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05.05.2020

09:30

Start-up

Armband statt Corona-App: Kinexon will Firmen beim Abstandsgebot helfen

Von: Axel Höpner

Bislang kommt die Technologie des Start-ups unter anderem im Sport zum Einsatz. Nun soll sie Firmen auch helfen, die Einhaltung der Abstandsregeln zu überwachen.

Die Technologie soll Firmen helfen, die Abstandsregeln zu wahren. Das Armband warnt, wenn sich zwei Beschäftigte zu nahe kommen. Zudem lassen sich im Nachhinein mögliche Infektionsketten nachvollziehen. Kinexon

Corona-Armband von Kinexon

Die Technologie soll Firmen helfen, die Abstandsregeln zu wahren. Das Armband warnt, wenn sich zwei Beschäftigte zu nahe kommen. Zudem lassen sich im Nachhinein mögliche Infektionsketten nachvollziehen.

München Ausreichend Abstand halten, das ist auch in Büros und Fabriken in Zeiten von Corona das oberste Gebot. Doch wie können die Distanzregeln kontrolliert und im Fall der Infektion Ansteckungswege nachvollzogen werden?

Das Münchener Start-up Kinexon hat auf Basis seiner Technologie eine ganz neue Lösung entwickelt, die schon bei den ersten Unternehmen im Einsatz ist: Ein Armband für die Beschäftigten mit Ultrabreitband-Sensoren. „Die Lösung ist für alle Bereiche geeignet, wo sich Menschen bewegen“, sagte Gründer Oliver Trinchera dem Handelsblatt.

Kernelement von Kinexon Safezone ist ein Armband aus Kunststoff, das den Träger warnt, wenn der Mindestabstand zu einer anderen Person unterschritten wird. Mit einer Zusatzsoftware können Unternehmen zudem im Nachhinein Infektionsketten nachvollziehen.

Der digitale Helfer sei vielseitiger, aber dennoch nicht teurer als die analoge Lösung mit Masken, sagte Trinchera. „Wir bieten einen digitalen Schutz, der dem analogen überlegen ist, und das zu geringeren Kosten.“ Für eine Maske pro Tag und Mitarbeiter seien 90 Cent bis zu einem Euro fällig. SafeTag von Kinexon koste pro Mitarbeiter und Tag etwa 60 bis 90 Cent.

Bekannt geworden ist Kinexon mit einer Chip-Technologie, die im Sport zum Beispiel hilft, die Laufwege von Basketballspielern oder Fußballern zu analysieren. Auch in Fabriken kommt die zentimetergenaue Echtzeit-Lokalisierung zum Einsatz, um zum Beispiel den Warenfluss und den Weg von Maschinen zu überwachen. „Kinexon ist auf dem Weg, das Echtzeitbetriebssystem für die beweglichen Dinge in den Fabriken zu werden“, sagte Trinchera.

Nun soll die Technologie Unternehmen auch im Kampf gegen das Coronavirus helfen. „Wir haben uns gefragt: Welchen Beitrag können wir mit Hilfe von Digitalisierung in Zeiten von Corona leisten?“, sagt Trinchera. Daher sei man früh ins Risiko gegangen und könne die Lösung jetzt auch in großen Stückzahlen bereitstellen. Die Kunden benötigten für die Lösung keinerlei Infrastruktur.

Rückverfolgung von Infektionsketten

Mit Hilfe der Technologie lassen sich mögliche Infektionswege nachzuvollziehen. Auch in Deutschland wird derzeit ja intensiv diskutiert, welche App-Lösung für das Smartphone dies am besten und sichersten leisten kann.

Kinexon-Mitgründer Alexander Hüttenbrink glaubt nicht, dass sich bei Unternehmen Apps durchsetzen werden, die auf dem privaten Smartphone der Mitarbeiter laufen. Zum einen sei die Lokalisierung zu ungenau, es gebe datenschutzrechtliche Bedenken, und man sei darauf angewiesen, dass alle Beschäftigten mitmachen.

Bei Kinexon Safezone gibt es eine Basisvariante, die nur warnt, wenn sich zwei Beschäftigte näher kommen als erlaubt. Eine erweiterte Version ermöglicht die Rückverfolgung von Kontaktketten. Dies erfolgt nach Einschätzung von Kinexon datenschutzkonform. Die Daten werden anonymisiert, die Hoheit bleibt beim Unternehmen.

