Francoise Brougher erhielt von Pinterest 20 Millionen Dollar, weil sie aus dem Unternehmen gedrängt wurde. Sie berichtet, woran die angebliche Wohlfühlkultur der Tech-Industrie krankt.
Francoise Brougher
Die Pinterest-Managerin erhielt in einem Vergleich 20 Millionen Dollar.
Bild: PR
San Francisco Die Geschichte von Francoise Brougher ist keine von der gläsernen Decke. Die Französin war ganz oben, Topmanagerin eines der bekanntesten Internetunternehmen des Silicon Valley. Als Chief Operating Officer (COO) von Pinterest sollte sie dessen Werbegeschäft weiterentwickeln und das Unternehmen so fit für den Börsengang machen. Die Hälfte der 1500 Mitarbeiter berichteten an die Ex-Google-Managerin.
Und doch ist die Geschichte von Francoise Brougher eine von Sexismus, der in vielen, oft versteckten Varianten existiert und der Frauen auf allen Karrierestufen begegnet. Von Sexismus im Silicon Valley – in den scheinbar modernsten Unternehmen der Welt, bei denen sich die Kumpelkultur als Diversitätshindernis entpuppen kann. Und es ist eine Geschichte davon, wie sich Frauen immer häufiger dagegen wehren.
„Niemand hat mich zum Kaffeeholen geschickt, trotzdem war es schmerzhaft“, sagt die 55 Jahre alte Brougher heute, ein Jahr nachdem sie bei Pinterest gefeuert wurde. Doch die Entscheidungen in dem Unternehmen mit einem Marktwert von aktuell 40 Milliarden Dollar traf vor allem eine kleine, rein männliche Clique um Gründer Ben Silbermann und Finanzvorstand Todd Morgenfeld in „Meetings nach dem Meeting“.
Im April 2019 schrieb CNBC über das „netteste Unternehmen im Silicon Valley“, dessen konfliktscheue Kultur Entscheidungen und letztlich das Wachstum bremse. Das Problem war auch Silbermann bewusst. Pinterests Werbeumsatz verpasste interne Wachstumsziele – ein schlechtes Vorzeichen für den geplanten Börsengang.
Ende 2017 rief der damals 35-jährige Gründer seine „Pinployees“ auf, Entscheidungen öfter in die eigene Hand zu nehmen. Und stellte die wesentlich erfahrenere Brougher als seine rechte Hand ein.
Pinterest-Zentrale in San Francisco
Die Wohlfühl-Atmosphäre bei dem Foto-Netzwerk galt nicht für alle.
Bild: Corbis News/Getty Images
Die gebürtige Marseillerin hatte als Google-Vizepräsidentin acht Jahre lang das Werbegeschäft mit Kleinunternehmen vorangetrieben – in der Anfangszeit unter Sheryl Sandberg, die heute Vorständin für das operative Geschäft bei Facebook ist.
Später verantwortete Brougher beim Fintech Square als „Global Business Lead“ dessen Börsengang mit. Und sie erwarb sich eine Reputation als Managerin, die Ziele klar setzt und Probleme anspricht. „Ich bin da sehr französisch“, sagt sie im Interview.
Silbermann ermutigte Brougher, ihre „Pardon my French”-Attitüde bei Pinterest auszuleben: Als sich Pinterest 2019 ein neues „Mission Statement“ gab, wurde Brougher Botschafterin für einen der neuen Werte: „Care with Candor“, „Mitgefühl durch Ehrlichkeit“. Das Wachstum beschleunigte sich, pünktlich zum für das Frühjahr 2019 geplanten Börsengang.
Die „New York Times“ lobte: „Pinterest hat unter ihrer neuen Chief Operating Officer, Francoise Brougher, im vergangenen Jahr Tempo aufgenommen.“
Intern wurde Brougher aber Schritt für Schritt demontiert: Als Pinterests Topmanager das Unternehmen auf einer Roadshow Investoren präsentierten, durfte Brougher nicht mit – obwohl sie aus ihrer Zeit bei Square als Einzige Erfahrung damit hatte.
