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17.04.2020

15:22

Corona-Epidemie

Computerspiele boomen in der Krise – doch der Nachschub könnte ausbleiben

Von: Larissa Holzki, Christof Kerkmann, Alexander Möthe

Computerspiele sind dank der Coronakrise so beliebt wie nie, auch die Zuschauerzahlen beim E-Sports steigen. Trotzdem fürchtet die Branche den Abschwung.

Computerspiele sind während der Coronakrise gefragt wie nie. Reuters

Spielen an der Konsole

Computerspiele sind während der Coronakrise gefragt wie nie.

Düsseldorf Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat gerade einen einen unerwarteten Appell veröffentlicht: Wer sich durch die Ausgangsbeschränkungen während der Coronakrise allein fühle, der möge mit Freunden gemeinsam Computer spielen – im sicheren Abstand übers Internet verbunden. „Play apart together“ lautet das Motto einer Kampagne, über die die Behörde gemeinsam mit großen Spieleherstellern wie Activision und Riot Games die Menschen erreichen will.

Für die Branche ist das ein enormer Imagegewinn. Ausgerechnet die WHO, die noch im vergangenen Jahr Computerspielsucht als Krankheit anerkannt hat und dafür in der Szene massiv in die Kritik geraten ist, empfiehlt Spiele als Mittel gegen Langeweile und Isolation. Das gilt vor allem Multiplayer-Titel, in denen viele Nutzer übers Internet gemeinsam oder auch gegeneinander spielen, ob auf dem virtuellen Fußballplatz in „Fifa 20“ oder dem Schlachtfeld in „Fortnite“.

Nicht, dass es diese Empfehlung gebraucht hätte. Da angesichts der Corona-Pandemie weltweit Millionen von Menschen zu Hause bleiben, steigt die Nutzung von Computerspielen rasant. So vermeldete Ende März der Internetknoten De-Cix in Frankfurt, dass sich die Zahl der Nutzer von Online- und Cloud-Spielen binnen einer Woche verdoppelt habe. Auch der Kauf von Software zieht nach Einschätzung von Marktforschern kräftig an.

Trotzdem ist die Stimmung bei vielen Unternehmen gedämpft. Einige Studios stehen angesichts der Ausgangsbeschränkungen vor der Frage, wie sie die Zeitpläne einhalten können – das ist besonders wichtig, weil am Jahresende die neuen Konsolen Playstation 5 und Xbox Series X auf den Markt kommen.

Andere befürchten, dass mit der Wirtschaftsflaute die Nachfrage einbricht. Nach einer Umfrage des Verbands Game erwarten fast zwei Drittel (62 Prozent) der deutschen Anbieter, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern werden.

Die Spielelobby fordert daher über die reguläre staatliche Förderung hinaus Unterstützung. „Aktuell spielen zwar besonders viele Menschen, viele Plattformen verzeichnen Rekorde. Gleichzeitig drohen aber bereits jetzt Unternehmen in finanzielle Not zu geraten“, sagt Felix Falk, Vorsitzender des Branchenverbands Game.

Allzeithoch bei Steam

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Pandemie auf die verschiedenen Anbieter im Spielemarkt sehr unterschiedlich auswirken wird. Der renommierte Spieleexperte Pier Harding-Rolls formuliert in einer Analyse die Erwartung, dass durch die Coronakrise der Trend von physischen Spielemedien zu digitalen Spielen und Spielerweiterungen beschleunigt wird.

Ein gutes Barometer für die Nutzung von Computerspielen ist die Plattform Steam, über die man Titel kaufen und direkt spielen kann – wie ein App Store für Smartphones. Für viele Nutzer ist es die wichtigste Anlaufstelle, um neue Inhalte zu bekommen. Anbieter Valve vermeldete am Mittwoch 24,5 Millionen Nutzer, die gleichzeitig online waren, von denen 8,2 Millionen spielten – ein Allzeithoch. Einzelne Titel wie „Counter Strike: Global Offensive“ lockten mehr als eine Million gleichzeitig.

