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29.05.2021

11:16

Insight Innovation

Mit Algorithmen und Drohnen gegen Greenwashing: Hightech-Start-ups enttarnen Umweltsünder

Von: Theresa Rauffmann

Die Firmen überprüfen mit Big Data und KI, wie umweltfreundlich nachhaltige Geschäftsmodelle wirklich sind. Das Resultat fällt oft ernüchternd aus.

Nicht nur Unternehmen brauchen überprüfbare Projekte, sondern auch Anleger, die ihr Geld nachhaltig investieren wollen. Julius Brauckmann, Getty Images, AP, Bloomberg, Keystone, ESA, Sylvera

Mit Technologie Umweltprojekte bewerten

Nicht nur Unternehmen brauchen überprüfbare Projekte, sondern auch Anleger, die ihr Geld nachhaltig investieren wollen.

Düsseldorf Auf der Halbinsel Yucatán im Westen von Mexiko liegt das gute Gewissen deutscher Unternehmen begraben. 6,3 Millionen Bäume hat die Stiftung Plant for the Planet hier gepflanzt, für nur einen Euro pro Baum. Aber der Ort war nicht gut gewählt: Eine der Senken, in der eine Million Bäume standen, stand monatelang unter Wasser.

Ob die Bäume überleben, ist fraglich. Nicht die einzige Merkwürdigkeit bei dem Projekt, einige Flächen waren vor der Aktion beispielsweise bereits bewaldet. Erst nach einem Medienbericht räumte die Stiftung die Probleme ein.

Von SAP über Procter & Gamble, den Käsehersteller Hochland, die Bitburger Brauerei bis zum Senffabrikanten Develey – viele Unternehmen kooperierten mit Plant for the Planet. Die Verlockung war groß: schnell und preiswert Gutes tun, Erosion verhindern und CO2 aus der Atmosphäre holen. Jetzt überprüfen die Unternehmen die Zusammenarbeit, einige haben sich wie SAP schon vor einiger Zeit distanziert.

Der Fehltritt ist allerdings wenig überraschend. Geeignete Umweltprojekte zu finden ist schwer. Laut einer Analyse des britischen Start-ups Sylvera verfehlte fast die Hälfte von 35 untersuchten Umweltprojekten ihre Ziele, mindestens drei erwiesen sich als völliger Fehlschlag.

Woher das Start-up das weiß? Sylvera überwacht CO2-Kompensationsprojekte mithilfe von Künstlicher Intelligenz: Die wertet Daten wie Satellitenbilder, Drohnenaufnahmen und chemische Proben aus gefällten Bäumen aus, mit denen sie recht genau Aufforstungsprojekte beurteilen kann.

Sylvera ist nur eine von mehreren Firmen, die mit smarter Technologie ein neues Geschäftsfeld besetzen: die Überprüfung von Nachhaltigkeit. Ähnliches macht Pachama, in das schon Amazon investiert hat.
Die neuen Firmen wollen sogenannte „freiwillige Kohlenstoffmärkte“ überwachen, mit denen Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen CO2-Emissionen kompensieren. McKinsey schätzt, dass bis 2030 bis zu 50 Milliarden Dollar damit umgesetzt werden.

Aber oft fehlen einheitliche Standards und Stellen, die die Güte der Projekte überwachen. Unternehmen können die Erfolge von Kompensationsprojekten meist nur schwer einschätzen.

Satellitendaten zur Überwachung der Projekte

Das Schwierigste daran, die Qualität von Aufforstungsprojekten zu beurteilen, sei die Komplexität. „Man muss Ahnung haben von Satelliten, Physik, Geografie, Wirtschaft, Finanzen, Aufforstung“, zählt Samuel Gill, Mitgründer von Sylvera, die Punkte auf. Früher war er Anwalt, heute will er mit seinem Start-up Greenwashing bekämpfen.

