Der Klimawandel droht das Leben in der Metropole unerträglich werden zu lassen. Die Innovationen, mit denen Singapur gegensteuert, haben Vorbildcharakter für deutsche Städte.
Singapur
Durch Klimawandel und hohe Luftfeuchtigkeit droht die Hitze in dem Stadtstaat unerträglich zu werden.
Bild: E+/Getty Images
Bangkok Die Haut des Fernsehmoderators glänzt, auf seinem grauen T-Shirt bilden sich nasse Flecken. Gefilmt wird in der Umweltkammer einer Forschungseinrichtung in Singapur, die Hitze bei hoher Luftfeuchtigkeit simuliert. „Es fällt mir schwer, zu atmen“, sagt der junge Mann.
Die Idee der Sendung der lokalen TV-Station: zu zeigen, wie der Alltag in Singapur in nicht allzu ferner Zukunft aussehen könnte. Die Temperaturen steigen in dem südostasiatischen Stadtstaat doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Das vergangene Jahrzehnt war das heißeste in der Geschichte des Landes. Bis zum Ende des Jahrhunderts droht die Durchschnittstemperatur laut dem Center for Climate Research Singapore um fast fünf Grad zu steigen.
Die Hitze ist in dem Stadtstaat ein Aufregerthema. Singapur reagiert und bringt zahlreiche Projekte zur intelligenten, ressourcensparenden Kühlung der Metropole auf den Weg. Zum Einsatz kommen innovative Klimatisierungstechnologien, neue Gebäudekonzepte und eine datengesteuerte Analyse der Hitzeursachen.
„Die Regierung hat erkannt, dass es sich um eine existenzielle Bedrohung handelt“, sagt Gerhard Schmitt, emeritierter Professor für Informationsarchitektur aus der Schweiz und Gründer der Initiative Cooling Singapore, die insgesamt 80 Einzelmaßnahmen angeht.
Die Klimaerwärmung trifft alle Städte der Welt als sogenannte „Wärmeinseln“ stärker als ländliche Regionen. In Berlin erhöhte sich die Mitteltemperatur in den vergangenen Jahrzehnten um ein Grad. Das ist erst der Anfang: Laut Klimamodellen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung steigen die Temperaturen bis 2050 im Schnitt um 1,5 Grad und bis 2100 um 3,3 Grad.
Mit tödlichen Folgen: Die Hitze führt zu Kreislaufproblemen, vor allem ältere und vorerkrankte Menschen sind einem höheren Risiko von Herzinfarkt oder Schlaganfall ausgesetzt. Allein in den Hitzesommern 2003, 2006 und 2015 starben in Deutschland nach Hochrechnung von Robert Koch-Institut, Deutscher Wetterdienst und der Charité insgesamt 19.500 Menschen an der Hitze.
Über die Temperaturen in Berlin können die Menschen in Singapur nur lächeln. Schon jetzt ist der Stadtstaat klimatisch ein ausgesprochen ungemütlicher Ort. Die Metropole liegt rund 150 Kilometer nördlich des Äquators: Ins Schwitzen kommt man hier zu jeder Jahreszeit. Es gibt kaum einen Tag, an dem die Temperaturen nicht über 30 Grad steigen.
Doch bei den hitzeerprobten Bewohnern wächst die Befürchtung, dass sie es bald gar nicht mehr im Freien aushalten können: Bereits 2045 könnte es laut Klimaforschern regelmäßig zu Tagen mit mehr als 40 Grad kommen. Die aktuellen Temperaturrekorde liegen bei knapp 37 Grad, was wegen der hohen Luftfeuchtigkeit aber deutlich unangenehmer ist als bei vergleichbaren Temperaturen in Deutschland.
In Beton und Asphalt wird die Sonnenenergie deutlich stärker absorbiert als in unbebauten Grünflächen. Hochhausschluchten geben der warmen Luft kaum Möglichkeiten, zu entweichen. Hinzu kommt der Wärmeausstoß von Fahrzeugen, Fabriken und Kraftwerken, die sich in einem Kleinstaat wie Singapur auf engstem Raum ballen.
Singapur kämpft gegen die Hitze
Zum Einsatz kommen innovative Klimatisierungstechnologien, neue Gebäudekonzepte und eine datengesteuerte Analyse der Hitzeursachen.
Der Effekt, den auch Großstädter in Deutschland zu spüren bekommen, ist enorm: In den eher ländlichen Gebieten außerhalb Singapurs kann es bis zu sieben Grad kühler sein als im Zentrum. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist diese Differenz kontinuierlich gestiegen. Das ergaben Untersuchungen der National University of Singapore und dem Singapore-ETH Centre (SEC), einem Ableger der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, die das von der Regierung geförderte Projekt Cooling Singapore verantwortet.