Die Spieler laden nicht nur mehr Titel herunter, sie verbringen damit auch mehr Zeit. „57 Prozent der deutschen Video-Gamer geben an, dass sie deutlich mehr Zeit mit Videospielen verbringen als noch vor Corona“, erläutert Michael Heina, der beim Marktforschungsunternehmen Nielsen die E-Sports-Aktivitäten in Europa leitet. Auch der Erwerb von digitalen Gegenständen innerhalb der Spiele sei zuletzt gestiegen. Die Menschen nutzen die zusätzliche Zeit also für Spiele – und geben dafür auch Geld aus.

Zugleich verbringen Computerspielfans immer mehr Zeit damit, beim E-Sports zuzusehen, also Wettkämpfen in Spielen wie „League of Legends“, „Counter-Strike: Global Offensive“ oder „Starcraft 2“. In den vergangenen Jahren hat sich ein weltweiter Turnier- und Ligabetrieb zwischen professionellen Mannschaften etabliert. Die Live-Events, mit denen die Betreiber ganze Sportarenen füllen, fallen derzeit aus, doch online sehen Millionen Menschen zu.

Plattformen wie Twitch und Youtube profitieren von steigenden Zuschauerzahlen, ebenso Anbieter wie ESL, die Wettbewerbe veranstalten. „Wir können die Turniere auch online abhalten, ohne dass jemand reisen muss“, berichtet das Unternehmen mit Sitz in Köln, das als weltweit größter unabhängiger Ligenbetreiber gilt. „Das tun wir aktuell und erreichen dabei Rekordzahlen an Zuschauern.“

Auch das Unternehmen Riot Games, das für den E-Sports Top-Titel „League of Legends“ eigene Profiligen ausrichtet, hat zuletzt einen Zuschaueranstieg von zehn Prozent vermeldet. „Die Leute wollen und brauchen Unterhaltung, neue Inhalte und ein Gefühl der Verbundenheit mehr als je zuvor“, erklärt Alberto Guerrero, Chef der europäischen E-Sports-Abteilung. Die E-Sports befänden sich in der einzigartigen Position, diesen Zuschauersport auch ohne physische Präsenzen anbieten zu können.

Marktforscher mutmaßen, dass die Coronakrise dem virtuellen Sport langfristig nutzen könnte. „In der aktuellen Lage wäre möglich, dass es zu einer Art ‚Babyboom‘ im E-Sport kommt, da derzeit die Gruppe der Gamer größer wird“, erläutert Nielsen-Analyst Heina. Sprich: Wer sich für Videospiele interessiert, schaut sich diese vermehrt auch als Zuschauer im Wettkampfformat an.

So lange die Ausgangsbeschränkungen gelten und andere Freizeitbeschäftigungen außer Haus nicht möglich sind, dürfte der Boom anhalten. Das dürfte sich auch für börsennotierte Spieleanbieter wie Activision, Electronic Arts und Take-Two Interactive positiv auswirken, wie die Investmentbank Piper in einer Notiz für Kunden schreibt – analog zu anderen Unternehmen in der „Stay at Home“-Kategorie wie Netflix, Zoom oder Peloton.

Grafik

Engpässe bei Nintendo

Die Coronakrise bringt indes auch für die Spielebranche einige Unsicherheiten mit sich. Das betrifft, erstens, die Hardwareproduktion: In China und anderen ostasiatischen Ländern wie Vietnam stand die Produktion von Elektronikprodukten wochenlang still. Nun hat beispielsweise Nintendo Probleme, die Fans mit der Konsole Switch zu versorgen. Besonders ärgerlich: Gerade wollen sich viele Fans der Serie „Animal Crossing“ die Hardware kaufen, um die neue Folge „New Horizons“ spielen zu können.

Die Konkurrenten Sony und Microsoft betonen, dass sie ihre neuen Konsolen Playstation 5 und Xbox Series X in diesem Jahr trotz der Produktionsprobleme pünktlich auf den Markt bringen werden. In welchem Umfang, ist allerdings nicht klar. Für die Unternehmen ist die Lieferung wichtig: Eine neue Hardwaregeneration verschafft ihnen traditionell einen Umsatzschub.

Zweitens stellt sich die Frage, wie die Unternehmen die neue Software programmieren. Die Anbieter haben viele Standorte vorübergehend schließen müssen, ihre Mitarbeiter sitzen größtenteils im Homeoffice – in Deutschland nutzen laut einer Umfrage des Computerspiele-Verbandes Game 87 Prozent der Unternehmen diese Möglichkeit. Dadurch verzögern sich einige Titel, „The Outer Worlds“ für die Nintendo Switch kommt beispielsweise später, bei anderen dürfte es ähnlich laufen.

