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24.03.2023

14:20

Autonomes Fahren

Tesla setzt wieder auf Radar

Von: Felix Holtermann, Joachim Hofer

Als einziger Autohersteller hat sich der US-Konzern bislang beim autonomen Fahren ganz auf Kameras verlassen. Ein Irrweg, wie jetzt auch Elon Musk einsehen musste.

Tesla Gigafactory Grünheide dpa

Tesla-Fertigung

Der amerikanische Elektroautopionier verzichtet als einziger großer Hersteller bisher auf ein Radarsystem beim automatisierten Fahren.

New York, München Ohne Radar geht es nicht. Die Autowelt ist sich weitgehend einig: Für das sichere automatisierte und autonome Fahren sind Radarsensoren nötig. Nur einer wollte das nicht wahrhaben: Tesla-Gründer Elon Musk. Der CEO des Elektroautopioniers setzt bislang ganz auf Kameras.

Nun bahnt sich laut Experten eine spektakuläre Kehrtwende an. Die Fachleute rechnen damit, dass Musk bald damit beginnt, ein selbst entwickeltes, hochauflösendes Radarsystem in seine Autos einzubauen. Darauf deuten Unterlagen hin, die Tesla bei der US-Aufsicht Federal Communications Commission (FCC) eingereicht hat, die alle Radiowellen emittierenden Geräte in Amerika überwacht, darunter auch Radargeräte.

Der Schwenk ist ein heikles Thema für den wertvollsten Autokonzern der Welt. Denn schon 2016 hat Musk den Käufern versprochen, einen praxisfähigen Autopiloten zu entwickeln, der es „Ihrem Auto ermöglichen wird, Geld für Sie zu verdienen, wenn Sie es nicht benutzen“. Ein privates Robotaxi also. Nur ist ihm das bis heute nicht gelungen.

Autonomes Fahren: Tesla folgt der Konkurrenz

Nun schlägt Tesla einen Weg ein, den andere Hersteller mit weniger vollmundigen Ankündigungen längst gehen. „Alle führenden Hersteller nutzen Radar – nur Tesla derzeit nicht“, sagt Klaus Schmitz, Halbleiterspezialist bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Doch das dürfte sich bald ändern. Der US-Konzern ist dabei, die sogenannte Hardware-4-Generation in seine Fahrzeuge zu bringen.

Bei dem von Tesla selbst entwickelten Radarsystem handelt es sich um ein modernes, sogenanntes 4D-System. Derartige Lösungen erkennen neben Abstand, Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung auch die Höhe von Objekten. „Darüber hinaus bieten solche Sensoren auch eine deutlich verbesserte Auflösung“, sagt Peter Fintl, Chipexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini.

Eine Tesla-Limousine mit eingeschaltetem Autopiloten auf einer Straße in Kalifornien. Reuters

Tesla

Eine Tesla-Limousine mit eingeschaltetem Autopiloten auf einer Straße in Kalifornien.

Guidehouse-Analyst Sam Abuelsamid, der Tesla seit vielen Jahren beobachtet, hat die bei der FCC eingereichten Unterlagen analysiert. „Die neue Lösung ist deutlich leistungsfähiger als frühere Systeme“, sagt er dem Handelsblatt. So gebe es mehr Radarantennen, was unter Einsatz einer speziellen Software eine deutlich höhere Auflösung erlaube.

Das könne unter anderem Teslas Problem mit sogenannten Phantombremsungen aufgrund falsch interpretierter Kameradaten beheben. Beispielsweise interpretiere das alte System bisweilen Fotos von Menschen auf Lkw-Planen als echte Fußgänger. „Einem Radar passiert das nicht“, so Abuelsamid. „Tesla schließt damit zu anderen Herstellern auf.“

Auf eine Handelsblatt-Anfrage zum neuen Sensor reagierte Tesla zunächst nicht.

Die Kameraaufnahmen, die Tesla bisher verwendet, werden durch Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet und interpretiert – analog zu einem menschlichen Fahrer, der sich auch nur auf seine Augen verlassen kann. Musk lehnte den Einbau zusätzlicher Systeme bisher ab: „Meiner Meinung nach ist das eine Krücke“, hatte er in der Vergangenheit dazu gesagt.

