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20.03.2020

09:26

Corona-Pandemie

Schutz der Datennetze: Netflix und YouTube drosseln Streaming

Von: Stephan Scheuer, Sandra Louven, Christof Kerkmann, Dietmar Neuerer, Till Hoppe

Homeoffice, Lernplattformen und Videostreaming: Die EU fordert Vorsichtsmaßnahmen, um die Datennetze nicht zu überlasten. Nun reduzieren Anbieter die Videoqualität.

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Düsseldorf, Berlin, Brüssel Noch nie waren die Wirtschaft und die Gesellschaft in Europa so stark auf die Datennetze angewiesen wie heute. Ob Homeoffice oder Videotelefonie mit Freunden: Die Netze werden zur digitalen Lebensader in Europa. Je mehr Menschen Telearbeit nutzen, digitalen Lerninhalten folgen oder sich mit Onlinefilmen die Zeit vertreiben, desto stärker steigen die Datenraten. Die Sorge über eine mögliche Überlastung der Netze ist omnipräsent.

Der weltgrößte Videostreaming-Dienst Netflix hat jetzt Konsequenzen gezogen: In Europa wird die Qualität der Übertragung für 30 Tage gedrosselt, wie das US-Unternehmen am Donnerstag ankündigte. Die Videos würden weiterhin in „guter Qualität“ übertragen, verursachten allerdings rund 25 Prozent weniger Datenverkehr, teilte Netflix mit.

Nach Netflix reduziert nun auch der Videodienst YouTube in Europa seine Übertragungsqualität. Um die Belastungen des Netzes in Zeiten verstärkter Heimarbeit, Ausgangssperren und geschlossener Schulen während der Coronavirus-Pandemie zu reduzieren, werde YouTube seine Datenmengen drosseln, teilte die Google-Tochter am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters mit.

Die Anbieter reagieren mit dem Schritt auf einen Aufruf von EU-Kommissar Thierry Breton. Der hatte am Donnerstag den zweiten Tag in Folge mit Netflix-Chef Reed Hastings gesprochen und vorgeschlagen, die Bildqualität bei starker Auslastung automatisch von HD- auf Standard-Auflösung runterzuschrauben. Netflix empfiehlt für HD (High Definition) eine Internetgeschwindigkeit von fünf Megabit pro Sekunde, während es bei Standard-Auflösung drei Megabit pro Sekunde sind.

Noch gibt es nur vereinzelt Anzeichen dafür, dass Telearbeit und Streaming die Netze übermäßig beanspruchen könnten. Aber die EU-Kommission und die nationalen Aufsichtsbehörden wollen sicherstellen, dass die Kapazitäten auch dann ausreichen, wenn noch mehr Menschen wegen der Pandemie von zu Hause aus arbeiten oder studieren. Daher appellierten sie in einer gemeinsamen Stellungnahme am Donnerstag nicht nur an Videoplattformen, sondern auch an Endnutzer, mit Freizeitaktivitäten wie dem Streamen von Unterhaltungsfilmen nicht die Arbeit von Firmen oder Online-Lerninhalte zu stören.

Netzbetreiber in Deutschland gelassen

Der CEO der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, sagte: „Unsere Netze müssen immer stabil und sicher funktionieren.“ Dafür habe sein Unternehmen alle nötigen Vorkehrungen getroffen. „Unser Netz ist die Lebensader des digitalen Miteinanders.“ Die Telekom hat zwar nach eigenen Angaben besonders im Festnetz steigende Datenraten registriert. Diese seien aber für die Systeme nicht kritisch. Entwarnung gaben auch die beiden anderen Mobilfunknetzbetreiber in Deutschland, Vodafone und Telefónica.

Der Datenverkehr am weltgrößten Internetknoten in Frankfurt sei in der Woche bis Mittwoch um zehn Prozent gestiegen, berichtet der Betreiber DE-CIX. Über alle Standorte ist seit Anfang März ein Anstieg von 20 Prozent zu verzeichnen.

Zum Anstieg haben besonders Videokonferenzen mit einem Plus von rund 50 Prozent beigetragen, aber auch vermehrte Zugriffe auf Firmennetze über verschlüsselte VPN-Verbindungen. Zudem wird das Internet bei der Freizeitgestaltung immer wichtiger: Bei Onlinespielen verzeichnet DE-CIX eine Zunahme von 25 Prozent. Auch die Nutzung von Social-Media-Plattformen steige deutlich.

