Selbstfahrende Kleinbusse sollen den Nahverkehr verändern. Das Paderborner Familienunternehmen Benteler hofft auf ein weltweites Millionengeschäft.
Beep-Bus im Yellowstone-Nationalpark
Die autonom fahrenden Kleinbusse sollen helfen, die wachsenden Besucherzahlen zu bewältigen.
New York Yellowstone ist eine amerikanische Ikone. Der Nationalpark im Westen der USA ist bekannt für seine tausend Jahre alten Bäume, Schwarzbären und Bisons. Geht es nach dem Paderborner Automobilzulieferer Benteler, dann wird er schon bald noch für etwas anderes bekannt sein: seine selbstfahrenden Busse.
Hier im Nationalpark testet das Start-up Beep aus Florida, mit dem Benteler eine Kooperation vereinbart hat, seit dem vergangenen Sommer eine Flotte autonom fahrender Kleinbusse, „Teddy“ genannt. Und Yellowstone ist nicht der einzige Versuchsort: Auch an neun anderen Orten, vor allem in Florida, sind insgesamt 30 Busse ohne Fahrer bereits im Einsatz.
Das autonome Fahren ist die wohl wichtigste Zukunftstechnik der Autobranche. Viele Unternehmen experimentieren mit unterschiedlichen Ansätzen, darunter Autohersteller wie Tesla und Mercedes-Benz und Tech-Firmen wie Google und Nvidia. Benteler und Beep streben einen besonders schnellen Durchbruch an: indem sie sich auf ein eng umrissenes Segment fokussieren, wie Beep-Chef Joe Moye erklärt.
„Wir setzen auf das Mikro-Transportgeschäft: die erste und letzte Meile, also Mobilitätslösungen in ausgewählten Gebieten“, sagt Moye. Heißt: Die Beep-Busse fahren auf abgegrenzten Strecken und nach Fahrplan. Der Vorteil: „Wir haben verlässliche Routen, die das System genau kennt. Daher können unsere Busse bereits heute im normalen Straßenverkehr mitfahren, neben anderen Autos, Fahrrädern und Fußgängern.“ 19 Routen bedient Beep derzeit – mit einer Höchstgeschwindigkeit von 32 Stundenkilometern.
Eine Fahrerkabine haben die Busse nicht. Bisher fährt ein sogenannter Sicherheitsbeauftragter mit, aber auch das soll sich 2022 ändern. Bei Problemen kann sich die „Mission Control“ einschalten, ein Callcenter: Die Mitarbeiter dort steuern das Fahrzeug nicht fern, aber können es bei Problemen nach Prüfung der Lage anweisen weiterzufahren.
„Wir setzen nicht auf das Robotaxi-Modell“, sagt Moye, wie es etwa Google mit seiner Tochter Waymo in Phoenix und San Francisco testet. Dort bewegen sich autonome Taxis auf Abruf frei durch die Stadt, was in der Branche als Level-4-Ansatz bekannt ist. „Ich persönlich glaube nicht an Level 4 im breiten Einsatz in den kommenden Jahren“, so Moye.
Beep konzentriere sich auf das Machbare. „Wir wollen gar nicht erst Uber oder Lyft mit fahrerlosen Taxen Konkurrenz machen. Schließlich ersetzen diese nur ein Auto durch ein anderes. Wir wollen den öffentlichen Nahverkehr revolutionieren. Unsere autonomen Busse sollen viel mehr Autos von der Straße nehmen.“
Das Marktpotenzial ist theoretisch groß: 250.000 kleine Shuttlebusse gibt es in den USA, rechnet Moye vor. Für den Mittelständler aus Paderborn ist das ein riesiges Wachstumspotenzial. Noch vor wenigen Jahren war der dortige Autozulieferer und Stahlrohrspezialist Benteler angeschlagen und musste saniert werden, 2020 einigte er sich mit den Gläubigerbanken auf die Refinanzierung der 1,8 Milliarden Euro schweren Schuldenlast. Jetzt will das Unternehmen mit neuen Geschäftsfeldern wachsen.
Man verfolge „im Bereich der People-Mover (...) ambitionierte Ziele“, sagte Benteler-Chef Ralf Göttel vor Kurzem dem Handelsblatt. „Der Bereich hat riesiges Potenzial; wir verbinden damit Wachstums- und Beschäftigungschancen. 2024 möchten wir die ersten Serienfahrzeuge in den Markt bringen.“ Im Moment suche man weiteres Wachstumskapital: „Das ist ein sehr großer Markt, den wir nicht singulär aus eigener Kraft stemmen können“, so Göttel.
