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17.04.2022

12:47

The Shift Initiative

Tech-Potenzial von Migranten nutzen: Das sind die Start-ups von The Shift

Von: Hannah Krolle

Ausländische Gründer scheitern oft an bürokratischen Hürden. Ein Mentorenprogramm von Earlybird und Handelsblatt soll das ändern. Diese Start-ups fallen besonders auf.

Start-ups und Mentoren

Start-ups und Mentoren von The Shift

In den USA haben über die Hälfte der Einhörner, also der Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar, Menschen aus dem Ausland gegründet.

Quelle: Earlybird

Berlin Jedes fünfte Start-up in Deutschland wird von Menschen mit Migrationshintergrund gegründet. Das belegt der Migrant-Founders-Monitor der Friedrich-Naumann-Stiftung und des Bundesverbands Deutsche Start-ups. Im Vergleich zum Bevölkerungsanteil sind Migranten und Migrantinnen in der Gründerszene noch immer unterrepräsentiert: Der Bevölkerungsanteil liegt um etwa fünf Prozentpunkte höher.

Welches Potenzial in Gründern mit Migrationshintergrund steckt, verdeutlicht ein Blick in die USA: Mehr als die Hälfte der Einhörner, also der Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar, haben Menschen aus dem Ausland gegründet.

„Dieses Potenzial muss Deutschland endlich erkennen und fördern“, sagt Sebastian Dettmers, CEO der Jobplattform Stepstone. „Wir verschenken gerade Wirtschaftskraft, vor allem im Tech-Bereich.“

Der Risikokapitalgeber Earlybird und das Handelsblatt wollen das ändern: Die Initiative „The Shift“ fördert Gründerinnen und Gründer aus dem Ausland durch Workshops, Beratung und Kontakte in die Wirtschaft.

Vor rund einer Woche haben acht Start-ups ihren Mentoren, darunter SAP-Senior-Director für Unternehmensentwicklung Deepa Gautam-Nigge, Stepstone-CEO Sebastian Dettmers, Ex-Lanxess-Digitalchef Joerg Hellwig, Redi-School-Gründerin Anne Kjaer Bathel und Risikokapitalgeberin Marie-Helene Ametsreiter, ihr Geschäftsmodell vorgestellt. Die Initiative war auf dem Giga-Gipfel des Handelsblatts entstanden.

Diese beiden Start-ups weckten besonderes Interesse:

Co-Tasker: Marktplatz für lokale Fachkräfte

Co-Tasker vermittelt lokale Dienstleistungen, etwa Umzugshilfe oder Fremdsprachenübersetzung, per App. Amelia Bryant und Tarek Abousamra gründeten Co-Tasker 2020 mit dem Ziel, Auftraggeber und Auftragnehmer schneller zu vernetzen.

Abousamra hatte in seiner Heimat in Syrien als Produktmanager eines Lieferanten für Medizingeräte gearbeitet. Kurz nachdem er 2016 nach Deutschland kam, gründete er gemeinsam mit anderen eine Reedereigesellschaft, entwickelte währenddessen aber schon ein neues Geschäftsmodell: Co-Tasker.

Als er Bryant kennenlernte, arbeitete die gebürtige Britin in einem Software-Start-up und dachte selbst über eine Gründung nach. Die Idee, Dienstleistungen per App zu vermitteln, kam ihr gelegen – denn sie selbst hatte bei der Reparatur ihrer Waschmaschine umständliche Buchungsverfahren kennengelernt. „Ich musste mit fünf Leuten telefonieren – das war stressig“, sagt sie. Schwachpunkt waren die erschwerte Kommunikation und die Abwicklung von der Terminfindung bis zur Bezahlung.

Amelia Bryant und Tarek Abousamra

Amelia Bryant und Tarek Abousamra

Amelia Bryant und Tarek Abousamra gründeten Co-Tasker 2020 mit dem Ziel, „schneller Hilfe bei Alltagsaufgaben zu erhalten“.

