Europas Raumfahrtprogramm muss sich gegen Rivalen wie SpaceX wehren. Ein Raketenunfall bereitet Sorge – insgesamt sieht sich Arianespace jedoch auf Kurs.
Vega-Rakete in Kourou
Die Mission ist kurz nach dem Start gescheitert, am weiteren Startzeitplan wird festgehalten.
Bild: dpa
Paris Stéphane Israël leitet Arianespace, die als Vermarkter der europäischen Ariane-Rakete gegründet wurde. Arianespace gehört zur Ariane Group, die wiederum ein Gemeinschaftsunternehmen des europäischen Luftfahrtkonzerns Airbus und des französischen Triebwerkherstellers Safran ist.
Mittlerweile bietet Arianespace neben Flügen mit der Rakete Ariane 5 auch Starts mit dem vom italienischen Unternehmen Avio gebauten Modell Vega und der russischen Sojus an. Dabei hat das Unternehmen immer stärker mit der Konkurrenz von Elon Musks SpaceX, das von der US-Regierung unterstützt wird, und neuen privaten Anbietern zu kämpfen.
In diese Phase fällt nun auch noch ein Unfall: Am Dienstagmorgen kam eine Vega mit zwei Satelliten an Bord wenige Minuten nach dem Start vom Kurs ab und musste aufgegeben werden. Es ist seit Indienststellung 2012 der zweite Vega-Unfall – allerdings innerhalb von anderthalb Jahren.
Derweil verzögert sich die Premiere des Hoffnungsträgers des europäischen Gemeinschaftsunternehmens: der Ariane 6. Das neue Raketenmodell soll die Antwort auf die Herausforderungen der Konkurrenz sein, ein gutes Stück billiger und flexibler als die noch eingesetzte Ariane 5.
Doch noch ist die Finanzierung nicht ganz gesichert, und der für 2021 geplante Erststart muss auf 2022 verschoben werden. Stéphane Israël äußert sich im Gespräch über die Ursachen des jüngsten Unfalls, die Konsequenzen für das europäische Raumfahrtprogramm und darüber, was Arianespace SpaceX entgegenzusetzen hat.
Herr Israël, Dienstagmorgen ist eine Vega-Rakete mit zwei Satelliten vom Kurs abgekommen, es gibt wohl schon eine erste Erklärung für den technischen Defekt. Was sind die Konsequenzen für Ihr weiteres Programm?
Nach ersten Untersuchungen ist ein industrielles Problem im Zusammenhang mit der Integration der vierten Stufe (AVUM) die wahrscheinlichste Ursache für den Kontrollverlust über die Trägerrakete. Wenn diese Ursache von der Untersuchungskommission bestätigt wird und wenn diese Kommission rasch korrigierende Lösungen zur Stärkung der Qualitäts- und Kontrollprozesse vorschlägt, können wir eine Rückkehr zum Flug der Vega unter allen erforderlichen Zuverlässigkeitsbedingungen ins Auge fassen, die mit unseren Zielen für 2021 für diese Trägerrakete vereinbar ist. Das ist das Szenario, auf das wir heute setzen. Der Zeitplan für andere Starts, insbesondere für die drei Sojus-Starts, die vor Ende des Jahres von Kourou und Wostotschny aus geplant sind, bleibt davon unberührt.
Wie ist denn derzeit die Position von Arianespace auf den institutionellen und privaten Märkten für Raketenstarts?
Heute ist der Markt dadurch gekennzeichnet, dass die Vereinigten Staaten und China hyperinvestieren, sie sind in zivile und militärische Konkurrenz getreten: Wer kann die meisten Starts durchführen? Es gibt auch weniger Starts für große geostationäre Telekommunikationssatelliten, zugunsten großer Konstellationen von Kleinsatelliten. SpaceX konzentriert sich auf seine eigene Konstellation, Amazon beabsichtigt, mehr als 3000 Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen.
EU-Kommissar Thierry Breton arbeitet aktiv auf eine europäische Konstellation hin, die von der Industrie nachdrücklich unterstützt wird. Und Arianespace startete Anfang dieses Jahres zweimal für One Web und hat im Rahmen der Übernahme des Projekts 16 weitere Starts erhalten. Das Jahr 2020 ist das Jahr der Konstellationen.
Vom Fehlschlag am Dienstag abgesehen – wie viele erfolgreiche Starts hat Arianespace in diesem Jahr absolviert?