Tesla wegen tödlicher Unfälle vor Gericht

Der bisherige Autopilot von Tesla entspricht am ehesten einem sogenannten Level-2-System, also einer Lösung, die den Fahrer nur unterstützt (Level 5 entspricht dem vollautonomen Fahren). Was Tesla nicht daran hindert, den Autopiloten als „Full Self-Driving Beta“ (FSD Beta) zu vermarkten.

Für die Aufsicht ist das ein Problem: Im August 2021 hat die US-Straßenverkehrsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) nach rund einem Dutzend Unfällen eine Untersuchung des Autopiloten in 765.000 Tesla-Fahrzeugen eingeleitet. Dieses Frühjahr steht das Unternehmen in den ersten Geschworenenprozessen vor Gericht wegen tödlicher Unfälle, für die der Autopilot verantwortlich gemacht wird.

Grafik

Experten halten den Einbau von Radarsensoren für Autopilotanwendungen für unverzichtbar. „In der Branche ist unbestritten, dass aufgrund der technischen Einschränkungen von rein kamerabasierten Systemen eine Ergänzung durch weitere Sinne – also Sensoren – sinnvoll ist“, betont Berater Fintl. Gerade bei höherer Geschwindigkeit, etwa auf der Autobahn, seien „Radare aufgrund ihrer großen Reichweite praktisch unentbehrlich“.

Tesla hat einen Zickzackkurs beim autonomen Fahren hinter sich: Bei der Einführung des Autopiloten 2015 wurde die Hardware des Zulieferers Mobileye verwendet, die Kameras, Radar- und Ultraschallsensoren umfasste. Nach einem tödlichen Unfall im Jahr 2016 zog sich die israelische Firma aus der Partnerschaft zurück mit der Begründung, Tesla habe das System missbraucht.

Mit der Autopilot-Version 2 von Oktober 2016 stellte Tesla ein eigenes System vor, das acht Kameras, einen Langstreckenradar und zwölf Ultraschallsensoren mit niedriger Auflösung umfasste, die vor allem beim Einparken zum Einsatz kommen. Anfang 2021 entfernte das Unternehmen den Radarsensor, 2022 dann auch die Ultraschallgeräte. Bis heute funktionieren manche Parkfunktionen nicht mehr.

Tesla konnte durch verschiedene Änderungen Geld sparen

„Tesla begründete die Entfernung des Radars offiziell damit, dass dieser nicht wirklich weiterhelfe. Zu vermuten ist jedoch, dass der Chipmangel eine bedeutende Rolle spielte“, sagt Analyst Abuelsamid. Durch die Streichung habe Tesla rund 40 Dollar pro Fahrzeug gespart – viel Geld in der knapp kalkulierenden Autobranche. Auch sei die Auflösung des Radars nur gering gewesen. Durch die Abschaffung der Ultraschallgeräte habe Tesla weitere rund 100 Dollar pro Fahrzeug gespart, so die Rechnung des Analysten.

Bestandskunden, die bis zu 15.000 Dollar für das FSD-Beta-Paket bezahlt haben, dürfte die neue Technologie allerdings nichts bringen. Eine Nachrüstung des Radarsensors und des nötigen Bordcomputers ergebe für Tesla „weder technisch noch finanziell Sinn“, sagt Abuelsamid.

Für viele Besitzer dürfte das angesichts der vollmundigen Ankündigungen ärgerlich sein. „Die bisher verkauften Fahrzeuge werden nicht annähernd so gute Leistungen beim Autopiloten bringen wie jene mit der neuen Hardware. Musk hat allen Käufern ab 2016 aber gesagt, sie hätten sämtliche nötige Hardware für autonomes Fahren auf Level 5“, so der Analyst. Nun könne Musk nicht liefern, was er versprochen habe. „Tesla hat sich in eine echte Sackgasse manövriert.“

Erstpublikation: 24.03.2023, 04:00 Uhr.

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