Trotz des starken Anstiegs seien keine Engpässe zu erwarten, betont Technikchef Thomas King: „Die Kapazitäten in unserem eigenen Netz werden regelmäßig und langfristig ausgebaut.“ Sobald die Auslastung bei 63 Prozent liege, werde wieder investiert. Daher beruhigt DE-CIX: Selbst wenn alle Unternehmen in Europa ausschließlich auf Fernarbeit setzen sollten, wäre die Datendrehscheibe leistungsfähig genug.

Telekom verschenkt Extra-Datenvolumen

Bei der Deutschen Telekom wird die Lage so entspannt gesehen, dass das Unternehmen selbst seinen Kunden zusätzliche Angebote machte. Die Telekom stellte zehn Gigabyte zusätzliches mobiles Datenvolumen im Monat kostenlos zur Verfügung und bot Homeoffice-Lösungen sowie Videostreaming-Dienste für eine begrenzte Zeit frei an. Dadurch dürfte der Dax-Konzern das Datenvolumen eher antreiben.

In Spanien ist die Lage anders. Dort hatten die fünf großen Netzbetreiber ihre Kunden am vergangenen Sonntag aufgerufen, datenintensive Streamingdienste wie Filme oder Spiele möglichst nicht während der regulären Arbeitszeit zu nutzen, um die Netze nicht über Gebühr zu belasten. Die Website ADSLZone hatte am Sonntag berichtet, das Web sei wegen Überlastung um zehn Prozent langsamer. Doch größere Probleme sind seitdem nicht aufgetreten, obwohl in dieser Woche sämtliche Schulen geschlossen bleiben und auch ein Großteil der Geschäfte schließen musste.

EU-Kommissar Breton ermunterte auch die Netzbetreiber, im Falle von drohender Überlastung gegenzusteuern. Die EU-Regeln für den freien Internetzugang gäben ihnen dazu den nötigen Spielraum. In der Vergangenheit wurden Szenarien diskutiert, in denen Computerspiele gezielt verlangsamt werden, um damit den reibungslosen Zugriff auf Lerninhalte von Schulplattformen zu ermöglichen.

Solche Eingriffe sind allerdings politisch heikel, weil sie am Grundsatz der Netzneutralität rütteln könnten. Nach der EU-Verordnung dürfen die Telekomanbieter den Verkehr in ihren Netzen nicht drosseln, und sie dürfen einzelne Dienste nicht bevorzugen oder benachteiligen. Aber es gibt Ausnahmen, etwa um zeitweise Engpässe in besonderen Situationen zu vermeiden.

„Moderater Anstieg von etwa zehn Prozent“

Der Präsident des IT-Verbands Bitkom, Achim Berg, begrüßte den Vorstoß der EU-Kommission zur Datenreduzierung bei Videostreaming-Diensten. „Sollte es wider Erwarten perspektivisch zu Überlastungsszenarien in den Telekommunikationsnetzen kommen, ist der von der Europäischen Union vorgesehene Dialog von Video-on-Demand-Anbietern und Netzbetreibern sinnvoll“, sagte Berg. Ein Großteil des Datenverkehrs in den Netzen werde durch Videostreaming verursacht. „Eine Verringerung der Videoauflösung kann diese Belastung erheblich reduzieren und damit gleichzeitig die grundsätzliche Verfügbarkeit der Angebote sicherstellen.“

Die Festnetz- und Mobilfunkinfrastruktur in Deutschland sieht Berg für die verstärkte Nutzung digitaler Anwendungen und Dienste im Zuge der Coronakrise aber „gut gewappnet“. „Aktuell verzeichnen die Netzbetreiber beim Datenverkehr einen moderaten Anstieg von etwa zehn Prozent“, erläuterte der Bitkom-Präsident. Die Lastspitzen würden weiterhin in den Abendstunden erreicht, wenn Streamingdienste besonders stark genutzt werden. Die Netzbetreiber überprüften jedoch permanent die Stabilität der Netze. Berg sagt: „Eventuelle Engpässe können durch ein effektives Netzwerkmanagement verhindert werden.“

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