Die Energiewende muss schnell kommen, wird aber an vielen Stellen durch Bürokratie und Personalengpässe gebremst. Ein Start-up aus Schleswig-Holstein will dafür nun eine Softwarelösung anbieten.
Kernteam von Carbonfreed
Projektingenieur Samuel Voß, Gründer Marko Ibsch und Account-Managerin Louisa Heinitz (von links).
Bild: Carbon Freed GmbH
Meldorf Das Start-up Carbonfreed will die Energiewende beschleunigen. Angesichts von Klimawandel und Strompreiskrise braucht der Ausbau erneuerbarer Energien mehr Tempo. Doch bis in Deutschland eine Solaranlage am Netz ist, können Monate, bei Windrädern sogar Jahre vergehen.
Komplizierte Genehmigungsverfahren bremsen, zu wenig Personal muss stapelweise Papieranträge bearbeiten. Carbonfreeds Ansatz will das mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) ändern.
So durchlaufen Solaranlagen gleich mehrere Genehmigungsverfahren. Für große Anlagen mit einer Leistung von mehr als 135 Kilowatt (kW) können da schon einmal Jahre vergehen, bis die nötigen Zertifikate eintrudeln.
Die Gründer von Carbonfreed versprechen, die Wartezeit von Jahren auf Wochen verkürzen zu können. Eine KI-Software sammelt die nötigen Daten und wertet sie aus. Dafür bringt das Start-up Zertifizierungsstellen und Projektplaner zusammen und arbeitet mit beiden.
Carbonfreed wurde 2020 von Marko Ibsch in Meldorf, Schleswig-Holstein, gegründet. Der Elektroingenieur war zuvor bei einem großen Energieunternehmen tätig. Mit zwei weiteren Mitarbeitern startete Ibsch mitten in der Coronapandemie seinen Betrieb. In den vergangenen drei Jahren ist das Team auf 16 Mitarbeiter gewachsen.
Mit rund 45.000 Euro finanzierte sich der Gründer selbst. Mit dem Startkapital machten sich Ibsch und sein Team daran, die KI-Software „Gridcert“ zu entwickeln. Im September 2022 erhielt Carbonfreed eine Förderung von rund 175.000 Euro des Landes Schleswig-Holstein für die Weiterentwicklung.
„Gridcert“ konnte im November 2022 starten. Da hatte das Team bereits mit anderen Algorithmen die Zertifizierungsprozesse für Solaranlagen vereinfacht. Die neu entwickelte KI soll diesen Prozess jetzt noch schneller und einfacher gestalten.
Wenn Unternehmen ein Dach mit Solaranlagen ausstatten möchten, dann braucht es ein Anlagenzertifikat. Das bekommen sie von Zertifizierungsstellen. So wird sichergestellt, dass Anlagen das Stromnetz nicht überlasten. Für dieses Zertifikat müssen manuell Unterlagen und Daten durch Ingenieure eingesehen und ausgewertet werden.
Dieser Prozess kann leicht mehrere Monate dauern. „Man kann sich den Prozess wie bei einem Bafög-Antrag vorstellen“, vergleicht Gründer Marko Ibsch. Sobald bestimmte Dokumente fehlen oder unvollständig sind, verzögert sich die Genehmigung weiter.
Kooperation von Carbonfreed und Wirsol Roof Solutions
Gemeinsam haben Carbonfreed und Wirsol Roof Solutions bei Pfenning Logistics in Monsheim ein Solarprojekt mit einer Gesamtkapazität von 3,74 Megawatt Peak erfolgreich umgesetzt.
Bild: Wirsol Rooftop Solutions
An diesem Punkt kommt die Software von Carbonfreed ins Spiel. Die KI sichtet große Mengen von Daten in kürzester Zeit und meldet, wenn Unterlagen fehlen. Der KI-Algorithmus sucht die benötigten Informationen und kann schnell eine Bewertung über das Projekt abgeben. Die gesammelten und sortierten Informationen werden dann an die zuständige Zertifizierungsstelle weitergegeben.
Für die Energiewende ist Solarenergie ein wichtiger Faktor. Um die Energieziele der Bundesregierung einhalten zu können, müssen die Genehmigungsverfahren um ein Vielfaches beschleunigt werden. Damit würde man auch den Fachkräftemangel in Zertifizierungsstellen teils kompensieren.
„Die Absolventenquoten von Ingenieuren sind niedrig, und das Anlernen neuer Mitarbeiter in den Zertifizierungsstellen dauert mehrere Monate“, erklärt Gründer Ibsch. Es gibt schlicht nicht genug Personal für die wachsende Zahl von Anträgen.
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Carbonfreed funktioniert als Dienstleister zwischen den Projektplanern und der Zertifizierungsstelle. Beide Seiten werden dadurch entlastet, und Solarprojekte können schneller ans Netz gehen. Im November 2022 hat das Start-up etwa mit dem Solarunternehmen Wirsol zusammengearbeitet und ein Projekt bei einem Logistikunternehmen abgeschlossen.
Wirsol-Geschäftsführer Johannes Groß hat in seiner Funktion schon mehrfach mit Zertifizierungsstellen zusammengearbeitet. Die Kooperation mit Carbonfreed sei für ihn ein enormer Zeitgewinn. „Es gibt nicht mehr so viele Abstimmungsrunden. Das ist wirklich ein ganz großer Vorteil“, erläutert Groß.
Auch der Bundesverband Solarwirtschaft sieht in der KI viel Potenzial. „Solche Lösungen identifizieren die Probleme im Markt und machen daraus ein Geschäftsmodell, was bei langwierigen politischen Prozessen zu begrüßen ist“, erklärt Geschäftsführer Carsten Körnig.
„Wir haben da technisches Neuland betreten“, erinnert sich Gründer Ibsch. Die Entwicklungsphase der KI habe das Start-up immer wieder herausgefordert. Viele Ideen mussten getestet werden, um herauszufinden, ob diese überhaupt digital umgesetzt werden können.
Neben der Technik stellten auch die Zertifizierungsstellen eine Herausforderung dar. Viele Mitarbeiter dort seien anfangs skeptisch gegenüber der KI gewesen und hatten Schwierigkeiten, ihre Bearbeitungsprozesse an das neue System anzupassen. Nach anfänglicher Skepsis funktioniere die Zusammenarbeit mit den Zertifizierungsstellen mittlerweile aber sehr gut.
Nach dem Start der KI-Software „Gridcert“ fokussiert sich das Start-up auf Wachstum. Aktuell werden rund 560 Projekte bearbeitet – 360 sind bereits abgeschlossen. Im vergangenen Jahr machte das Unternehmen nach eigenen Angaben zufolge einen Umsatz im hohen sechsstelligen Bereich. Dieser Umsatz soll im kommenden Jahr verdreifacht werden. Außerdem plant Carbonfreed, auch in anderen Ländern aktiv zu werden.
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