Facebook und Google drohen im Werbegeschäft Milliarden-Einbußen, obwohl beide einen regelrechten Nutzeransturm erleben. Wie passt das zusammen?
App-Symbole
Für viele Menschen sind Facebook oder WhatsApp aktuell der einzige Weg, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben.
Bild: NurPhoto/Getty Images
Düsseldorf, San Francisco Die Jogginghosen für „gemütliche Home-Outfits“ sind ein Beispiel von vielen: Firmen haben ihr Marketing an die Coronakrise angepasst. In Zeiten der Ausgangsbeschränkung wirbt der Discounter Kik auf Instagram, Facebook und im Nachrichtendienst Messenger für Hosen, die viele nicht auf der Straße tragen.
Kunden finden Kik und andere Händler gerade vor allem in digitalen Medien. Für viele Menschen sind Facebook oder WhatsApp aktuell der einzige Weg, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Sie lesen Nachrichten im Netz, spielen Onlinespiele und schauen Filme. Facebook muss kämpfen, damit seine Server nicht zusammenbrechen.
Doch die Reichweite ist die eine Sache, sie in Umsatz umzuwandeln eine ganz andere. Trotz des Nutzungsbooms drohen die Erlöse der Tech-Konzerne einzubrechen. Denn Facebook, Google und ihre Töchter Instagram und Youtube finanzieren sich mit Werbung – und da ziehen viele Unternehmen gerade die Notbremse.
Allein Google und Facebook werden nach Prognosen der Investmentbank Cowen & Company in diesem Jahr 44 Milliarden Dollar weniger mit Werbung verdienen als bisher erwartet. Auch andere Experten rechnen mit dieser Größenordnung.
Google werde demnach dieses Jahr nur noch 127,5 Milliarden Dollar umsetzen, gegenüber Cowens bisheriger Schätzung wären es 18 Prozent weniger. Bei Facebook korrigieren die Experten die erwarteten Werbeumsätze um 15,7 Milliarden nach unten auf 67,8 Milliarden Dollar. Ein historischer Einschnitt für beide Unternehmen: Noch nie in ihrer Geschichte schrumpfte ihr Werbeumsatz im Vergleich zum Vorjahr.
„Das wird kein business as usual“, sagte Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg Mitte März dem Nachrichtendienst Bloomberg: „Die Werbeindustrie wird stark getroffen werden, und ich glaube, niemand weiß, wie stark.“ Twitter kassierte bereits seine Prognose für das laufende Quartal. Für die Digitalriesen werden ihre flexiblen Bedingungen zum Problem.
Die Firmen würden ihre Budgets vor allem aus jenen Medien abziehen, deren Stornierungsfristen besonders kurz sind, sagt Andrea Malgara, Chef der Agentur Mediaplus. Dazu gehörten Onlinemedien ebenso wie Social Media. Kampagnen auf Facebooks und Googles Plattformen oder Konkurrenten wie Twitter und Snap können quasi sofort ausgespielt oder zurückgezogen werden.
Dazu kommt die völlig neue Situation: „Werbespots, die eine heile Welt suggerieren, wirken in diesen Tagen aus der Zeit gefallen“, sagt Frank-Peter Lortz, CEO der Agentur Publicis Germany. Zwar sieht Lortz weiter Kommunikationsbedarf, werbetreibende Unternehmen müssten jetzt Glaubwürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein zeigen.
Unter dem Strich reicht das nicht: Die Werbeindustrie ist auf dem Rückzug. Ein Prozent weniger Wirtschaftsleistung würden fünf Prozent weniger Werbeausgaben bedeuten, nennt Brandon Verblow vom Marktforscher Forrester als Faustformel. Prognostizierte der Analyst bislang elf Prozent Wachstum für den Online-Werbemarkt 2020, rechnet er nun mit knapp acht Prozent minus – was etwa der Cowen-Prognose entspricht.
Des einen Leid ist aktuell niemandes Freud: Mediaplus-Chef Malgara sieht keine Gewinner in der Medienlandschaft. Es sei nicht genug Werbung für alle da. Über alle Medienkanäle hinweg gehe Mediaplus für April von einem Rückgang der Werbeumsätze von 35 Prozent aus.
Soziale und andere Onlinemedien kämen mit 20 Prozent Rückgang sogar relativ glimpflich davon. Das klassische Fernsehen, das in Deutschland das Gros der Werbebudgets ausmacht, verliere etwa 50 Prozent.
Auch für andere Werbeträger sehen Experten schwarz: „In Kino und Außenwerbung inklusive der digitalisierten Werbung in öffentlichen Transportmitteln und an Flughäfen wird in der jetzigen Situation sicherlich weniger investiert“, sagt Publicis-Manager Lortz. Plakate in Fußgängerzonen sieht aktuell kaum jemand, Bandenwerbung in Fußballstadien höchstens der Platzwart.
Einzig Amazons Mediasparte sei einigermaßen sicher. Onlinehandel gewinnt aktuell Marktanteile, und Werbeplätze rund um die Produktsuche versprechen Werbetreibenden einen direkteren Weg zum Umsatz als Spots zur Markenpflege. Für Amazon rechnen Analysten der Deutschen Bank lediglich mit einem Rückgang des Wachstums von 40 auf 35 Prozent.