Die Börsendokumente legten offen, dass Brougher entgegen der Vereinbarung bei ihrem Wechsel ein deutlich schlechteres Paket an Aktienoptionen bekommen hatte als der gleichrangige Morgenfeld. Erst nachdem sie bei Silbermann intervenierte, erhielt sie das gleiche Paket.
Dafür wurde sie nun nicht mehr zu Vorstandssitzungen und Produktbesprechungen eingeladen, über technische Entscheidungen, die Auswirkungen auf Pinterests Anzeigengeschäft hatten, nicht mehr informiert. „Es hat seinen Grund, dass Frauen nicht so hart um mehr Geld verhandeln wie Männer und der ist nicht, dass wir schlechte Verhandler wären“, schrieb Brougher später. „Es ist, weil wir dafür bestraft werden.“
Ende 2019 schlug die Stimmung in offene Feindseligkeit um. In ihrer Leistungsbeurteilung wurde die „Mitgefühl durch Ehrlichkeit”-Beauftragte nun als harsch und übereifrig kritisiert. Morgenfeld, ein Absolvent der Militärakademie West Point, habe sie angeherrscht: „Was ist überhaupt noch dein Job hier?“
Als er seine Vorstandskollegin Anfang 2020 evaluieren sollte, habe er ihr als einzige gute Eigenschaft zugeschrieben: „Sie scheint sich für Diversity einzusetzen.“ „Das hat sehr wehgetan“, sagt Brougher. „Ich möchte für meine Leistungen wahrgenommen werden, nicht für mein Geschlecht.“ Brougher durfte ihren Kollegen im Gegenzug nicht evaluieren.
Als Brougher Silbermann bat, den Streit zu schlichten, antwortete dieser, sie und Morgenfeld seien wie „ein altes Ehepaar, das sich zankt, wie man Kaffee macht“. Anfang April 2020 entließ Silbermann Brougher in einem zehnminütigen Videotelefonat. Brougher klagte dagegen.
„Die Welt sieht uns im Silicon Valley als die Pioniere des sozialen Wandels“, sagt Brougher. Insbesondere Pinterest, dessen Bildersuchmaschine und virtuelle Pinnwände für Einrichtungs- oder Hochzeitsideen zu 80 Prozent Frauen nutzen. Die Realität sei jedoch oft eine ganz andere.
Autorin Kim Scott hält Boughers Sexismuserfahrungen für bezeichnend: „Wenn es einer Frau passieren kann, die sich bis zur COO hochgearbeitet hat, kann es jeder Frau passieren“, sagt sie. Scott hat Managementbücher wie „Radical Candor“ über ehrliches Feedback oder in diesem Jahr „Just Work“ über Diskriminierung am Arbeitsplatz geschrieben und CEOs wie Twitters Jack Dorsey oder Ryan Smith von der SAP-Beteiligung Qualtrics beraten. Früher hat sie in Googles Werbetechnologieteam unter Brougher und Sandberg gearbeitet. Mit beiden ist sie bis heute befreundet.
Auch Sandberg hat 2013 mit „Lean In“ – übersetzt etwa „Häng dich rein“ – ein viel beachtetes Buch geschrieben über die Schwierigkeiten von Frauen, im Topmanagement großer Unternehmen anzukommen. Der Hauptgrund sei die mangelnde Ambition von Frauen, um Führungspositionen zu kämpfen.
Das wiederum liege an Vorurteilen – etwa dass zielstrebige Frauen als „bossy“ abgetan werden –, aber auch an fehlender Solidarität unter Frauen oder ihrem mangelnden Selbstvertrauen. Sandberg riet zum Beispiel, vor einer Babypause besonders hart zu arbeiten, um einen bleibenden guten Eindruck zu hinterlassen.
Sheryl Sandberg
Die Facebook-Topmanagerin hat 2013 ein viel beachtetes Buch geschrieben über die Schwierigkeiten von Frauen, im Topmanagement großer Unternehmen anzukommen.