Seit Anfang des Jahres haben wir sechs Starts durchgeführt. Es gab drei kommerzielle Starts mit der Ariane 5, zwei für One Web mit Sojus und einen mit der Vega-Rakete (mit Unterstützung der Esa und der Europäischen Kommission). Wir freuen uns sehr, dass die Zusammenarbeit mit One Web unter der Führung der britischen Regierung und dem indischen Unternehmen Bharti fortgesetzt wird. Unsere Konkurrenten haben sehr aktiv versucht, uns zu verdrängen, aber es ist ihnen nicht gelungen.
Stéphane Israël
Der Leiter von Arianespace zeigt sich zuversichtlich, dass die Ariane 6 im Konkurrenzkampf überzeugt.
Bild: ddp/abaca press
Sie nutzen die russische Sojus-Rakete. Ist das nicht so, als würde Peugeot Autos von Lada verkaufen?
Nein, dies geschieht im Rahmen einer europäisch-russischen Partnerschaft, die nach dem Fall der Berliner Mauer beschlossen wurde und mit der wir sehr zufrieden sind. Wir haben mit unseren russischen Partnern einen Vertrag über die Lieferung von 21 Sojus im Jahr 2015 unterzeichnet. Zu dieser Zeit war die Ariane 5 für bestimmte Aufgaben nicht geeignet. Künftig werden Ariane 6 und Vega-C in der Lage sein, alle institutionellen Bedürfnisse Europas zu bedienen, aber Sojus spielt eine nützliche Rolle. Tatsächlich wurde Sojus von One Web ausgewählt, um die erste Generation seiner Satelliten zu stationieren.
Vielleicht auch, weil der erste Start der Ariane 6 nun auf 2022 verschoben wurde. Ist das Projekt noch gesichert? Die französische Regierung behauptet, dass die deutsche Kritik härter werde. Und die deutsche Regierung hat sogar SpaceX gewählt, um einen Regierungssatelliten ins All zu bringen.
Die Ariane 6 ist sicher, das Projekt steht absolut nicht infrage. Was die Entscheidung für SpaceX betrifft, so ist dies für mich eine Entscheidung aus der Vergangenheit, die einer Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt entsprach, als die Ariane 5 nicht ganz geeignet war. Diese Situation wird sich hoffentlich in Zukunft mit der Ariane 6 und der Vega-C nicht wiederholen. Heute sehen wir eine eindeutige, klare Unterstützung aus Deutschland für die Ariane 6. Der Bundestag hat sich für die Gemeinschaftspräferenz ausgesprochen, was wir begrüßen.
Die Ariane 6 soll die europäische Antwort auf sinkende Preise und neue Wettbewerber sein. Was sind die Gründe für die Verzögerung dieser Trägerrakete?
Sie ist hauptsächlich eine Folge der Corona-Pandemie. Das Raumfahrtzentrum in Guyana musste für zwei Monate geschlossen werden, und die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz haben seither die Produktivität eingeschränkt. Immerhin sind 13 Staaten beteiligt, und die verschiedenen gesundheitlichen Anforderungen haben erhebliche Auswirkungen in Französisch-Guayana und in der europäischen Lieferkette sowohl für die Ingenieure als auch für diejenigen, die mit der Herstellung der ersten Flugmuster zusammenhängen.
Das Wichtigste ist, dass alle Raketentriebwerke erfolgreich getestet worden sind. Im Zusammenhang mit Covid dauern viele Aktivitäten länger als erwartet, aber es gibt keine technische Blockade. Ende des Jahres soll die Oberstufe von Bremen zum Zündversuch in das Testzentrum nach Lampoldshausen transportiert werden. Dies ist ein sehr wichtiger Meilenstein für Deutschland und für die Ariane 6.
Aber wenn wir die Esa richtig verstehen, müssen noch zusätzliche Kosten in Höhe von 230 Millionen Euro finanziert werden.
Der Esa-Rat Ende Dezember wird die zusätzlichen Kosten für den Abschluss der Entwicklung im Zusammenhang mit Covid-19 eingehender erörtern. Darüber hinaus führt diese Verzögerung zu Kosten während der Übergangsphase zwischen Ariane 5 und Ariane 6: Es entsteht ein einjähriger Fehlbetrag bei der Vermarktung, und die Fixkosten müssen gedeckt werden. Wir sind auch mit der Esa in Gesprächen zu diesem Thema.
Wird die Ariane 6 preislich noch wettbewerbsfähig sein? SpaceX scheint die Nase vorn zu haben.
