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06.01.2023

15:57

Luftfahrt

Flugtaxi-Pionier Joby will Fokus auf Deutschland ausweiten – Shortseller attackieren Firma

Von: Astrid Dörner, Felix Holtermann, Stephan Scheuer

Gründer JoeBen Bevirt sieht seine Firma in der Entwicklung als führend. Aber das Scheitern eines prominenten Rivalen, Shortseller und skeptische Aufseher bremsen die Branche.

„Uns schlägt schon seit Jahren viel Skepsis entgegen.“ Joby Aviation

Joby-Gründer JoeBen Bevirt

„Uns schlägt schon seit Jahren viel Skepsis entgegen.“

Santa Cruz, New York Ein Surren ertönt, als das elektrische Flugtaxi in die Höhe steigt. Es dreht einige Runden, bevor es wieder am Hangar auf dem Flughafen von Marina südlich der kalifornischen Stadt Santa Cruz landet. „Wir ebnen den Weg in die Zukunft“, sagt der Chef des Flugtaxi-Unternehmens Joby, JoeBen Bevirt, dem Handelsblatt.

Flugtaxis sind angetreten, die Luftfahrt zu revolutionieren. Firmen, die daran arbeiten, gibt es viele. In Deutschland sind das etwa Lilium aus München und Volocopter aus Karlsruhe, in China beispielsweise Ehang. Und auch im Silicon Valley gibt es etliche Rivalen.

Joby beansprucht allerdings für sich, führend beim eingesammelten Kapital und den geleisteten Flugstunden zu sein. Bevirt kündigt zudem an, seinen Fokus auf Deutschland auszuweiten und die Niederlassungen der Firma bei München und bei Stuttgart ausbauen zu wollen.

Joby-Aktie: Shortseller und Behörden setzen Kurs unter Druck

Aber selten war die Skepsis gegenüber der Branche so groß wie heute. Im abgelaufenen Jahr verlor die Joby-Aktie mehr als die Hälfte an Wert. Shortseller und Aufsichtsbehörden setzen die Unternehmen unter Druck.

Mit der Firma Kittyhawk, die vom Google-Mitgründer Larry Page unterstützt wurde, ist bereits ein prominenter Anbieter gescheitert. Noch im Sommer bewarb das Unternehmen seine Flugtaxi-Ambitionen mit dem Spruch: „Wenn das irgendjemand schaffen kann, dann wir.“ Ende September gab Kittyhawk sein Ende bekannt.

Bevirt sieht das Aus eines wichtigen Rivalen nicht als grundsätzlichen Rückschlag für die Branche. „Uns schlägt schon seit Jahren viel Skepsis entgegen“, sagt er. Das ändere aber nichts an den Chancen. Auch traditionelle Luftfahrtfirmen glaubten an die Zukunft der Flugtaxis.

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Die US-Airline Delta hatte im Oktober angekündigt, 60 Millionen Dollar in Joby zu investieren. Vorstandschef Ed Bastian sagte: „Dies ist eine bahnbrechende Gelegenheit für Delta, eine zeitsparende, einzigartige Premiumlösung für die Verbindung von zu Hause zum Flughafen anzubieten.“ Das Ziel: Künftig sollen Flugtaxis Kunden zu Hause abholen und direkt zum Flughafen bringen – ohne im Stau zu stehen oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen zu müssen.

Kritik an Transport-Prestigeprojekten

Eine solche Vision steht jedoch für die grundsätzlichen Probleme der Branche, sagt der kanadische Autor Paris Marx. Anstatt konkrete Probleme zu lösen, würden sich Technologiefirmen in Prestigeprojekte verrennen. „Die Firmen haben vieles schlimmer gemacht“, schreibt Marx in seinem Buch „Road to Nowhere“, in dem er sich kritisch mit den Visionen des Silicon Valleys zum Verkehr der Zukunft auseinandersetzt.

Im Großraum San Francisco krankt der öffentliche Nahverkehr seit Jahren. Fahrzeiten sind lang, oft kommt es zu Ausfällen und starken Verspätungen. Konzerne wie Apple, Alphabet oder Meta haben eigene Busse, die ihre Angestellten in die Büros bringen, weil öffentliche Busse und Züge schlicht keine verlässliche Alternative sind.

Bevirt sieht in den Geräten seiner Firma dennoch eine Lösung für praktische Probleme. Die Flugtaxis könnten auch in Städten starten und landen, ohne die Anwohner zu stark zu stören. Zudem würden sie den Straßenverkehr entlasten. Und die Flugzeuge könnten im Kampf gegen den Klimawandel helfen, weil sie mit Batterien angetrieben werden.

