PremiumSeekabel transportieren fast den gesamten globalen Datenverkehr. Die EU fürchtet, in Abhängigkeit von den USA und China zu geraten – und will eigene Verbindungen.
Ein Seekabel wird für die Verlegung vorbereitet
Heute gibt es nur noch wenige europäische Anbieter, die selbst Kabel durch die Weltmeere legen.
Bild: Bloomberg
Brüssel, Düsseldorf Der Kampf um die digitale Zukunft Europas wird auch an der französischen Mittelmeerküste ausgetragen. Vor der Hafenstadt Marseille verlegt eine chinesische Firmengruppe ein rund 12.000 Kilometer langes Internetkabel von China via Pakistan über das Horn von Afrika bis nach Europa.
Peace, auf Deutsch Frieden, nennen die chinesischen Entwickler ihr Kabel, das in jeder Sekunde genug Daten transportieren soll, um 90.000 Stunden Netflix zu übertragen. Ob das Projekt allerdings wirklich Frieden stiftet, ist umstritten. Maritime Datenleitungen sind von hoher wirtschaftlicher und politischer Bedeutung, ohne sie läuft nichts in der digitalen Welt. Daher eignen sie sich als geopolitisches Machtinstrument.
Peace-CEO Sun Xiaohua verheimlicht nicht, dass das chinesische Konsortium mit dem Kabel vor allem chinesische Interessen im Blick hat: „Das grenzüberschreitende Glasfaserkabel Peace von China über Pakistan ist in der Lage, chinesische Unternehmen entlang der Seidenstraßen-Initiative sowie chinesische Großinvestitionen in Afrika zu unterstützen, wie zum Beispiel in Dschibuti“, sagt er.
Experten mahnen zur Vorsicht, zumal auch der Netzausrüster Huawei an dem Peace-Projekt beteiligt ist. Dessen Technologie halten westliche Geheimdienste für ein Einfallstor für chinesische Sicherheitsorgane. „Leistungsfähigere Verbindungen nach Afrika und Südostasien sind in Europas Interesse“, sagt Daniel Voelsen von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Aber wir müssen auch hier darauf achten, einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Unternehmen oder Staaten zu vermeiden.“
China und die USA haben den strategischen Wert der Unterseekabel längst erkannt. Und Europa? Erst langsam wird dem Kontinent bewusst, dass er die Kontrolle seiner digitalen Infrastruktur nicht aus den Händen geben darf.
Vor ein paar Wochen hat sich die EU gemeinsam mit Island und Norwegen darauf verständigt, die „Internetkonnektivität zwischen Europa und seinen Partnern in Afrika, Asien, der europäischen Nachbarschaft, dem westlichen Balkan und Lateinamerika“ zu verstärken und die Verbindungen mit Unterwasserkabeln auszubauen. Fast zeitgleich wurde ein neues europäisches Datenkabel fertiggestellt: „Ella Link“, das Europa über die Kapverdischen Inseln mit Südamerika verbindet.
Doch die Initiativen der Europäer bleiben bisher weit hinter den Ambitionen der Chinesen zurück. Der Bau einer neuen Seidenstraße ist die größte außenpolitische Initiative von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Peking stützt dafür Investitionsvorhaben in Asien, Afrika und Europa mit Milliardensummen. Zunächst konzentrierte sich das Vorhaben auf klassische Infrastruktur wie Straßen, Häfen, Flughäfen oder Pipelines. Mittlerweile geht es verstärkt um die digitale Infrastruktur, die „Digital Silk Road“. Und diese verläuft vor allem unter Wasser.
Datenleitungen sind die Nervenbahnen der modernen Wirtschaft. Egal, ob wir abends auf dem Sofa eine Netflix-Serie schauen, auf Youtube nach Rezepten stöbern oder auf Instagram von fernen Urlaubszielen träumen – die dafür erforderlichen Daten werden in Lichtsignale übersetzt und via Glasfaserkabel über den Meeresgrund gejagt. 95 Prozent der internationalen Kommunikation wird auf diese Weise übertragen.
Nicht Funkmasten oder Satelliten, sondern mit Algen bewachsene, in Schlick eingelassene Meereskabel bilden das Fundament, auf dem das formlos erscheinende Internet beruht. Etwa 500 gibt es inzwischen, insgesamt so lang, dass man sie 30-mal um den Äquator wickeln könnte. Und jedes Jahr werden es mehr.
Lange Zeit kümmerten sich Spezialfirmen um das wenig lukrative Geschäft. Heute steht es im Zentrum der Geopolitik, denn die große Bedeutung der Hochseekabel für globale Datenströme macht sie zu begehrten Spionagezielen.
Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden berichtete, wie US-Dienste gezielt den globalen Datentransfer abschöpften und auswerteten. Doch Amerikas technologische Vorherrschaft wird inzwischen offen herausgefordert – von China. Staatschef Xi will das Land zur „Cybermacht“ entwickeln.
Jonathan Hillmann von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies schätzt, dass China im Jahr 2019 in elf Prozent des Geschäfts mit Unterseekabeln mitmischt, entweder als Anlandepunkt, Eigentümer oder Lieferant. Bei den seitdem global geplanten Projekten liegt der Anteil Chinas bereits bei 24 Prozent.
Die USA halten dagegen. Im vergangenen Jahr hat die US-Regierung eine Kampagne für „saubere Telekommunikationsnetze“ gestartet, einer der wichtigsten Punkte dabei: „Clean Cables“. „Wir werden sicherstellen, dass die Unterseekabel, die unser Land mit dem globalen Internet verbinden, nicht für das Sammeln von Informationen durch die Volksrepublik China in großem Stil missbraucht werden“, verkündete der damalige US-Außenminister Mike Pompeo und gelobte, eng mit Amerikas Verbündeten zusammenarbeiten zu wollen.
