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07.10.2022

11:37

Elon Musk und Twitter

Tesla-Chef bekommt mehr Zeit für Twitter-Übernahme – und plant die Universal-App „X“

Von: Felix Holtermann, Stephan Scheuer

Elon Musk erringt einen Teilsieg vor Gericht: Der Prozess wird ausgesetzt. Sollte er Twitter übernehmen, hat Musk bereits Pläne für das Portal. Das Vorbild seiner avisierten Super-App kommt aus China.

Mit einem geschätzten Vermögen von 240 Milliarden Dollar ist er der reichste Mensch der Welt. IMAGO/ZUMA Wire

Elon Musk

Mit einem geschätzten Vermögen von 240 Milliarden Dollar ist er der reichste Mensch der Welt.

New York, San Francisco Im Streit über einen bevorstehenden Gerichtstermin zur geplanten Twitter-Übernahme durch Elon Musk hat sich der Tesla-Chef gegen den Kurznachrichtendienst durchgesetzt. Die zuständige Richterin im US-Bundesstaat Delaware ordnete an, das Verfahren bis zum 28. Oktober auszusetzen, wie am späten Donnerstagabend aus Gerichtsunterlagen hervorging. Angesetzt war zunächst ein Termin am 17. Oktober.

Der Gerichtstermin ist nötig geworden, da Musk den vereinbarten Deal platzen lassen wollte. Mit dem nachträglichen Verweis auf zu viele gefälschte Nutzerkonten beabsichtigte der 51-Jährige, vom Geschäft zurückzutreten. Das Gegenargument lautet im Grunde, dass er genug Möglichkeiten gehabt habe, die Bücher im Vorfeld zu prüfen.

Gericht trifft Entscheidung zugunsten von Elon Musk im Twitter-Prozess

Die jetzige Entscheidung zugunsten Musks kommt überraschend. Das Gericht hatte sich zuletzt in mehreren Verfahrensschritten im Sinne von Twitter positioniert. In Musks Anwaltsteam hatte das die Sorgen vor einem Scheitern erhöht - weswegen der Milliardär erst Anfang der Woche erklärt hatte, das Portal nach monatelangem Hin und Her doch zum ursprünglich vereinbarten Preis von 44 Milliarden Dollar zu übernehmen.

Nun soll Musk genug Zeit erhalten, die Übernahme außergerichtlich abzuschließen. Musk hatte diesen Schritt beantragt und erklärt, seine finanzierenden Banken arbeiteten gemeinschaftlich daran, den Deal zu sichern. Die Geldinstitute hatten im Frühjahr zu diesem Zweck 13 Milliarden Dollar an Krediten zugesagt.

Das Twitter-Management ist angesichts des Zickzackkurses misstrauisch – und forderte das Gericht in dieser Woche auf, das Verfahren wie geplant am 17. Oktober zu eröffnen. So wollte es den Druck auf Musk aufrechterhalten, den Kauf schnell abzuwickeln. Musks Vorschlag, mehr Zeit einzuplanen, lade zu „weiterem Unfug und Verzögerungen“ ein, teilten Twitters Anwälte mit. Sollten sich die beiden Seiten bis zum 28. Oktober nicht einigen, soll es nach dem Willen der Richterin im November zur Verhandlung kommen.

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Im nachbörslichen Handel sorgte die Entscheidung für Verunsicherung. Die Twitter-Aktie gab auf rund 48 Dollar nach, nachdem sie zuletzt schon bei über 52 Dollar notiert hatte. Der Abstand zum eigentlich vereinbarten Kaufpreis vom 54,20 Dollar zeigt laut Beobachtern, dass der Markt erneut ein Scheitern des Deals einkalkuliert.

Auf Twitter schwieg Musk in der Nacht zum Freitag zu den Vorgängen – und verkündete stattdessen den Produktionsstart bei Teslas Semi-Truck und erste Auslieferungen ab Dezember.