„Wir können sehr genau bestimmen, ob möglicherweise ein gefährdeter Kontakt stattgefunden hat“, sagt Hüttenbrink. Auch Kontakte zweiten Grades ließen sich nachvollziehen. Für die Firmen habe das den Vorteil, dass sie bei einem Coronafall nicht ganze Abteilungen nach Hause schicken müssten.

Kinexon war schon bisher eines der hoffnungsvollsten deutschen Start-ups. Derzeit gibt es zwei Haupteinsatzgebiete: Im Sport ist Kinexon schon bei vielen Clubs etabliert. Die Teams tragen Sensoren zum Beispiel in speziellen Shirts, die auch in Innenräumen per Funk die Daten übermitteln können. Mit Softwaretools können dann zum Beispiel Laufwege analysiert werden.

In der amerikanischen Basketball-Liga NBA ist Kinexon mit etwa 70 Prozent Marktanteil führend, auch nutzen Teams der Fußball-Bundesliga die Technologie.

Gabelstapler mit Chip

Das Sportthema ist populär. Doch noch größeres Potenzial sieht Kinexon in der Industrie. Schließlich sollen im Internet der Dinge und in der Industrie 4.0 Objekte aller Art in Produktion und Logistik vernetzt sein und autonom interagieren. Mit der Kinexon-Technologie kann zum Beispiel bestimmt werden, wo sich ein Gabelstapler befindet, und es können Drohnen und fahrerlose Transportfahrzeuge gesteuert werden.

Daneben hat das Unternehmen eine Internet-der-Dinge-Plattform entwickelt, in die externe Daten über Schnittstellen in Echtzeit integriert werden können.

Die Corona-Idee entstand nun bei einem Kunden. ASM nützte als erster die ohnehin vorhandene Kinexon-Technologie neuerdings, um in den Hallen mittels der Echtzeitlokalisierung die Einhaltung der Abstandsgebote zu überprüfen. Die Mitarbeiter tragen kleine Kinexon-Sensoren mit UWB-Funktechnologie.

Unter der Hallendecke installierte Anker erfassen in einem fest definierten Bereich ihre Bewegungen. Die Implementierung erfolgte in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat, betonten die Unternehmen.

Daraus entstand die Idee für das Armband, das ohne die installierten Anker auskommt. Dieses warnt akustisch und visuell, wenn ein Mindestabstand unterschritten wird und die Kontaktdauer eine vorgegebene Zeit übersteigt. „Wir können damit auch zeigen, dass wir in Deutschland die technologischen Fähigkeiten haben, digitale Produkte, die den Menschen schnell helfen, auf den Markt zu bringen“, sagte Trinchera.

Prominente Investoren

Das Geschäftsmodell von Kinexon ist früh auf Interesse bei Investoren gestoßen. In den Beirat zogen als Mitgesellschafter unter anderem Ex-Siemens-Chefkontrolleur Gerhard Cromme, Ex-Opel-Chef Carl-Peter Forster und David Blitzer ein, Mitinhaber mehrerer Sportvereine und Managing Director beim Finanzinvestor Blackstone. Bei der letzten Finanzierungsrunde vor anderthalb Jahren erzielte Kinexon laut Branchenschätzungen eine dreistellige Millionenbewertung.

Da die Umsätze sich seither auf einen geschätzten niedrigen zweistelligen Millionenbetrag vervielfacht haben, dürfte Kinexon auf dem Weg zu einer Milliardenbewertung sein und könnte damit eines der nächsten deutschen Einhörner sein, wie solche Start-ups genannt werden.

Die Geschäftsidee war Trinchera und Mitgründer Alexander Hüttenbrink 2012 bei einem Besuch der Allianz Arena gekommen. Vor allem die Fernsehsender waren damals an zusätzlichen Daten interessiert. Doch die Erhebung war aufwendig. Mehrere Kameras filmten das Spielgeschehen. Um zum Beispiel zu ermitteln, wie viele Kilometer ein Spieler gelaufen ist, mussten Mitarbeiter die Sportler im Fernsehbild markieren. Kinexon wollte den Sendern präzise Daten automatisiert in Echtzeit liefern.

Auch in der Coronakrise laufen die Geschäfte laut Trinchera weiter gut. „Mitten in Corona ist es uns gelungen, den größten Auftrag in der Firmengeschichte zu gewinnen.“ Manche Kunden nutzten den Shutdown, um sich mit Digitalisierungsprojekten zu beschäftigen. Das gelte auch für den Sportbereich. „Da gibt es zurzeit sehr viele Anfragen.“ 

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