Der Klimawandel kann durch Verbote nicht verhindert werden. Trotzdem sollten wir unser Verhalten verändern – um Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen. Ein Essay.
Innovationen für den Klimaschutz
Für eine erfolgreiche Innovation reicht es nicht, dass sie auf den Markt kommt.
Bild: Klawe Rzeczy, Getty [M]
Düsseldorf Die Pandemie hat die Menschheit vieles gelehrt. Zum Beispiel, wie kostbar Freiheiten sind. Sich mit Freunden zu treffen, einkaufen zu gehen oder reisen zu können – das alles galt für die meisten als selbstverständlich, bis es auf einen Schlag nicht mehr möglich war.
In gewisser Weise zeigt Corona auf, wie es in den kommenden Jahrzehnten weitergehen wird. Der Klimawandel verändert die Welt in dramatischer und beängstigender Weise. Um ihm entgegenzuwirken, müssen Menschen weltweit kooperieren und ihr Leben verändern – wie beim Kampf gegen das Virus.
Wovon ist hier die Rede? Einem Klima-Lockdown? Einer Öko-Diktatur gar? Verbote, Verzicht, wird so mancher sagen, das wollen wir nicht: Keiner soll mir vorschreiben, wie schnell ich auf der Autobahn fahre. Oder wie viel Rindfleisch ich esse.
Das ist richtig. Verbote oder moralschwere Appelle bringen uns nicht weiter. Trotzdem müssen wir alle unseren Lebensstil ändern. Nicht, um ein paar Kilogramm CO2 weniger auszustoßen. Sondern um Innovationen zu ermöglichen, die unseren Planeten retten werden.
Wissenschaftler, Forscher und Unternehmen werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viele kluge und neue Dinge ersinnen. Elektroautos, Fleisch aus dem Labor oder grüner Wasserstoff, all diese klimafreundlichen Innovationen haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen: Sie sind ungewohnt, teuer und unerprobt.
Diese Produkte und Dienstleistungen brauchen Anwender. Für eine erfolgreiche Innovation reicht es nicht, dass sie auf den Markt kommt. Sie muss auch nachgefragt werden. Noch besser: Sie muss aufgrund von Nachfrage entstehen. Dann bestehen die besten Chancen, dass sie sich behauptet, wächst – und hilft, den Klimawandel wirkungsvoll zu bekämpfen.
Ökonomen reden von Push- und Pull-Effekten. Wir alle können helfen, den Pull-Effekt für neue Produkte so wuchtig wie nur möglich werden zu lassen, sie „auf den Markt zu ziehen“. Dadurch werden wir zum guten, weil wirkungsvollen Klimabürger.
Beispiel Elektroautos: Damit Deutschland bis 2050 kein CO2 mehr ausstößt, müssen nach einer Studie des Thinktanks Agora Energiewende und der Stiftung Klimaneutralität 2030 14 Millionen elektrische oder Plug-in-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein. Das entspricht mehr als einem Fünftel des gesamten derzeitigen Fahrzeugbestands.
Beim nächsten Auto sollte daher klar sein: elektrisch kaufen. Das ist nicht nur gut fürs Klima, sondern macht schlicht Spaß. Dank des hohen Drehmoments beschleunigen Elektroautos viel besser als Verbrenner. Und man hat das gute Gefühl, eine zukunftssichere Technologie erworben zu haben – während der Wiederverkaufswert von Verbrennern in den kommenden 20 Jahren rapide sinken dürfte.
Man könnte es das Elon-Musk-Prinzip des Klimawandels nennen: Nicht die ethische Pflicht, sondern die Freude an klimafreundlichen Produkten wird in den Vordergrund gestellt. Der Kampf gegen die globale Erwärmung wird zur schönen Nebensache.
Tesla-Chef Musk führte erst einen teuren Sportwagen ein, für eine wohlhabende Kundschaft, die nach Spaß und Status suchte. Dann kam die Ausweitung auf andere, kaufkräftige Marktsegmente: Die Luxuslimousine Model S und der ähnlich teure Geländewagen Model X bereiteten den Weg für die Mittelklassemodelle 3 und Y. Nächster Schritt: ein Massenmodell, bislang ohne Namen.
