlichen vier Fähigkeiten, die zutiefst menschlich sind und die von Maschinen nur schwer erlernt werden können: Kreativität, intellektuelle Neugier, die Fähigkeiten, sich anzupassen und neue Probleme zu lösen.

(Foto: Max Brugger für Handelsblatt)

Im Journalismus zeigt sich der Trend klar: Zusammenfassungen bereits vorhandener Inhalte werden bald von Maschinen übernommen. Eine KI aber wird nicht in der Lage sein, Fragen zu stellen, die noch niemand gestellt hat, und Information zu finden, über die noch nirgendwo berichtet wurde, sagt Klüwer. „Hier braucht es Menschen.“

Der Abend endete mit einer Diskussion der Zuschauerinnen und Zuschauer. Eine Professorin fragte, wie sie erkennen könne, ob Seminararbeiten von echten Studierenden oder von Maschinen geschrieben würden – und ob sie überhaupt ein sinnvolles Mittel der Leistungskontrolle blieben. „Einfache Antworten gibt es nicht“, sagt Klüwer. Der Schlüssel sei die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine in der Wirtschaft ebenso wie in der Wissenschaft.

Die Diskussion hat gezeigt: Europa hat gute Voraussetzungen, sich als ein führender Technologie-Hotspot im Bereich KI zu positionieren. Die Umsetzung erfordert Anreize zum Gründen in Universitäten und Unternehmen sowie ein geeigneter politischer Rahmen, die KI-Infrastruktur der digitalen Welt der Zukunft aufzubauen. 

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