Initiator Schmitt zeigt sich trotz der Verschärfung der Situation optimistisch: „Das Problem in seiner jetzigen Form ist von uns selbst verursacht, daher können wir es mittelfristig auch selbst lösen.“
Eine Idee: Fernkühlsysteme. In 25 Metern Tiefe verlaufen durch das zentrale Geschäftsviertel des Stadtstaates und die bei Touristen beliebte Marina Bay viele Rohre, die mit eiskaltem Wasser gefüllt sind. Das pumpt das lokale Versorgungsunternehmen SP Group durch das fünf Kilometer lange Röhrensystem.
Rund zwei Dutzend Gebäude – darunter Bürohochhäuser, Einkaufszentren und das berühmte Hotel Marina Bay Sands – sind an das System angeschlossen. Sie nutzen das Kaltwasser in Wärmetauschern, um damit ihre Räume auf eine angenehme Temperatur zu bringen.
Fernkälte
In 25 Meter Tiefe laufen in Singapur mit kaltem Wasser gefüllte Rohre, um die Stadt zu kühlen – wie hier unter der berühmten Bucht Marina Bay.
Gekühlt wird das Wasser in Großanlagen, die vor der Stadt liegen. Also an Orten, an denen die entstehende Abwärme möglichst wenig stört. Zudem arbeitet das System deutlich effizienter als herkömmliche Klimaanlagen. Es kann nach Angaben der Betreibergesellschaft den Stromverbrauch um ein Drittel senken. Das ist in Singapur besonders relevant, da die Metropole nur wenig Möglichkeiten hat, erneuerbare Energie zu produzieren. 95 Prozent der Elektrizität werden derzeit in Gaskraftwerken erzeugt.
Singapurs Fernkältesystem ist schon jetzt die größte unterirdische Kühlanlage der Welt – wird aber gerade noch weiter ausgebaut, um weitere Hochhauskomplexe anzubinden. Ab Ende 2024 sollen die Treibhausgaseinsparungen des Kühlsystems dem Ausstoß von mehr als 17.000 Autos entsprechen.
Die in Singapur erprobte Technologie stößt auch in Europa auf zunehmendes Interesse: In Deutschland bauen gerade München und Hamburg ihre Fernkältenetze aus. Die Stadtwerke München haben vor, bis Ende 2023 die größte Fernkältezentrale Europas zu schaffen. Sie soll Hotels, Bürogebäude und Einzelhandelsimmobilien klimatisieren und im Vergleich zu konventioneller Kühlung bis zu 70 Prozent an Strom sparen.
Wie der Wind über die Stadt zieht, ist aus Expertensicht ein entscheidender Faktor für den Kampf gegen die Hitze: „In der Stadtplanung muss eine Metropole wie Singapur darauf achten, dass die Durchlüftung vom Meer erhalten bleibt – und nicht sämtliche Luftkorridore verbaut werden“, erklärt Schmitt.
Auch bei bereits bestehenden Bauten gibt es weiterhin Optimierungsmöglichkeiten: In einem groß angelegten Pilotversuch werden in dem Stadtteil Tampines im Osten Singapurs derzeit 130 Wohnblocks mit einer Kühlfarbe bestrichen – diese enthält Zusätze, die Sonne stärker reflektieren. Damit nehmen die Wände selbst weniger Hitze auf – und können deshalb in den Abend- und Nachtstunden auch weniger Wärme an die Umgebung abgeben.
Singapurs Wohnbaubehörde HDB, die den Pilotversuch verantwortet, teilte nicht mit, welche Farbe genau verwendet wird – am Markt gibt es mehrere Anbieter. 2017 stellten Singapurer Forscher eine eigene Kreation vor: Ihre Farbe enthält winzige Partikel, die Nahinfrarotlicht reflektieren und die Wärme dadurch abhalten. „Das Ergebnis dieses Projekts wird uns helfen, die Marktreife für eine breitere Implementierung zu testen – mit dem Ziel, den urbanen Hitzeeffekte abzuschwächen“, sagte Behördenchef Tan Meng Dui. Erste Daten zeigen bereits, dass sich die Umgebungstemperatur so um zwei Grad senken lässt.
