Die Google-Tochter und der Truck-Hersteller wollen auf US-Highways beweisen, dass voll automatisierten Lkw die Zukunft gehört. Noch sind jedoch Hindernisse zu überwinden.
Waymo-Truck
Die Google-Tochter testet selbstfahrende „Freightliner"-Lkw von Daimler Truck
New York Die Google-Tochter Waymo und der deutsche Hersteller Daimler Truck starten Testläufe mit vollautomatischen Lkw. Das teilten beide Unternehmen bei einer virtuellen Pressekonferenz am Dienstag mit. Die Lkw der Daimler-Marke Freightliner sollen selbstständig fahren, im Fachjargon „Level 4“ genannt.
2020 war Daimler Truck eine Partnerschaft mit Waymo eingegangen, um eine voll automatisierte Lkw-Plattform zu entwickeln. Waymo ist bisher vor allem durch selbstfahrende Taxis bekannt, die das Unternehmen in Phoenix und San Francisco testet.
Getestet werden die durch zahlreiche Sensoren aufgerüsteten Freightliner-Trucks auf öffentlichen Autobahnen rund um Dallas, Texas, und Phoenix, Arizona. In den kommenden Wochen soll es losgehen, so der Plan. Waymo baut hierzu einen Standort in Dallas auf, der als Endpunkt der fahrerlosen Routen dient und die Auswertung erleichtern soll. Es ist der erste maßgeschneiderte Knotenpunkt dieser Art in den USA, wie das Fachportal „Truckinginfo“ notiert.
Noch sind zahlreiche Hindernisse zu überwinden. So benötigen die redundanten technischen und Sensorsysteme mehr Energie und erhöhen das Gewicht der schweren Lkw weiter.
Das Brems- und das Lenksystem werden doppelt ausgelegt, um Fehlerquellen zu minimieren. Verbaut werden gleich mehrere Radar-, Lidar- und Kamerasensorpakete, die etwa an zusätzliche Außenspiegel erinnern. Unter anderem sind zwei Lidar-Sensoren der neuesten Generation enthalten und ein weiterer Laser für den Nahbereich. Die Kameras können einen Bereich bis zu einem Kilometer erfassen. Mehr als 1500 funktionale Anforderungen von Waymo müssen die Daimler-Trucks erfüllen.
„Daimler bringt die Technologie-, Fertigungs- und Testfähigkeiten mit, die kein anderes Unternehmen für autonome Fahrzeuge hat“, erklärte Jason DiGrande, technischer Leiter bei Waymo. Und Suman Narayanan, Chefingenieur von Daimler Truck North America, ergänzte: „Unsere Partnerschaft mit Waymo bietet die einzigartige Möglichkeit, neue Technologien zu berücksichtigen“, etwa externes Know-how hinzuzuholen.
Ziel sei es, dass das System mindestens so gut, wenn nicht besser als ein menschlicher Fahrer agiert, so die Partner. So soll die Zahl von 4000 Todesfällen im Jahr 2020, die allein in den USA mit Truckunfällen in Verbindung stehen, sinken.
Der selbstfahrende Truck ist so etwas wie der Heilige Gral der Logistikbranche und noch vor der E-Mobilität oder dem Wasserstoffantrieb die wichtigste Zukunftstechnologie. Lkw könnten künftig selbstständig Waren ausliefern, so die Hoffnung der Industrie, und so auch den Anteil der Leerfahrten senken, der in den USA auf ein Drittel geschätzt wird.
Letzteres ist besonders relevant, führt man sich den Mangel an Lkw-Fahrern vor Augen: Laut jüngsten Schätzungen fehlen in den USA 80.000 Fahrer. Angesichts des landesweiten Mangels musste Walmart im Frühjahr das Gehalt seiner Trucker auf bis zu 110.000 Dollar pro Jahr erhöhen.
Fahrerlose Lastwagen dürften nach Einschätzung der Unternehmensberatung Berylls schon 2030 etwa zehn Prozent des Lkw-Absatzes ausmachen. Der autonome Lkw helfe der Transportbranche gegen den weltweit immer größeren Fahrermangel und spare ihr zugleich etwa ein Fünftel der Kosten ein, schrieben die Branchenexperten in einer am Dienstag veröffentlichten optimistischen Studie. Allein die fünf größten darauf spezialisierten Tech-Firmen in den USA – Waymo, Tusimple, Aurora, Embak und Plus – hätten im vergangenen Jahr 5,6 Milliarden Dollar von Investoren eingesammelt.
Autonom fahrender Truck
Die Daimler-Tochter Torc arbeitet an einem System, das bei Logistikfirmen für geringere Kosten durch Lohneinsparungen sorgen könnte.
Bild: via REUTERS
Den Königsweg zum autonomen Fahren hat noch kein Hersteller gefunden. Es geht um Menschenleben und um viel Geld, und vieles dauert länger als noch vor einigen Jahren erhofft. Das zeigt sich auch im Fall von Waymo und Daimler Truck. Ein ungelöstes Problem ist zum Beispiel Schneefall, weshalb auch die Waymo-Trucks nur in den Sonnenstaaten der USA getestet werden. Gelöst werden sollen diese und andere Problemfälle innerhalb der kommenden fünf Jahre, sagte DiGrande auf Nachfrage. Man sei sich der Tragweite der Herausforderung bewusst.
Helfen sollen die umfangreichen eigenen Erfahrungen mit autonom fahrenden Taxis. Und klar ist auch: Noch wird ein menschlicher Sicherheitsfahrer bei jeder Testfahrt hinter dem Lenkrad sitzen. Die Flotte wird noch von Waymo betrieben. Eines Tages sollen die Kunden dann Daimler-Lkw kaufen, inklusive des Waymo-Systems zum autonomen Fahren. Bis die Trucks auch in Europa getestet werden können, wird jedoch noch einige Zeit vergehen, so DiGrande.
„Es wird noch einige Jahre dauern, bis unsere Lastwagen ohne Fahrer unterwegs sind. Bis zum Ende des Jahrzehnts wollen wir so weit sein“, hatte Daimler-Chef Martin Daum vor Kurzem gegenüber dem Handelsblatt erklärt. 2,8 Milliarden Euro gebe Daimler im Jahr für Investitionen aus, davon Hunderte Millionen Euro für das autonome Fahren.
Daimler will sich jedoch nicht allein auf die Google-Tochter Waymo verlassen. Parallel arbeiten die Schwaben mit dem Start-up Torc zusammen, das sie 2019 übernommen haben. Torc testet selbstfahrende Lkw in Albuquerque in New Mexico. Erst in der vergangenen Woche hat Daimler die Kontrolle über die Firma noch einmal erhöht. Mit Wirkung zum 1. Oktober löst Peter Vaughan Schmidt, aktueller Autopilotchef von Daimler Truck, den Gründer Michael Fleming als Torc-Chef ab.
Dank Torc soll Daimler gleich gleich doppelt verdienen: zum einen durch den Lkw-Verkauf, zum anderen durch das Autopilot-Abo aus dem eigenen Haus. „Wir sprechen hier von einer wirklichen Win-win-Situation“, hatte Fleming noch im Frühjahr im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt. Sollte sich die Google-Technik dem hauseigenen Gewächs gegenüber als überlegen zeigen, hätte Daimler dank der Waymo-Kooperation jedoch ein Back-up, so das Kalkül der Schwaben.
Heißt: Nicht nur bei der Sicherheitstechnik, auch auf der Businessseite fährt Daimler Truck gern mit redundanten Systemen.
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