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10.10.2022

04:07

Delos Cloud

Schatzkammer für Daten: Wie SAP eine Cloud für die Bundesregierung bauen will

Von: Christof Kerkmann

Deutschland geht in die Cloud – und SAP hofft auf ein großes Geschäft: Der Softwarekonzern baut mit Arvato eine Plattform für moderne IT-Dienste auf. Die Details sind jedoch tückisch.

SAP und Arvato Systems wollen eine Cloud-Plattform für Behörden und Ministerien aufbauen. imago images/Dirk Sattler

SAP Hauptquartier in Walldorf

SAP und Arvato Systems wollen eine Cloud-Plattform für Behörden und Ministerien aufbauen.

Düsseldorf Im antiken Griechenland war die Insel Delos für ihre Schatzkammern bekannt, üppig gefüllt und gut abgesichert. 2500 Jahre später steht der Felsen im Ägäischen Meer für ein Projekt Pate, das eines Tages ähnliche Ansprüche erfüllen soll – allerdings geht es nicht um Gold und Silber, sondern um Daten.

SAP und Arvato Systems bauen eine Cloud-Plattform für Ministerien und Behörden auf, die voraussichtlich ab 2024 verfügbar sein soll. Das Konsortium verspricht, den Datenschutz gut vor fremden Zugriffen zu schützen, unter anderem durch die Abwicklung aller Prozesse in Deutschland. Der Name der neuen Einheit: Delos Cloud.

Die Geschäftsführung um Georges Welz verfolgt große Ambitionen. Zwar ist Microsoft enger Partner von Delos Cloud, die Infrastruktur baut auf der Technologie des US-Konzerns auf. Aber: Ziel sei, dass über die Plattform „sämtliche Standardsoftware ohne spezifische Anpassungen genutzt werden kann“.

Auch andere Softwarehersteller und IT-Anbieter sollen also ihre Produkte an den Staat verkaufen können, der in den nächsten Jahren mehrere große Digitalprojekte plant, um die Verwaltung zu modernisieren.

Allerdings müssen SAP und Arvato erst mal in Vorleistung treten. Die Unternehmen beziffern die Investitionen nicht, Brancheninsider gehen aber angesichts des Umfangs von einer dreistelligen Millionensumme aus. Das Projekt sei daher „mit einem sehr hohen Risiko verbunden“, sagt René Büst, Analyst beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner.

„Dass zwei deutsche Unternehmen eine souveräne Lösung für die deutsche Regierung anbieten, ist sinnvoll“, ist der Cloud-Experte zwar überzeugt. Es sei aber nicht sicher, in welchem Umfang der Staat die neue Plattform nutzen werde, zumal es einige Konkurrenz gebe. „Die öffentliche Hand ist nicht als Vorzeigekunde für IT-Lösungen bekannt.“

Neue Strategie gegen alte Abhängigkeiten

Für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors gilt die Cloud als zentral. Das Geschäft dominieren allerdings amerikanische Unternehmen, namentlich Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google.

Das ist doppelt problematisch. Zum einen bleibt die Abhängigkeit von einigen wenigen Anbietern bestehen. Zum anderen gibt es gravierende Bedenken beim Datenschutz, seit der Europäische Gerichtshof nach den Enthüllungen von Edward Snowden wichtige rechtliche Grundlagen für den Datentransfer von Europa in die USA für ungültig erklärte.

Die Digitalstrategie der Bundesregierung sieht daher vor, die Abhängigkeiten von einzelnen Unternehmen mit einer „Multi-Cloud-Struktur“ zu vermeiden. Sprich: Regierung und Behörden sollen unter verschiedenen Anbietern auswählen können, die strikte Vorgaben zu IT-Sicherheit und Datenschutz einhalten müssen.

Die Ziele sind prinzipiell die gleichen wie bei den Projekten Gaia-X und Catena-X, die den sicheren Datenaustausch in der Wirtschaft fördern sollen: eine größere digitale Souveränität für Europa, relativ unverhohlen kombiniert mit Wirtschaftsförderung für die hiesige IT-Branche.

Der Markt ist attraktiv. Die externen Ausgaben für Software und IT-Services – darunter Cloud-Dienste – dürften sich in diesem Jahr auf rund zehn Milliarden Euro summieren, schätzt das Beratungsunternehmen PAC.