Eines der Projekte, die sein Start-up beurteilt hat, hatte etwa zum Ziel, die Abholzung in einem bestimmten Gebiet zu verhindern. Das Ziel wurde erreicht. Aber mithilfe der Satellitendaten fand Sylvera heraus, dass es dafür erhebliche Abholzungen in nahe gelegenen Gebieten gab. Ein Phänomen, das oft vorkommt und in der Fachwelt den Namen „Leakage“ hat. Doch ohne Überwachung der Projekte und Transparenz erfahren deutsche Anleger nichts von der „Undichtigkeit“.

Aufforstungsprojekte sind gut fürs Klima. Wie gut und nachhaltig die Projekte wirklich sind, ist aber schwer zu beurteilen. imago images/Christian Ohde

Naturwald in Schleswig-Holstein

Aufforstungsprojekte sind gut fürs Klima. Wie gut und nachhaltig die Projekte wirklich sind, ist aber schwer zu beurteilen.

Für die Überwachung der Projekte nutzt das Start-up beispielsweise die radarbasierten und optischen Sentinelsatelliten der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) oder die Lidardaten des Projekts GEDI der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Außerdem greift Sylvera auf Klimadaten zurück und prognostiziert Zukunftsrisiken, indem es Daten zur Bevölkerung, Veränderungen der Infrastruktur oder auch den Rechtsstaatlichkeitsindex mit einbezieht.

Nicht nur Unternehmen brauchen überprüfbare Projekte, sondern auch Anleger, die ihr Geld nachhaltig investieren wollen. Bis 2025 könnte ein Drittel des weltweit verwalteten Kapitals in nachhaltigen Geldanlagen stecken, prognostiziert Bloomberg Intelligence. Strengere Umweltvorgaben im Kampf gegen den Klimawandel dürften den Trend noch befeuern.

Mit Big Data und maschinellem Lernen bewertet Clarity.AI die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Fonds. Seine Algorithmen sind darauf trainiert, für die spezifischen Branchen die wichtigsten und verlässlichsten Datenquellen zu gewichten und die Unternehmen dann mit einem Wert zwischen eins und 100 zu bewerten. In seiner Datenbank hat das Start-up bisher mehr als 30.000 Unternehmen und 200.000 Fonds analysiert.

Das deutsche Start-up Right. Based on Science drückt die Nachhaltigkeit von Unternehmen noch griffiger aus: Dafür hat es ein Modell entwickelt, bei dem am Ende eine Gradzahl steht, die aussagt, um wie viel Grad sich die Erde bis 2050 erwärmen würde, wenn die gesamte Weltwirtschaft so wirtschaften würde wie das analysierte Unternehmen.

Deutsche Unternehmen müssen bei Klimazielen nachbessern

Dafür schauen sich die Analysten des Start-ups die Bruttowertschöpfung der Unternehmen an und setzen sie in Relation zu den ausgestoßenen Emissionen. „Die Entwicklung von Emissionen pro Bruttowertschöpfung projizieren wir anhand von Szenario-Analysen bis 2050, skalieren sie hoch auf die Welt und geben die Daten dann in ein Klimamodell ein“, sagt Hannah Helmke, Mitgründerin des Unternehmens.

Auch hier sind die Ergebnisse erst einmal ernüchternd: Deutlich unter 25 Prozent der deutschen Unternehmen, die das Start-up analysiert hat, sind nicht einmal kompatibel mit einem 1,75-Grad-Ziel.

Helmke betont aber, dass ihr Modell nicht nur den Istzustand zeichnet, also was passieren würde, wenn die Unternehmen die nächsten Jahre weiter emittieren würden wie bisher. Mithilfe des Modells könnten sie auch ihre Klimastrategien so ausrichten, dass sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen.

Das Start-up wendet das Modell auch auf Aktienportfolios oder Staatsanleihen an, will es für Immobilien weiterentwickeln. Mit der Gradzahl möchte das Start-up den Unternehmen keinen öffentlichen Stempel aufdrücken, sondern sieht sich als Dienstleister, der den Unternehmen dabei hilft zu verstehen, wie sie auf das Klima wirken und wie sie das steuern können.

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