Elon Musks Pläne nach der Twitter-Übernahme: Was hinter der „Alles-App“ steckt

Es dürfte nicht beim Schweigen bleiben. Erst am Dienstag hat Musk einen Ausblick auf seine Pläne für das Portal mit seinen 240 Millionen täglich aktiven Nutzern gegeben. „Der Kauf von Twitter beschleunigt die Erschaffung von X, der Alles-App“, schrieb der Milliardär.

Was er damit konkret meint, hatte Musk bereits im Juni bei einer Fragerunde mit der Twitter-Belegschaft gesagt. „Stellen Sie es sich wie WeChat in China vor, das jetzt großartig ist, aber es gibt kein WeChat-Äquivalent außerhalb von China“, sagte Musk laut einem Bericht des US-Portals Insider. Es gebe nun die Chance, etwas Vergleichbares zu entwickeln.

Der Tesla-Chef führte laut Insider weiter aus: „In China lebt man praktisch auf WeChat, weil es so hilfreich und nützlich für das tägliche Leben ist. Ich denke, wenn wir das mit Twitter erreichen oder auch nur annähernd erreichen, wäre das ein Erfolg.“

WeChat ist eine Universal-App des chinesischen Technologiekonzern Tencent. Firmengründer Ma Huateng, besser bekannt als Pony Ma, hatte WeChat als Kopie des Messenger-Dienstes WhatsApp 2011 entwickeln lassen. Zunächst sah es so aus, als könne der chinesische Klon das US-Vorbild nicht einholen. Im Jahr 2014 versuchte Ma sogar, WhatsApp zu kaufen. Letztlich kam ihm jedoch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zuvor und übernahm WhatsApp für 19 Milliarden Dollar.

Ma nutzte den Rückschlag, um WeChat selbst zu einer ultimativen App für den chinesischen Markt auszubauen. Das zahlte sich aus. Ganze fünf Jahre vor WhatsApp führte WeChat bereits die Möglichkeit ein, Audio- und Videoanrufe zu führen. Zudem wurde WeChat um eine Bezahlfunktion erweitert. Heute ist mobiles Bezahlen in China so weit verbreitet, dass sich kaum noch mit Bargeld bezahlen lässt.

Ein weiterer Erfolgsfaktor von WeChat war nicht nur das frühe Ausrollen von neuen Funktionen, sondern der Aufbau der Anwendung als Plattform für Drittanbieter. Reiseunternehmen lassen ihre Kunden per WeChat den nächsten Trip planen, wickeln die Abrechnung ab und verschicken QR-Codes, um die Türen zum gebuchten Hotel zu öffnen. Medienunternehmen verbreiten ihre Nachrichten per WeChat, geben Nutzern die Möglichkeit, mit Journalisten zu interagieren und an virtuellen Konferenzen teilzunehmen. Selbst ein Scheidungsantrag lässt sich heute per WeChat einreichen.

Bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen schwärmte Ma, in welchen Bereichen WeChat heute dominierend in China ist: „Wir beanspruchen den ersten Platz in den Bereichen soziale Spiele, Langzeitvideos, Nachrichten, Musik, Literatur, Bezahldienste und mobile Browser.“ Insgesamt zählt die Plattform mehr als 1,3 Milliarden monatlich aktive Nutzer. Auch, weil ohne die App im öffentlichen Leben in China kaum etwas geht. Selbst Corona-Nachweise sind an das System, was so gut wie alles über seine Nutzer weiß, gekoppelt.

Elon Musk nimmt sich WeChat zum Vorbild: Erfolg beschränkt sich auf China

Der Erfolg von WeChat hat jedoch einen Haken: Ma ist es bis heute nicht gelungen, außerhalb der Volksrepublik eine größere Nutzerschaft aufzubauen. Peking unterstellt heimische Internetunternehmen einer strengen Kontrolle. Im Falle von WeChat werden Inhalte immer wieder zensiert und Daten von chinesischen Bürgern an die Regierung übermittelt, einschließlich Zahlungsinformationen und Biometrie.

Die App wird von Kritikern als perfektes Instrument zur staatlichen Überwachung bezeichnet. Das führte zu großem Misstrauen gegenüber WeChat im Rest der Welt. In Indien wurde WeChat zwischenzeitlich gesperrt, und der ehemalige US-Präsident Donald Trump diskutierte öffentlich mehrmals über eine Einschränkung oder gar ein Verbot von WeChat.