„Als relativ krisenresistente Branche mit gleichzeitig großem Modernisierungsbedarf war der öffentliche Sektor für die IT-Branche einer der Wachstumsmotoren in den letzten zwei Jahren“, sagt Analyst Karsten Leclerque. Besonders gefragt seien Cloud-Dienste, in Bereichen mit Regulierung auch Speziallösungen wie „souveräne Clouds“.

Strikt getrennt von Microsoft

Um die Kriterien zu erfüllen, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für Cloud-Plattformen in der öffentlichen Verwaltung aufgestellt hat, arbeite Delos Cloud eng mit der Behörde zusammen, sagt Welz. Im Kern geht es darum, jegliche Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern zu verhindern.

Die neue Plattform soll Souveränität in drei Dimensionen bieten. Erstens ist die Technik so konzipiert, dass sie unabhängig vom Partner Microsoft läuft. Zweitens hat das neue Unternehmen zwei deutsche Eigentümer, die der hiesigen Jurisdiktion unterliegen. Und drittens liegt der Betrieb und damit die Kontrolle über Rechenzentren und Software allein beim Joint Venture.

Was im Grundsatz einfach klingt, ist im Detail komplex: Einerseits sollen neue Funktionen, die Microsoft für die Cloud entwickelt, schnell verfügbar sein. Andererseits ist eine Prüfung notwendig. Einerseits sollen Geheimnisse vor dem US-Konzern geschützt sein. Andererseits sollen dessen Mitarbeiter sich schnell aufschalten können, wenn es Probleme gibt.

In diesem aufwendigen Prozedere sieht Delos-Cloud-Chef Welz jedoch eine Chance. Bisher habe der Staat bei jedem Software- und Cloud-Produkt prüfen müssen, ob es den Anforderungen an Datenschutz und IT-Sicherheit genüge. „Das Ziel des Projekts ist, die Einzelfallentscheidung vor die Klammer zu ziehen.“

Delos Cloud könnte somit nicht nur Produkte von Microsoft und SAP anbieten, sondern auch von anderen Softwareentwicklern. „Unsere Zielgruppe sind IT-Dienstleister der öffentlichen Hand, die ihren Kunden auf der Plattform ein komplementäres Angebot machen können“, sagt Welz. Auch Start-ups will der Manager gewinnen.

Konkurrenz von T-Systems und Google

Ein Selbstläufer ist das Projekt nicht, die Konkurrenz ist beträchtlich. So arbeitet T-Systems mit Google an einer souveränen Cloud, deutsche Anbieter wie Ionos machen sich ebenfalls Hoffnungen, mit dem Staat ins Geschäft zu kommen. „AWS, Microsoft und Google bemühen sich auch um Regierungsaufträge“, betont zudem Gartner-Analyst Büst. Zumindest dort, wo nicht der höchste Datenschutzstandard gilt.

Aufträge oder Finanzierungszusagen der Politik habe Delos Cloud bislang nicht, sagt Welz. Wenn die Plattform die Prüfung bestehe, werde das Angebot aber vollständig für die Nutzung in den Bundesbehörden freigegeben. „Es gibt ein Interesse, die Cloud-Nutzung möglich zu machen“, weiß er aber. „Die grundsätzliche politische Willensbildung ist geschehen.“

Miteigentümer SAP dürfte sich bemühen, die engen Kontakte in die Politik zu nutzen. Vorstandssprecher Christian Klein tauscht sich immer wieder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus, ist in Konzernkreisen zu hören.

„Als größter Softwarehersteller haben wir nicht nur ein kommerzielles Interesse, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die Digitalstrategie der Bundesregierung zu unterstützen“, formuliert Nik Hagl, der in der deutschen Landesgesellschaft des Konzerns den Vertrieb im öffentlichen Sektor leitet.

Tückisch sind zudem die technischen und organisatorischen Details, gerade in einer Dreiecksbeziehung, wie sie bei Delos Cloud entstanden ist. Arvato Systems wollte sich deswegen zwischenzeitlich aus dem Prestigeprojekt zurückziehen, konnte sich aber doch mit SAP einigen.

Nun läuft also die Arbeit. In zwei Jahren soll die Plattform startklar sein, eine Zwischenlösung beispielsweise für Tests möglicherweise früher. Erst dann wird sich herausstellen, ob Delos Cloud genauso üppig befüllt wird wie einst die Schatzkammern der Griechen.

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