Tesla-Chef Elon Musk
Nicht die ethische Pflicht, sondern die Freude an klimafreundlichen Produkten wird in den Vordergrund gestellt.
Bild: imago images/ZUMA Wire
Der Tesla-Chef wusste genau, dass sich zunächst nur wohlhabende Kunden den grünen Premiumaufschlag gönnen. Und dass diese vielleicht nicht den Klimawandel bekämpfen, sondern eher den Porsche an der Ampel abhängen und im Golfklub für Gesprächsstoff sorgen wollen. Die Strategie ist aufgegangen. Tesla besitzt eine Kundschaft, die fast fanatisch der Marke folgt.
Elektroautos und autonome Fahrtechnik verändern das Fahrverhalten, wie Untersuchungen zeigen. Der Spaß am Speed beschränkt sich auf den Sprint an der Ampel, auf der Autobahn gleitet man lieber entspannt dahin und spart Batterieladung. Eine relevante Zahl von Elektroautos macht so ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen überflüssig. Die Innovation ersetzt das Verbot.
Gut so, denn das Problem von Zwang ist: Er erzeugt Gegenreaktionen, Unfrieden – und kann langfristig das Gegenteil vom angestrebten Ziel erreichen. Wie wenig Zwang ausrichtet, zeigte das Lockdown-Jahr 2020. Die CO2-Emissionen fielen um fünf bis acht Prozent, je nach Zählweise.
Die Fließbänder standen still, kaum jemand flog mehr mit dem Flugzeug. Trotzdem fielen die CO2-Emissionen nur um ein paar Milliarden Tonnen. Und sie schnellten wieder nach oben, seit die härtesten Coronabeschränkungen aufgehoben sind. Der Verzicht beruhte auf Zwang und war daher nicht nachhaltig.
Bis 2050 muss der Kohlendioxidausstoß auf null sinken. Anders geht es nicht, wenn die Erderwärmung verhindert werden soll: Der Treiber des Klimawandels muss komplett verbannt werden. Die Coronapandemie, die trotz gewaltiger Einschränkungen nur vorübergehend ein paar Prozent CO2-Ersparnis brachte, macht klar, was für ein ambitioniertes Ziel das ist.
Und die Pandemie zeigt auch: Mit Verzicht und Zwang ist das kaum zu erreichen. Der einzige Weg zu einer klimaneutralen Welt ist Innovation. Ohne Ideen, Erfindungen und Technologie werden wir scheitern.
Sicherlich können nicht allein die Verbraucher mit ihren Konsumentscheidungen für die nötigen Veränderungen sorgen. Sie können nur nachfragen, was auch angeboten wird. Der Staat ist gefordert, mit richtig gesetzten Anreizen neue, klimaschonende Produkte und Verfahren zu fördern.
Aber Innovation braucht auch Unterstützung, den „Pull“-Effekt der Bürger. Beispiel Landwirtschaft, ein großer Verursacher von CO2: Eine gemeinsame Klimastudie der Thinktanks Stiftung Klimaneutralität und Agora Energiewende zeigt auf, dass beim Weg hin zu einem klimaneutralen Deutschland die Nachfrage nach pflanzlichem oder synthetischem Fleisch und Milch jedes Jahr stetig nach oben geht und 2045 bei einem Anteil von 15 Prozent liegt.
Also probieren Sie das neue pflanzliche Chicken-Sandwich von Burger King oder den Veggie-Burger von Rewe! Sicher, das ist nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern auch des Geldes. Laut einer Analyse von WWF Deutschland sind selbst rabattierte Tofuwurst oder Sojaburger mehr als doppelt so teuer wie herkömmliches Grillfleisch.
Vegane Fleischersatzprodukte
Pionierkunden zahlen am meisten und erwerben dafür den Status des Trendsetters.
Bild: Reuters
Das überrascht wenig. Typischerweise sind neue Produkte teuer – siehe Tesla. Die Pionierkunden zahlen am meisten und erwerben dafür den Status des Trendsetters. Diese helfen, einen Markt aufzubauen. Durch größere Produktionsmengen und Konkurrenz fällt über die Zeit der Preis, sodass mehr und mehr Menschen sich beispielsweise synthetisches Fleisch leisten können.