Solche Versprechen klangen in der Amtszeit des „America first“-Präsidenten Donald Trump für die Europäer hohl. Trumps Nachfolger Joe Biden will es nun besser machen, er strebt eine „Allianz der Demokratien“ an, die China gerade auch im Technologiebereich entgegentritt. Doch in Europa sind die Vorbehalte – vor allem aufgrund der Snowden-Enthüllungen – weiterhin groß.
Die EU setzt daher auf eine stärkere Eigenständigkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält die Stärkung der digitalen Souveränität Europas für eine der wichtigsten politischen Aufgaben überhaupt. Bei der Verlegung von Unterseekabeln zeigt sich allerdings, dass Wunsch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Europa droht abgehängt zu werden.
US-Konzerne wie Google, Facebook, Microsoft und Amazon, früher bloß Nutzer von bestehenden Übertragungskapazitäten, nehmen die Verlegung von Kabeln zunehmend selbst in die Hand. Sie wollen neue Kunden gewinnen, überall auf der Welt, und scheuen dafür kaum Kosten.
Nur um China machen die US-Unternehmen einen Bogen. Schon im vergangenen Jahr ließen sie einen Plan fallen, ein Kabel zwischen den USA und Hongkong zu verlegen – weil das Justizministerium in Washington davor warnte, dass Daten von US-Bürgern von den Chinesen abgegriffen werden könnten. Auch das Peace-Kabel wollen Google und Facebook nicht nutzen.
Stattdessen setzt das Silicon Valley auf eigene neue Projekte. Etwa das diese Woche angekündigte Bifrost-Kabel, benannt nach einer Regenbogenbrücke aus der nordischen Mythologie, das Amerika mit Singapur verbinden und außerhalb der Reichweite chinesischer Nachrichtendienste bleiben soll.
Am Beispiel der Meereskabel zeigt sich schon heute, wie sich das Internet in Zukunft entwickeln dürfte: nicht als weltumspannender Datenraum, sondern in Form von zwei konkurrierenden Tech-Sphären, die eine dominiert von den USA, die andere beherrscht von China.
In Europa überschneiden sich die Einflussbereiche der beiden Mächte bisher. Das erklärt, warum die USA die EU auf ihre Seite ziehen wollen. Und es erklärt die großen Anstrengungen der Chinesen, genau das zu verhindern. Die Frage ist, ob Europa die Kraft aufbringt, in diesem Hegemonialkonflikt ein selbstbestimmter Akteur zu bleiben.
Einst waren es die Europäer, die bei der Vernetzung der Welt vorangingen. Das erste Meereskabel wurde 1850 zwischen Großbritannien und Frankreich verlegt. Das erste Glasfaserkabel, 1988 gebaut, war ein transatlantisches Projekt, vorangetrieben von AT&T, France Télécom und British Telecom.
Heute gibt es nur noch wenige europäische Anbieter, die selbst Kabel durch die Weltmeere legen. Einer davon ist Nokia. Doch die finnische Firma versucht, das Geschäft abzustoßen. Daher wächst die Sorge, dass Europa seine Kompetenzen dauerhaft verliert – und an Souveränität einbüßt. „Die EU muss aufpassen, bei dieser zentralen Infrastruktur nicht in neue Abhängigkeiten zu geraten“, sagt der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer.
Bütikofer hat im EU-Parlament die Entwicklung einer europäischen „Konnektivitätsstrategie“ vorangetrieben, aus der sich eine Antwort auf die chinesische Seidenstraße entwickeln soll. Europa muss Ländern wie Asien, Afrika und Lateinamerika eigene Angebote zum Ausbau von Handels- und Datenverbindungen machen – das ist die Idee. Doch sie ist bisher Theorie.
Immerhin: Ganz tatenlos ist Europa nicht geblieben. Das Ella-Link-Kabel, das von Portugal nach Brasilien führt, wurde vor wenigen Wochen fertiggestellt und soll nun in Betrieb gehen. Gebaut wurde es mit Technologie einer Nokia-Tochter. „Hier geht es wirklich um digitale Souveränität, nämlich darum, bei einem zentralen Element der digitalen Infrastruktur nicht vollkommen abhängig von anderen zu sein und selbstbestimmt die digitalen Verbindungen Europas mit dem Rest der Welt gestalten zu können“, sagt Sicherheitsforscher Voelsen.
Wie groß die Bedeutung der Unterseekabel für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ist, erlebte der Inselstaat Tonga im Südpazifik im Jahr 2019. Das über mehrere Inseln verteilte Land ist mit einem Unterseekabel mit dem globalen Internet verbunden. Im Januar 2019 wurde die Verbindung für zwölf Tage unterbrochen. Das öffentliche Leben kam weitgehend zum Erliegen.
Die Chefin des staatlichen Kabelbetreibers Tonga Cable, Paula Piukala, sagte: „Das war Absicht. Das war ein klarer Fall von Sabotage.“ Eine Analyse der Schäden habe ergeben, dass ein Schiff mit einem Anker das Kabel an vier Stellen beschädigt hatte. Daher sei davon auszugehen, dass dies ein gezielter Angriff auf die Infrastruktur des Landes gewesen sei.
Konkrete Angaben zu einem möglichen Verursacher machte Piukala nicht. Eines aber zeigt der Fall auch so: Wie fragil die globalen Datenverbindungen sind – und wie viel Macht sie demjenigen verleihen, der sie kontrolliert.
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