Ausgehend von einer Rate von neun Starts pro Jahr wird Ariane 6 mindestens 40 Prozent billiger sein als Ariane 5. US-Raketen profitieren von dem massiven Engagement ihrer Regierung. Die US-Luftwaffe zahlt 316 Millionen Dollar für den Start einer Falcon Heavy im Jahr 2022, was etwa dem Dreifachen des Exportpreises dieser Schwerlast-Trägerrakete entspricht. Der amerikanische Steuerzahler subventioniert also die Falcon, was sehr gut für unseren Konkurrenten ist. In Europa gibt es aus der öffentlichen Beschaffung keine Unterstützung in vergleichbarer Größenordnung.
SpaceX betreibt Dumping im Export?
Ich verwende diesen Begriff nicht, weil unsere Aktivitäten nicht von der Welthandelsorganisation (WTO) abgedeckt sind und Ariane auch von öffentlichen Geldern profitiert. Aber Europa muss sich die Frage nach einer besseren Mischung aus öffentlichen und privaten Aufträgen für seine eigenen Raketen stellen. Wir brauchen einen stärkeren institutionellen Markt. Andernfalls wird es unserem europäischen Zugang zum Weltraum an Belastbarkeit fehlen.
In Deutschland kommt immer wieder der Verdacht auf, Frankreich nutze die Ariane für die Modernisierung seiner Nuklearraketen.
Die französische nukleare Abschreckung zählt nicht zum Aufgabengebiet von Arianespace.
Wir haben die Fähigkeiten und die Talente, aber Europa tut sich schwer mit neuen Konkurrenten. Ist unsere Organisation zu schwerfällig? Liegt es am Prinzip des Geo-Return, also dem Rückfluss der nationalen Mittel?
Geo-Return ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, Gelder zu mobilisieren. Im Gegenzug erhalten die Staaten entsprechende Arbeitsplätze und Technologien. Wir müssen aber auch bedenken, dass unsere technologische Entwicklung und industrielle Produktion heute einem noch nie da gewesenen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Aber die Entwicklung des Geo-Returns ist keine Frage, die Arianespace lösen kann; es liegt an den Regierungen zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zu ergreifen bereit sind, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Vielleicht braucht Europa mehr internen Privatwettbewerb?
Die US-Regierung hat bei einer unabhängigen Firma eine Studie in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob sie drei oder mehr verschiedene Trägerraketen haben sollte, um ihren Bedarf zu decken. Die Antwort war klar: Zwei (SpaceX und ULA) wurden gewählt, weil der Markt für drei nicht groß genug sein würde. Der europäische institutionelle Markt ist jedoch viel enger: In den Vereinigten Staaten gibt es jährlich mehr als 20 Regierungsstarts pro Jahr, während es hier nur fünf oder sechs sind. Und wir haben Ariane und Vega. Ich denke, wir müssen unsere Kräfte zusammenführen, anstatt sie zu zersplittern.
Möglicherweise wäre ein privater Betreiber, der weniger unter dem Zwang von 13 Regierungen steht, billiger.
Würde ein weiterer Konkurrent hinzukommen, würden wir auseinandergerissen, und es gäbe nur einen Gewinner: unsere Konkurrenten jenseits des Atlantiks. Wir können jedoch darüber nachdenken, wie wir die wachsende Nachfrage nach Mikrosatelliten-Starts befriedigen können.
Wenn Regierungen eine dezidierte Mikrosatelliten-Trägerrakete wollen, gibt es nur einen Weg, um sie wirtschaftlich tragfähig zu machen: Verträge mit dem Militär sind notwendig, denn das Militär ist der Einzige, der mehr für den „schnellen und reaktionsschnellen Zugang zum Weltraum“ bezahlt, den Mikrosatelliten-Trägerraketen bieten können. Ansonsten gibt es die „Ride Share“-Lösung bereits mit der Vega und morgen mit der Ariane 6, mehrere Kunden teilen sich einen Start. Dies haben wir soeben mit der Vega SSMS-Mission zur Stationierung von 53 Satelliten demonstriert.
Sie erwähnten die Konstellationen und den Vorschlag von Thierry Breton. Ist der Markt nicht bereits gesättigt?
Auf keinen Fall. Denken Sie an den wachsenden Bedarf an der Übertragung großer Datenmengen. Ich spreche nicht nur von schnellem Internetzugang und 5G, sondern auch von den Daten, die für das vernetzte und möglicherweise autonome Auto übertragen werden. Ich denke dabei auch an eine souveräne Cloud.
Nein, der Bedarf wächst, auf dem Markt gibt es viel Platz für mehrere Projekte, und die Ariane 6 ist perfekt geeignet, um den Start sehr großer Konstellationen zu unterstützen. Wir stehen sowohl für große private Projekte als auch für solche, die von Europa beschlossen werden könnten, zur Verfügung.
Herr Israël, wir danken Ihnen für das Interview.
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