Bild: dpa
Frauen kämpfen in der fortschrittlichsten Tech-Region immer noch gegen Stereotype an. Nach einem Vortrag über ehrliches Feedback sei eine schwarze Zuhörerin zu ihr gekommen, erzählt Scott. Egal, wie mitfühlend sie Kritik formuliere, immer werde sie auf das Stereotyp der „wütenden schwarzen Frau“ reduziert.
„Ich glaube, Frauen können selbst viel tun“, sagt Scott. „Aber das Opfer einer ungerechten Gesellschaft kann diese Gesellschaft selten ohne Hilfe von außen verändern.“
Zumindest versuchen sie es aber immer öfter – und setzen damit die mächtigsten Männer im Silicon Valley unter Druck. Als Ellen Pao ihren Ex-Arbeitgeber, den Risikokapitalgeber Kleiner Perkins, wegen Diskriminierung verklagte, verlor sie 2015 noch ihren Prozess. Die Entwicklerin Susan Fowler legte 2017 in einem Blogbeitrag Ubers bizarr sexistische Kultur offen und leitete damit den Sturz von Gründer Travis Kalanick ein.
Francoise Brougher veröffentlichte im vergangenen August einen Blogbeitrag über ihre Erfahrung. Er stieß auf gewaltige Resonanz – auch weil prominente Ex-Kollegen wie Twitter-Chef Jack Dorsey, den sie aus ihrer Square-Zeit kennt, und Youtube-Chefin Susan Wojicki, mit der sie bei Google zusammengearbeitet hat, öffentlich ihre Solidarität erklärten.
Im Dezember zahlte Pinterest in einer außergerichtlichen Einigung 20 Millionen Dollar an Brougher und sicherte zu, 2,5 Millionen Dollar an Förderprojekte für Frauen und Minderheiten zu geben – es ist die größte Summe in einem Diskriminierungsfall, die das Silicon Valley je gesehen hat.
Pinterest kündigte an, seine Bezahlung transparenter zu machen, und berief zwei weitere Frauen in sein Board. Morgenfeld ist aber bis heute Finanzvorstand und hat Broughers Verantwortungsbereich übernommen.
Wenn die 55-Jährige heute über die Gründe für den Sexismus im Silicon Valley spricht, sieht sie in der Unternehmensführung dort einen Grund. Brougher, die im Aufsichtsrat des französischen Catering-Riesen Sodexo sitzt, hält viel vom deutschen Modell der Mitbestimmung – als Gegengewicht zum Kult des Gründers im Silicon Valley, der sein Unternehmen wie sein Königreich regieren darf.
Pinterest-Zentrale
Derzeit ist das Unternehmen 40 Milliarden Dollar wert.
Bild: Corbis News/Getty Images
Als sie Silbermann einmal fragte, warum sein Aufsichtsrat keine kritischen Fragen stellt, habe der geantwortet: „Ich habe sie ausgewählt.“ Scott hat den „Checks and Balances“, die ein Gründer braucht, in „Just Work“ ein ganzes Kapitel gewidmet.
Die Frauen, die sich öffentlich gegen Sexismus gewehrt haben, verbindet, dass sie auf mehr als eine Weise Außenseiter in der Silicon-Valley-Kultur sind, die noch immer von weißen, amerikanischen, an Eliteuniversitäten ausgebildeten Männern geprägt ist. Pao ist die Tochter taiwanesischer Eltern, Fowler beschreibt in ihrem Buch „Whistleblower“, wie sie im ländlichen Arizona in bitterer Armut aufwuchs.
Und Brougher? Bald nach ihrem Start bei Pinterest, erzählt sie, habe ihr eine Kollegin gesagt: „Wenn du in einen Raum kommst, konzentrieren sich manche nicht mehr auf die Substanz deiner Worte. Du bist Französin, du bist eine Frau, du bist anders.“ Das sei eine ungeheure Last gewesen: „Wenn du in der Minderheit bist, musst du so viel beweisen“, sagt sie. „Nur wer zur Mehrheit zählt, wird als Individuum wahrgenommen.“
Bei Google und Square sei ihr Geschlecht egal gewesen, sagt Brougher. In ihrem ersten Meeting bei Google seien von 30 Leuten im Raum neun Nicht-US-Amerikaner gewesen. Bei Square war das gesamte Führungsteam um sie herum weiblich. „Es war eine viel weltgewandtere Atmosphäre als bei Pinterest.“ Für die habe auch Jack Dorsey gesorgt, der neben Twitter auch Square führt. „Jack hat Superkraft, jedem zuzuhören und die Botschaft vom Überbringer zu trennen.”