Google und Facebook hätten dagegen neben den allgemein sinkenden Budgets auch plattformspezifische Probleme: Google-Sparten wie die Flug- oder Hotelsuche, die in den vergangenen Jahren stark ausgebaut wurden, sind seit Ausbruch der Pandemie praktisch tot.
Facebook hingegen ist in einer Schicksalsgemeinschaft mit lokal agierenden Firmen. „Die 140 Millionen Unternehmen auf unseren Plattformen sind überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen“, sagt Tino Krause, Facebook-Chef für die Region Deutschland, Österreich und die Schweiz, dem Handelsblatt. Viele dieser Betriebe leiden besonders unter Ausgangsbeschränkungen, weil sie keinen Onlineshop haben.
Einblick in sein Zahlenwerk gewährt der Netzwerkriese selten. Dem Handelsblatt liegen Daten vor, die das Verhalten von Facebooks Werbekunden in Italien zeigen, während sich die Lage in dem Land zuspitzte: Demnach gaben Werbekunden bereits während der ersten acht Tage des Shutdowns sechs Prozent weniger für Anzeigen aus als vorher.
Die Facebook-Daten aus Italien zeigen auch, wie sich die Ausgangssperre auf die Preise auswirkt: Der Tausenderkontakt lag im Schnitt nur noch bei etwa 1,35 Euro – deutlich unter dem 30-Tage-Schnitt von 1,70 Euro.
Als die ersten Ausgangssperren in zehn Städten in Norditalien am 21. Februar ausgesprochen wurden, lag das Mindestgebot hingegen noch über 2,40 Euro. Trotz geringerer Budgets können Werbetreibende online derzeit also womöglich ihre Reichweite erhalten oder steigern.
Aber, Achtung: Der Tausenderpreis ist sozusagen der Mindestpreis. Wer zu viel bietet, zahlt in diesen Tagen mehr als nötig. Niedrigere Gebote lohnen sich. Zudem sollten Werbetreibende unbedingt darauf achten, ihre Budgets zu limitieren. Sonst kann es passieren, dass ihre Werbung viel mehr Menschen gezeigt wird als gewöhnlich. Mögliche Folge: deutlich steigende Kosten.
Während Reiseanbieter und Automobilfirmen ihre Kampagnen stoppten, fuhren etwa Anbieter digitaler Lernangebote und Unterhaltung ihre Marketingaktivitäten massiv hoch und milderten Verluste ab. Das Unternehmen wollte den Datensatz auf Anfrage nicht kommentieren.
Gern und viel reden will Facebook dagegen derzeit über sein Hilfsprogramm. Der Konzern will 100 Millionen Dollar für 30.000 kleine Unternehmen in 30 Ländern bereitstellen – teilweise allerdings in Gutscheinen für Anzeigen. Und Gesundheitsorganisationen dürfen in der Coronakrise kostenlos werben.
Die Frage nach eigenen wirtschaftlichen Interessen weist Tino Krause zurück: „Ich habe mich in dieser Woche noch keine drei Minuten damit beschäftigt, wie aktuell unsere Geschäftszahlen aussehen“, sagte er dem Handelsblatt nach den ersten Krisentagen. „Wir wollen jeden Tag für die Kunden da sein, in erster Linie für Kleinunternehmen, die um ihre Existenz kämpfen.“
In Deutschland können sich Firmen an den Facebook-Standorten in Hamburg und Berlin um Hilfe bewerben.
Fest steht, dass Facebook mehr Nutzern auch mehr Werbung zeigen kann. Die Anzeigenplätze, die das Unternehmen versteigert, sind deshalb sehr günstig. Auch das zeigen die Zahlen aus Italien. Je mehr Anzeigen das Unternehmen derzeit verschenkt, desto stärker wird das Angebot verknappt und das Preisniveau gesteigert.
Inzwischen folgt Google-Chef Sundar Pichai Facebooks Vorbild: Er kündigte am Freitag sein eigenes Werbegutschein-Programm im Wert von 340 Millionen Dollar für kleine Unternehmen weltweit an.
Umsatzeinbrüche hin oder her: In der Coronakrise liegt für die viel gescholtenen Internetkonzerne die Chance, sich beliebter zu machen und langfristig zu profitieren. Gefährdet seien kleinere soziale Medien wie Twitter und Snap, glauben Experten wie Andrew McLean von der Mediaagentur Inventus und Jasmine Enberg vom Analysten eMarketer.
Experimente dort würden schnell eingestellt, bewährte Anzeigen bei Facebook dagegen zuletzt gestrichen. So rechnet Cowen bei Snap mit einem viel stärkeren Rückgang als bei Google und Facebook von knapp 32 Prozent gegenüber der alten Prognose.
„Corona wird zu einer Konsolidierung führen, von der die Großen profitieren könnten“, sagt Forrester-Analyst Verblow. „Google und Facebook werden diese Krise überleben.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×