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Etliche Firmen aus dem Silicon Valley versuchten mehrmals in den vergangenen Jahren, das Erfolgsrezept von WeChat zu kopieren. Bislang ist es jedoch niemandem gelungen. Und das wohl nicht nur, weil außerhalb Chinas kein staatlicher Akteur eine zentralisierte Nutzung einer einzelnen Plattform zulasten der Wettbewerber vorantreibt.

Vor allem Mark Zuckerberg unternahm mehrere Anläufe, um die Funktionsweise von WhatsApp zu erweitern. Allerdings stieß er auf zwei Hürden: Erstens blieben angekündigte Funktionserweiterungen stets begrenzt. Firmen sollen künftig leichter mit Kunden per WhatsApp interagieren können. Mini-Apps von Firmen, wie sie bei WeChat üblich sind, hat der Facebook-Konzern Meta jedoch bis heute nicht mal angekündigt.

Zweitens scheiterte Zuckerberg mehrfach an Regulierungsbehörden. In mehreren Ländern versuchte er, WhatsApp um eine Bezahlfunktion zu erweitern. Ein Pilotversuch in Indien wurde mehrmals unterbrochen und unterliegt bis heute strengen Vorgaben der Aufsichtsbehörden.

Auch Google und Apple versuchten sich daran, WeChat zu kopieren – und scheiterten weitgehend. Googles Antwort auf WeChat, der Messaging-Dienst Allo, wurde nur zwei Jahre nach dem Start eingestellt. Apple hat seinen Nachrichtendienst iMessage weiter ausgebaut und bietet heute einen Mini-App-Store, ähnlich zu den Drittanwendungen bei WeChat. Apple ist jedoch weit von den Dimensionen der Tencent-App entfernt.

Musks Vorliebe für das „X"-Projekt

Zahlreiche Investoren hoffen, dass der Unternehmer Musk erfolgreicher vorgeht – und seine Erfolge mit Raketen und E-Autos bei Twitter wiederholt. Noch ist offen, ob Musk doch einen Ausweg aus dem aus seiner Sicht überteuerten Kaufvertrag für Twitter findet. In den vergangenen Wochen hatte er mehrmals einen Preisnachlass gefordert, wie US-Medien übereinstimmend berichteten.

Sollte es am Ende eine gütliche Einigung auf einen Twitter-Kauf geben, könnte er an seine Frühphase als Firmengründer anknüpfen. Denn das „X“ hat als Name eines möglichen neuen Digitalprodukts in Musks Gedankengebäude eine lange Tradition. Erst im August hatte der Milliardär auf Nachfrage eines Twitter-Nutzers erklärt, sollte die Übernahme nicht zustande kommen, werde er die Gründung einer eigenen sozialen Plattform in Betracht ziehen: X.com.

Elon Musk feierte schon 1999 großen Erfolg mit einem "X"-Projekt

1999 hatte Musk mit den Einnahmen aus dem Verkauf seines ersten Unternehmens, des Online-Stadtführers Zip2, eine Firma unter diesem Namen gegründet. Dahinter verbarg sich ein Onlinebezahlsystem, das die Finanzbranche umkrempeln sollte: Es ermöglichte Geldüberweisungen per E-Mail. 2000 fusionierte X.com mit der Konkurrenzfirma Confinity, die ein ähnliches Produkt entwickelt hatte. Sein Name wurde auf die neue Firma übertragen: Aus X.com wurde Paypal.

Paypal entwickelte sich schnell zum wichtigsten Onlinebezahlverfahren. Ebay kaufte die Firma 2002 für 1,5 Milliarden Dollar. Im Juli 2017 erwarb Musk die Domain X.com von Paypal zurück, aus sentimentalen Gründen, wie er sagte. Ruft man die Domain heute auf, erscheint eine leere Seite mit einem kleinen „x“. Womöglich könnte sich das nach der Twitter-Übernahme ändern.

Erstpublikation: 07.10.22, 09:52 Uhr (zuletzt aktualisiert: 07.10.22, 11.37 Uhr).

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