Autos stehen derzeit für einen Großteil der von Menschen erzeugten Wärme in Städten. Singapur versucht bereits seit Jahren, den Individualverkehr mit strikten Maßnahmen zu begrenzen. So ist die Zahl der Zulassungen für Fahrzeuge streng limitiert. Der Preis für die Betriebserlaubnis – das Certificate of Entitlement – wird in einem Auktionsmechanismus bestimmt. Der dabei ermittelte Marktpreis ist in den vergangenen Monaten rapide angestiegen und erreichte Mitte August ein neues Rekordhoch. Für die teuerste Zulassungskategorie wurden erstmals mehr als 112.000 Singapur-Dollar (knapp 81.000 Euro) fällig. Noch vor zwei Jahren kostete die Zulassung, die zehn Jahre gültig ist, vergleichsweise harmlose 35.000 Singapur-Dollar.
Während das Autofahren finanziell immer unattraktiver wird, baut Singapur seinen öffentlichen Nahverkehr kräftig aus. Im vergangenen Jahrzehnt kamen 1000 zusätzliche Busse und 200 weitere Züge hinzu. Bis 2030 soll das U-Bahn-Netz, das derzeit aus fünf Linien besteht, um drei Linien erweitert werden.
80 Prozent der Haushalte werden dann weniger als zehn Minuten Fußweg entfernt von einer Haltestelle liegen, versprechen die Behörden. In Neubaugebieten wie dem Stadtteil Tengah sollen Autos – samt ihrem Wärmeausstoß – ganz verschwinden: Straßen gibt es dort nur noch unterirdisch.
Bäume, die Schatten spenden, bepflanzte Dächer, die die direkte Sonnenbestrahlung abhalten: Mehr Pflanzen können in Städten einen Unterschied von ein bis zwei Grad ausmachen, schätzen SEC-Forscher. Vor zwei Jahren kündigte Singapur an, bis zum Ende des Jahrzehnts eine Million neue Bäume pflanzen zu wollen. Bislang wurden mehrere hunderttausend Bäume gesetzt. Mit neuen Wärmesensoren wertet die Stadt aus, wie groß der Kühleffekt der Bäume ist.
Auch soll grün gebaut werden. Der 2018 eröffnete Gemeindewohnungsbau Kampung Admiralty gilt als Aushängeschild einer neuen nachhaltigen Bauweise. Das elf Stockwerke hohe Gebäude der lokalen Architekturfirma Woha vereint Wohnungen, Gesundheitsdienste, Restaurants und Geschäfte.
Das Herzstück der Anlage findet sich auf dem Dach: Stufenförmige Terrassen sind dort komplett bedeckt von Gras und tropischen Bäumen, die auch in der Mittagssonne Schatten spenden. In dem Park gibt es einen Gemeindegarten, in dem Bewohner Gemüse, Obst und Kräuter anpflanzen.
Grünes Vorzeigeprojekt
Pflanzen und Grünflächen mindern die Temperatur, wie im preisgekrönten Wohnkomplex Kampung Admiralty.
Kampung Admiralty ist international ein vielbeachtetes Projekt, gewann mehrere Architekturpreise. Es zeigt, dass eine Stadt auch wachsen kann, ohne Vegetation zu verdrängen: Inklusive der vertikalen Bepflanzung an den Fassaden ist die Grünfläche der Anlage inzwischen umfangreicher als das gesamte 0,9 Hektar große Grundstück. Premierminister Lee Hsien Loong lobte das Projekt, „in dem die Bewohner aktiv sind, sich mit Familie, Freunden und Nachbarn treffen und doch nie zu weit von zu Hause entfernt sind“.
Die Vielzahl der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Hitzevermeidung stellt Stadtplaner jedoch vor die Herausforderung, die richtigen Prioritäten zu setzen. Die Initiative Cooling Singapore arbeitet deshalb nun an einem Werkzeug, das bei den Entscheidungen helfen soll: Sie hat einen sogenannten digitalen Klimazwilling der Stadt entwickelt – ein Modell von Singapurs Mikroklima und der geografischen Beschaffenheit der Stadt, das die Temperaturauswirkung einzelner Maßnahmen im Detail auswertet und auf einzelne Straßenzüge und Häuserblocks herunterbricht.
„Auf diese Weise können wir verstehen, wie sich Hitze auf verschiedene Teile Singapurs auswirkt und kostengünstige Strategien zur Wärmeminderung identifizieren“, sagte Umweltministerin Grace Fu Anfang August im Parlament des Stadtstaates. Das nächste Ziel sei, die Daten auch für die Einwohner verwendbar zu machen – zum Beispiel für die Suche nach einer einigermaßen kühlen Joggingroute.
Bei allen Innovationen: Unumgänglich werden Verhaltensänderungen sein, um die Überhitzung nachhaltig zu bekämpfen, sagt Forscher Schmitt. „Wir brauchen andere Verkehrskonzepte.“ Eine seiner Prognosen wird in Deutschland die Besitzer von Elektroautos erfreuen: „Auf Verbrennungsmotoren in der Stadt müssen wir komplett verzichten.“
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