Der Videospielriese Ubisoft beispielsweise kann die Folgen der Pandemie noch nicht abschätzen: „Unsere Firma hat weltweit an mehr als 40 Standorten Studios, die nacheinander und unterschiedlich stark von Ausgangsbeschränkungen betroffen sind“, sagt Ubisoft-Manager Ralf Wirsing. 90 Prozent der Studios würden derzeit aus dem Homeoffice arbeiten. „Wir können noch nicht sagen, was das für die Produktivität bedeutet.“

Das Marktforschungsunternehmen Newzoo sieht indes kein grundsätzliches Problem. „Wir erwarten nicht, dass der Ausbruch einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung von Spielesoftware haben wird“, schrieb es Ende März in einer ersten Analyse – auch wenn es eine leichte Beeinträchtigung der Effizienz geben könne. Hier gilt aber wie bei so vielen Expertenaussagen: In der Coronakrise gibt es wenige Gewissheiten.

Durch die Kontaktsperren wird, drittens, die Vermarktung deutlich schwieriger. Mehrere Konferenzen und Messen sind bereits ausgefallen. Die Gamescom, die für Ende August in Köln geplant war, soll nach der Verlängerung des Verbotes von Großveranstaltungen ausschließlich digital stattfinden.

Die Veranstalter erklärten jedoch bereits Ende März, die Gamescom wenigstens digital und samt Fachkongress über die volle Dauer ausrichten zu wollen. Was fehlt sind die Hinterzimmer-Deals – und das Publikum.

Aus Sicht der Game ist ein Ausfall kritisch, nicht nur, da der Verband selbst Träger der Messe ist: Die Veranstaltung sei einer der wichtigsten Termine für die internationale Games-Branche, weil dort die Spiele für das besonders wichtige Weihnachtsgeschäft präsentiert würden, sagt Felix Falk. Viele Spiele seien dort erstmals für die Öffentlichkeit spielbar. „Das macht die Gamescom für Marketing und Vertrieb der Games-Unternehmen zum entscheidenden Event in der zweiten Jahreshälfte.“

Für die Spieleentwickler geht es dabei nicht nur um den Vertrieb: Auf der Messe finden sie in der Regel ihre Partner. Deshalb macht sich Verunsicherung breit. „Es gibt keine Events, kein Networking, kein Vertrauensaufbau“, sagt Johannes Roth, CEO beim Spieleentwickler Mimimi Productions.

Was wird aus der Gamescom?

Viertens ist offen, wie sich die Wirtschaftskrise auf die Nachfrage auswirkt. Die großen Unternehmen mögen gut durch die Krise kommen, unabhängige Entwickler, Dienstleister, Fachmedien und der Handel könnten jedoch Probleme bekommen – ihre Arbeit ist derzeit weniger gefragt.

Schwierig ist die Situation vor allem für Spieleentwickler, die sich noch nicht etabliert haben. Zum Beispiel Michel Wacker von Gentle Troll: Er wollte im April auf der Konferenz „Reboot Develop Blue“ in Dubrovnik und im Mai bei der „Nordic Game“ in Malmö die Finanzierung für sein neues Konsolenspiel Under Down sichern.

Das Problem: Der Prototyp sei erklärungsbedürftig und die Zusage einer Teilfinanzierung vom FFF Bayern sei an die Bedingung geknüpft, dass er bis November einen weiteren Partner findet. „Bei vielen Publishern können wir unsere Unterlagen jetzt nur noch kommentarlos einschicken“, schildert Wacker die Situation. „Wenn man das das erste Mal macht, geht man während der Verlagerung ins Homeoffice leicht unter.“ Der Kontakt mit einigen Verlegern sei einfach abgebrochen.

Wackers Erfahrungen bestätigen die Prognosen von Experte Pier Harding-Rolls: Die Absage der Spielekonferenzen werde wahrscheinlich kleinere Spieleentwickler und Verleger stärker treffen als große. Wacker hoffte bislang auf die Gamescom, die für ihn gerade noch rechtzeitig gekommen wäre. Die Zukunft seines Spiels ist nun ungewisser denn je.

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