Das Umweltbundesamt bietet einen Rechner auf seiner Website an, mit dem jeder seine CO2-Emissionen kalkulieren kann. Auch kann man dort seine CO2-Bilanz optimieren. Die Wohnung um ein Grad weniger heizen, auf das Fahrrad umsteigen oder regionale Produkte essen, es gibt viele Optionen.
Doch das Ausfüllen des „CO2-Szenarios“ ist eine frustrierende Sache. Man kann im Winter im Schlafzimmer bibbern, lange Strecken mit dem Drahtesel bewältigen und so viele Äpfel vom Bauern um die Ecke essen – man bleibt weit vom Zielbudget von einer Tonne CO2 pro Person pro Jahr entfernt, das das Umweltbundesamt für 2050 vorgibt.
Der Rechner ist gut gemeint, birgt aber eine Gefahr in sich: Verbraucher werden frustriert und fatalistisch, denken: Es ist sowieso sinnlos, etwas zu verändern. Mit uns geht die Welt unter. Diese Einstellung ist falsch. Denn Innovation braucht die Menschen als Kollektiv.
Mit der Verbreitung von Innovationen beschäftigten sich Ökonomen und Soziologen wie Josef Schumpeter oder Gabriel Tarde, der das Buch „Die Gesetze der Nachahmung“ schrieb, bereits im 19. Jahrhundert. Die Arbeit von ihnen und vielen anderen Wissenschaftlern zeigt: Erfolgreiche Innovation ist kein spontaner, sondern ein sozialer Prozess.
Der Soziologe Everett Rogers erarbeitete die „Innovationsdiffusionskurve“: Neuerungen folgen danach ähnlichen Zyklen und Gesetzen, mit einer bestimmten Verteilung von Kundentypen. So sollen 13,5 Prozent der Menschen „Early Adopter“ oder „frühe Wegbereiter“ sein.
Das ist nur eine Zahl, kein Gesetz. Es gilt die Faustregel: Je mehr „Change Agents“ es gibt, die sich vorzeitig auf Innovation einlassen, desto schneller wird sie sich durchsetzen.
Je rascher sich die Menschheit also auf neue Dinge einlässt, desto besser für das Klima. Die Vorreiter werden zum Vorbild, andere ahmen sie nach. Jede Erzählung von der Wärmepumpe im Keller, die die Ölheizung ersetzt hat, wird weitere Personen aufhorchen und vielleicht ebenso handeln lassen.
Auch werden durch frühes Handeln Netzwerkeffekte aufgebaut und verstärkt. Wer beispielsweise ein Elektroauto kauft, nutzt auch Ladestationen und fördert ihren Ausbau. Das wiederum wird Menschen, die sich um die Reichweite der Elektroautos sorgen, ermuntern, sich vom Verbrenner zu verabschieden.
Damit dieser positive Kreislauf in Gang kommt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Dass sich die Menschen die Innovation leisten können. Und dass sie hält, was sie verspricht.
Oft bestehen die Bedenken aber nur im Kopf, wie das Elektroauto zeigt. Untersuchungen des Automobilklubs ADAC belegen: Je nach Modell sind sie schon heute preiswerter als Verbrenner. Der Staat gibt bis zu 9000 Euro dazu, Elektroautos sind im Unterhalt günstig, verschleißen weniger.
Aber das kann nur herausfinden, wer es ausprobiert. Diese geistige Offenheit ist vielleicht das höchste Gut im Kampf gegen den Klimawandel. Denn eine ganze Welle von Neuerungen und Innovationen wird und muss über uns hereinbrechen.
Eine kritische Würdigung bei gleichzeitiger Bereitschaft zum Ausprobieren kennzeichnet den idealen Klimabürger. Sein Gegenteil ist der durch unzählige Verbote gemaßregelte Klimazyniker, der sich im wahrsten Sinne des Wortes denkt: Nach mir die Sintflut.
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