Das US-Start-up legt immer wieder ambitionierte Pläne vor. Joby Aviation

Flugtaxi von Joby Aviation

Das US-Start-up legt immer wieder ambitionierte Pläne vor.

Allerdings ist auch Joby stark unter Druck geraten. Bevirt hatte für das schon 2009 gegründete Unternehmen stets ambitionierte Pläne vorgelegt. Vor dem Börsengang im vergangenen Jahr hatte Joby den Investoren in Aussicht gestellt, es sei möglich, im Jahr 2024 insgesamt 141 elektrische Senkrechtstarter im Einsatz zu haben. In einer weiteren Prognose war die Rede von 900 Flugzeugen im Jahr 2026, die jeweils bis zu 40 Flüge pro Tag absolvieren könnten.

Produktionsziele und Reichweite

Diese Ziele seien völlig unrealistisch, und Investoren seien getäuscht worden, kritisierte der Shortseller Bleecker Street Research in einem Bericht. „Wir glauben, dass Joby seine Möglichkeiten stark überschätzt hat“, hieß es darin.

Gegenüber den Behörden habe Joby seine Pläne deutlich zusammengestrichen und spreche jetzt nur noch von der Fertigung von zehn Fluggeräten pro Jahr während der kommenden zwei Jahre in der Anlage bei Santa Cruz. Shortseller wetten auf Kursverluste einer Aktie und profitieren also, wenn Anleger das Vertrauen in ein Unternehmen verlieren.

Joby-Finanzchef Matthew Allen Field versuchte dagegen, die Sorgen zu zerstreuen. Geringere Produktionszahlen seien kein Problem, sondern Teil der Strategie. „Wir bauen eine Produktionslinie mit geringer Stückzahl, um unsere Fertigungsprozesse zu validieren und zu zertifizieren“, sagte Field. Sobald alles geprüft und getestet sei, könnte Joby die Produktion stark ausweiten.

Zudem sei das Unternehmen finanziell sehr gut aufgestellt. „Ende September hatten wir 1,1 Milliarden Dollar an Barmitteln und kurzfristigen marktfähigen Wertpapieren“, sagte Field.

Allerdings räumte Bevirt ein, dass sich die Genehmigungsverfahren bei den US-Luftfahrtbehörden länger hinziehen als ursprünglich gedacht. Statt 2024 werde nun 2025 als Start für den kommerziellen Flugbetrieb angepeilt. Ein Großteil der Technik werde intern entwickelt, sagt Bevirt: „Wir entwerfen und bauen unsere eigenen Motoren, Verkabelungssysteme und Batteriepakete.“ Die Batteriezellen wiederum kämen von Zulieferern für die Autoindustrie.

Entscheidend für den Durchbruch ist laut Beobachtern, ob Joby mit dem rein elektrischen Antrieb eine ausreichende Reichweite garantieren kann. Ein Prototyp sei im Jahr 2021 umgerechnet fast 250 Kilometer geflogen – ferngesteuert und ohne Passagiere, sagte Bevirt. Auch mit vier Passagieren, einem Piloten und Gepäck werde die Reichweite „nicht wesentlich“ unter 160 Kilometer fallen. Das sei für die angestrebten Kurzstreckenflüge völlig ausreichend.

Die Frage nach dem Lärm

Ein Thema dürfte auch in Zukunft ein Problem darstellen: die Lärmbelästigung beim Starten und Landen. Zwar sind Jobys Maschinen leiser als herkömmliche Helikopter, von einem lautlosen Flug kann aber keine Rede sein. Das Thema dürfte Bevirt in den anstehenden Genehmigungsverfahren umtreiben – schließlich kämpfen beispielsweise New Yorker Lokalpolitiker seit Jahren gegen eine Ausweitung der Fluglizenzen.

„Wir haben mehr als ein Jahrzehnt lang am Thema Sound gearbeitet“, erklärt Bevirt, „sowohl am Geräuschpegel als auch am Klangprofil der Maschinen.“ Helikopterlärm werde als besonders störend empfunden, aufgrund des aufdringlichen „Wop-Wop-Geräuschs“ der Rotoren, so der Gründer. Eine entsprechende Geräuschentwicklung gebe es bei seinen Maschinen nicht.

Aber auch bei Joby gelte: Wenn der Nachbar lande, wolle man nicht direkt daneben stehen, sagte Bevirt. „Unser Ziel ist ein nahezu geräuschloser Überflug.“ Bisher seien die Joby-Maschinen in hundert Meter Entfernung knapp 65 Dezibel laut – das genau ist die Grenze dessen, was menschliche Ohren als störend empfinden.

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