Benteler hat das Geschäft mit den autonomen Bussen Ende 2021 in eine eigene GmbH ausgegliedert, um Wachstumskapital einzuwerben. Man hoffe auf Investitionen im dreistelligen Millionenbereich, erste Investorengespräche liefen bereits, heißt es aus Paderborn. Die Plattform wurde gemeinsam mit Bosch entwickelt.
„Wir wollen die Chancen und das Momentum der E-Mobilität nutzen“, sagt Marco Kollmeier, Chef der Benteler-Tochter EV Systems. Dabei setzt Benteler auf neueste Technologie: Neben Kameras sind das Lidar, also Lasersensoren, die die Umgebung besonders genau abtasten. Der „Benteler Mover“ genannte Bus enthält gleich mehrere Kameras und Lidars. Das komplette System und die Software für das autonome Fahren kommen von der Intel-Tochter Mobileye aus Israel.
„Wir entwickeln und produzieren seit 2012 Komponenten für E-Fahrzeuge“, sagt Kollmeier. „Mittelfristig planen wir, 10.000 autonome Mover für den globalen Markt zu produzieren.“
Beep-Kleinbus
Die Busse fahren auf abgegrenzten Korridoren ohne Fahrer, die nötige Technologie kommt von der Intel-Tochter Mobileye.
Der Preis ist noch geheim. Mehr als 100.000 Dollar pro Bus werden es aber sein, so Kollmeier. „Für uns ist das ein völlig neues Geschäftsfeld. Wir werden künftig die autonomen Mover selbst produzieren und auch in den USA eine Fertigung aufbauen.“ Da der Bereich autonomer Kleinbusse bisher nicht durch die großen Bushersteller wie Daimler Truck, MAN und Co. besetzt sei, gebe es eine Marktlücke. „Der Mover wird neue Mobilitätslösungen schaffen, die den heutigen Nahverkehr optimal ergänzen“, glaubt Kollmeier.
Nicht alle Marktbeobachter sind so optimistisch. „Die Absatz-Planzahlen von Tausenden bis Zehntausenden Kleinbussen in den kommenden zwei Jahren scheinen sehr hoch“, sagt ein US-Brancheninsider. Kaum vorstellbar sei, dass die Zulassungsbehörden schnell grünes Licht geben werden: Die Technik sei noch nicht ausgereift, außerdem gebe es Haftungsfragen. „Waymo und Cruise, die weithin als führend beim autonomen Fahren gelten, sind da vorsichtiger in ihren Verlautbarungen.“
Kollmeier zufolge soll das Segment der Kleinbusse, das man anpeilt, den Erfolg ermöglichen. „Es gibt heute schon einen Markt für mehrere Tausend autonome Mover. Hinzu kommt das weltweite Potenzial. Wir sind Innovationsführer und rechnen fest damit, ab 2024 mehrere Tausend Einheiten pro Jahr zu verkaufen.“ Gestartet werde die Vermarktung in den USA, dann soll ein globales Angebot folgen.
Auch der US-Partner Beep gibt sich optimistisch und plant in den kommenden sechs bis acht Jahren mit Umsätzen von 100 Millionen Dollar pro Jahr. 50 Millionen Dollar hat Beep bereits von Investoren eingesammelt. Binnen 24 Monaten soll der Cashflow positiv werden.
Fakt ist: Noch schränken rechtliche Hindernisse den Durchbruch ein; die bisherigen US-Pilotbetriebe hängen an Ausnahmegenehmigungen. Doch das soll sich ändern. „Wir sind in engen Gesprächen mit der NHTSA“, der US-Straßenverkehrsaufsicht, sagt Beep-Chef Moye. Diese unterstütze den eigenen, vorsichtigen Ansatz. In Paderborn dürfte der Fortgang der Gespräche genau verfolgt werden.
In Yellowstone zumindest ist man offen für die autonome Mobilität. Yellowstone-Superintendent Cam Sholly erklärte zum Start des Pilotbetriebs, man müsse die steigenden Besucherzahlen bewältigen. Daher wolle man die neue „Technologie testen – und schauen, ob sie funktioniert“.
Mitarbeit: Roman Tyborski
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