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10.02.2023

08:12

Start-up-Check

Alternative zu Mikroplastik: Bill-Gates-Firma setzt auf Bioweg aus Niedersachsen

Von: Thomas Jahn

Die US-Biotechfirma Ginkgo kooperiert mit Bioweg. Das deutsche Start-up will Mikroplastik aus der Welt schaffen und meldet großes Interesse aus der Industrie.

Die beiden Bioweg-Gründer haben eine nachhaltige Alternative zum Mikroplastik entwickelt. Bioweg

Prateek Mahalwar (l.) und Srinivas Karuturi

Die beiden Bioweg-Gründer haben eine nachhaltige Alternative zum Mikroplastik entwickelt.

Düsseldorf Mikroplastik mithilfe von Bakterien aus der Welt schaffen – an dieser Idee arbeitet das Start-up Bioweg aus der niedersächsischen Kleinstadt Quakenbrück. Die Mikroben produzieren aus Bioabfällen umweltfreundliche Ersatzstoffe für Kosmetik, Körperpflegemittel oder beschichtetes Saatgut und Dünger.

Vor wenigen Tagen hat Bioweg eine Kooperation mit Ginkgo Bioworks verkündet. Das US-Biotechunternehmen ist bekannt durch Hauptinvestor Bill Gates. Der Microsoft-Gründer begeistert sich für die Idee von Ginkgo, Zellen wie Software programmieren zu können. Mit deren Hilfe will Bioweg seine Produkte preiswerter und schneller herstellen.

Um wen geht es?

Bioweg wurde 2019 von Srinivas Karuturi und Prateek Mahalwar gegründet. Der Weg der beiden Inder in die deutsche Provinz war ungewöhnlich: Karuturi studierte Biotechnologie und Wirtschaft in Bangalore, wechselte später in den Konzernbereich von Daimler in Bengaluru und ging 2014 als Manager nach Stuttgart.

Auch Mahalwar ist studierter Biologe mit Schwerpunkt Stammzellenforschung. Er kam aus Indien an das Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg und promovierte später am Max-Planck-Institut bei Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. 2016 wechselte er zur Unternehmensberatung EY-Parthenon.

Die beiden Wissenschaftler setzten sich vor drei Jahren mit dem Ziel zusammen, eine Firma zu gründen, „die der Welt hilft“. Sie kamen auf das Problem des Mikroplastiks: sehr kleine Plastikpartikel, die beispielsweise von Shampoo, Sonnenmilch oder Dünger abgegeben werden und die in die Meere geraten und in den Boden eindringen.

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Die Idee des Duos: das Plastik durch natürliche Materialien zu ersetzen, die über die nötige Geschmeidigkeit oder Glanz verfügen. In einer Garage experimentierten sie mit Bakterien und Fermentierung. Nach Quakenbrück verschlug es sie, um Geld zu sparen. Dort sitzt das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik, deren Anlagen Bioweg nutzen konnte.

Warum ist das wichtig?

Mikroplastik ist ein Problem. Umweltgifte wie Schwermetalle oder Pestizide können an den Teilchen haften. Sie stammen von Schuhen, Reifen oder Lippenstiften. Beim Menschen landen sie dann über die Nahrungskette, Fische fressen beispielsweise die Partikel zusammen mit Plankton. Aber auch durch das Trinken aus Mehrwegflaschen gelangt Mikroplastik in den Körper.

In einer Studie wies die Universität Amsterdam 2022 nach, dass Mikroplastik im menschlichen Gefäßsystem oder Blut vorkommt. Ob das gesundheitsschädlich ist, können die Forscher noch nicht abschließend sagen. Bioweg-Chef Mahalwar verweist auf eine Studie der Universität Newcastle, nach der jeder Mensch pro Woche fünf Gramm Mikroplastik aufnimmt: „Das kann Krebs, Hormonstörungen oder andere Probleme heraufbeschwören.“

Die EU-Kommission hat 2022 Plastikpartikel von einer Größe von fünf Millimetern oder weniger verboten, die in die Umwelt geraten können. Je nach Produkt dürfen sie schon in wenigen Jahren nicht mehr vorkommen.

Die Alternativen müssen innerhalb von 60 Tagen biologisch abbaubar sein. Das setzt Hersteller von Kosmetik, Waschmitteln oder Dünger unter Druck, Materialien mit der gleichen Funktionalität zu finden, und daher klopfen sie bei Start-ups wie Bioweg an.

Wie funktioniert das?

Die Idee ist wenig revolutionär. Die Bioweg-Gründer durchsuchten mehr als ein halbes Jahr lang Forschungspapiere. Es habe genügend akademische Untersuchungen zu dem Thema gegeben, berichtet Mahalwar. Was fehlte: sie zur einer Lösung zusammenzubringen.

Bioweg arbeitet mit Bakterien, die bei der Herstellung des Teegetränks Kombucha verwendet werden. Die Grundlage für den Ersatzstoff sind Abfälle wie Melasse oder Gemüsereste. Diese verarbeiten die Bakterien zu Zellulose, die die gleichen Eigenschaften wie Mikroplastikkugeln haben soll.

Die Konkurrenz ist scharf: Es gibt zahlreiche Start-ups wie Calyxia aus Frankreich oder Matter aus England, die unterschiedliche Alternativen zum Mikroplastik anbieten. Das Interesse an Bioweg ist aber groß. „Neben der hundertprozentigen biologischen Abbaubarkeit in 60 Tagen sind unsere Mikroperlen hochfunktional und doppelt so leistungsfähig wie pflanzenbasierte oder vergleichbare Mikropulver auf dem Markt“, wirbt Mitgründer Mahalwar.

Namhafte Konsumgüter- und Landwirtschaftskonzerne sind bereits Kunden – die Firma nennt keine Namen. Der Andrang sei aber so groß, dass Interessenten vertröstet werden müssten. Das Material von Bioweg wird in Produkten zur Körperpflege und Reinigung, Agrarbeschichtungen und anderen industriellen Anwendungen eingesetzt.

Wie geht es weiter?

Eines der Hauptprobleme der Bakterienzelluloseindustrie sind die hohen Produktionskosten, Deswegen kooperiert Bioweg mit Ginkgo, das mit seinem „Ultra-Hochdurchsatz-Genom-Engineering“ neue Bakterienvarianten entwickelt, die effizienter arbeiten. Bioweg strebt an, 2025 die erste Anlage mit einer Kapazität von 1000 Tonnen pro Jahr fertigzustellen. Weitere Produktionsstätten sind in den Jahren danach in Asien und Nordamerika geplant.

Das Geld dafür kommt von der EU, die die Firma mit insgesamt 12,5 Millionen Euro förderte, und Risikokapitalgebern.

Das Interesse dürfte groß sein, wenn Bioweg bis dahin seinen Kundenstamm halten und ausbauen kann. Der Ehrgeiz von Mahalwar ist auf jeden Fall groß. Bis 2030 will er einen Umsatz von einer Milliarde Euro jährlich erzielen. Viel sei das nicht: „Das sind nur 0,3 Prozent vom gesamten Markt für Zellulose von 250 Milliarden Euro“, sagt er. Und man werde diesen Markt mit nachhaltiger und zirkulär gewonnener Zellulose bedienen.

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