Quelle: Co-Tasker

Stepstone-CEO Dettmers ist vom Geschäftsmodell überzeugt: „Die Gründer von Co-Tasker haben das Ziel, den Gig-Worker-Markt zu disruptieren“, sagt er. Gig-Worker übernehmen kleine, zeitlich befristete Aufträge und werden meist über Onlineplattformen vermittelt. Während früher zwar Anzeigen über das Netz aufgegeben wurden, kam der Vertrag häufig analog zustande, und die Bezahlung erfolgte meist bar.

Co-Tasker digitalisiert diese Arbeitsbeziehung nun und entwickelt sie zu einem Plattformgeschäft. „Aus Sicht des Nutzers ist es viel interessanter, den Service über eine Plattform zu beziehen, statt Angebote zu vergleichen und bar zu bezahlen“, sagt er.

Seit der Gründung vor zwei Jahren nahmen sie 150.000 Euro Investorengeld ein. In Berlin, Potsdam und Hamburg ist Co-Tasker bereits aktiv. Für jeden erledigten Auftrag erhält das Start-up eine Provision.

„The Shift hilft uns, mit Experten in Kontakt zu kommen, die die richtigen Fragen stellen: ,Wie sieht euer Geschäft in Zukunft aus? Worauf legt ihr den Fokus? Was ist euer Jahresziel?'“, sagt Bryant. Jetzt will das Gründerduo weitere deutsche Städte erschließen.

Re-Fresh Global: Textilien smart recyceln und das Klima schützen

Re-Fresh Global hat sich auf das Recycling von Textilien spezialisiert. Da es nur begrenzte Recycling-Möglichkeiten gibt, um wiederverwendbare Fasern zurückzugewinnen, werden rund 92 Millionen Tonnen entsorgt. Schätzungen zufolge könnte die Zahl bis 2030 um 50 Prozent steigen. Das belastet die Umwelt. Allein die Textilindustrie verursacht jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO2 – das sind mehr als alle internationalen Flüge und Kreuzfahrten zusammen.

Re-Fresh Global will gegensteuern und mit recycelten Textilabfällen Geld verdienen. Die daraus gewonnenen Rohstoffe sollen in der Industrie eingesetzt werden oder in neue Kleidungsstücke verwandelt werden, sagt Co-Gründerin Viktoria Kanar. Im Vergleich zu herkömmlichem Recycling zerlege Re-Fresh Global die Textilien nicht nur mechanisch in Einzelteile, sondern mache sie durch ein chemisches Oxidationsverfahren für einen komplexen industriellen Einsatz brauchbar, lobt Lanxess-Ex-Digitalchef Hellwig.

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Nach der Gründung des Start-ups in Israel will das Gründerteam ein Büro in Berlin eröffnen und in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin an Recyclingverfahren forschen. „Weil die EU neue Abfallrichtlinien erlässt und sich zunehmend auf Kreislaufwirtschaft fokussiert, wollen wir unser Geschäft in der Europäischen Union ausbauen“, sagt Kanar.

Neben den beiden genannten Start-ups fördert das Programm Start-ups sämtlicher Marktbereiche: Die Gründer von Lecker produzieren zum Beispiel mobile Küchenmaschinen, die maschinell produzierte Pizzen nach Hause liefern, Bearcover entwickelt Roboter, die Routinekontrollen in Pflegeheimen reduzieren, indem sie bei Unfällen in den Krankenzimmern Alarm schlagen.

Häufige Schwachstellen: Sprache und Bürokratie

Fast alle Gründer und einige Mentoren halten neben sprachlichen Barrieren die deutsche Bürokratie für den Hauptgrund, weshalb Migranten bei Unternehmensgründungen unterrepräsentiert sind. „Um ein Unternehmen zu gründen, braucht man nicht viel: ein Bankkonto, 500 Euro Startkapital und einen Notartermin“, sagt Stepstone-CEO Dettmers. Doch häufig hätten Gründer aus dem Ausland schon Schwierigkeiten, überhaupt ein Konto zu eröffnen. „Es scheitert an kleinen Formalitäten. Da kann man sich pathetische Visionen an die Wand malen: Wenn es daran schon scheitert, haben wir als Migrationsland Gründertum noch nicht zu Ende gedacht.“

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