Reicht es also, Männer in mitfühlendem Feedback zu trainieren? „Nein, Zahlen sind entscheidend“, antwortet Brougher. „Man kann nicht ein oder zwei Mitgliedern einer Minderheit die Last auflegen, alle anderen zu erziehen.“
Das gelang Google. „Ich glaube, Google hat damals sehr bewusst Frauen in Führungspositionen gebracht“, sagt Brougher über ihre Zeit dort. Youtube-Chefin Susan Wojicki, die frühere Yahoo-Chefin Marissa Mayer oder Sandberg begannen ihre Karriere alle in Googles Werbetechnologieteam. „Heute ist es ein viel größeres Unternehmen, es hat sich viel geändert.“
Denn seit einigen Jahren gerät insbesondere Google immer wieder wegen Sexismusskandalen in die Schlagzeilen: Die Nachricht, dass der Android-Erfinder Andy Rubin trotz Vorwürfen sexueller Gewalt eine 90 Millionen Dollar schwere Abfindung erhalten hatte, provozierte 2018 die ersten „Walkout“ genannten Arbeitsniederlegungen in Mountain View. Die Softwareentwicklerin Emi Nietfeld schilderte im April in der „New York Times“, wie ein Vorgesetzter sie und andere Kolleginnen anbaggerte, sie in Besprechungen „wunderschön“ und „meine Königin“ nannte. Selbst nachdem eine Untersuchung Nietfelds Vorwürfe bestätigte, wurde der übergriffige Vorgesetzte nicht einmal von ihr weggesetzt.
Seit vergangenem Dezember schwelt ein Skandal, der Googles Reputation schwer schadet: Damals wurde die renommierte Forscherin Timnit Gebru entlassen, die Googles Team für „Verantwortungsvolle Künstliche Intelligenz“ geleitet hatte. Die gebürtige Äthiopierin hatte sich geweigert, einen Forschungsaufsatz zurückzuziehen, der Probleme mit KI-Sprachmodellen zeigte, wie sie Google in der Suche oder Google Mail einsetzt.
Schon vorher habe sie den Respekt einiger männlicher Entscheidungsträger vermisst, erzählte Gebru später. Sie beriet Staatschefs in Fragen der KI-Ethik, gleichzeitig zierte sich Google, sie zur Leiterin ihres kleinen Teams zu befördern. Dass Googles KI-Chef Jeff Dean behauptete, formelle Fehler Gebrus seien der Grund für die Entscheidung gewesen, heizte den Konflikt weiter an.
Gebru und ihre später ebenfalls entlassene Co-Chefin Margaret Mitchell wehren sich in Interviews und Tweets lautstark. Inzwischen haben zahlreiche renommierte KI-Ethik-Forscher Google verlassen: Samy Bengio, Gebrus und Mitchells Chef, wechselte nach 14 Jahren bei Google zu Apple. „Der Schaden für unsere Reputation ist real“, räumte Dean kürzlich ein.
Francoise Brougher strebt aktuell keinen Job mehr im Topmanagement an. „Ich suche nach einem anderen Weg, Einfluss zu nehmen“, sagt sie. Als Aufsichtsrätin oder Beraterin von Start-ups, „um Gründer davor zu bewahren, sich nur mit ihren Freunden zu umgeben“. Brougher glaubt an den Wandel, sie bezeichnet sich als „irrationale Optimistin“.
Bei Pinterest habe sie dieser Optimismus aber in die Irre geführt. Sie habe eine Ahnung von der problematischen Kultur gehabt, aber gedacht, sie könne sie verändern. Heute rate sie jeder Frau, einen Bogen um so ein Unternehmen zu machen. „Es gibt viele Orte, die ernsthaft talentierte Frauen suchen. Geht dahin!“
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