Wie Cannabis künftig reguliert wird, ist unklar. Trotzdem drängen bereits 90 deutsche Firmen in das Geschäft. Internationale Investoren fördern besonders ein Start-up.
Finn Hänsel und Fabian Friede
Die Gründer des Start-ups Sanity Group sehen großes Potenzial für medizinisches Cannabis.
Bild: Sanity Group/ Norman Posselt
Düsseldorf, Frankfurt Das Berliner Start-up Sanity Group hat im schwierigen Cannabis-Geschäft weitere Investoren gefunden: „Wir können erneut die größte bis heute bekannte Finanzierungsrunde für ein europäisches Cannabis-Start-up verkünden“, sagt Mitgründer Finn Hänsel dem Handelsblatt. Mehr als 36 Millionen Euro bekommt seine Firma von Neu- und Altinvestoren. „Die Finanzierungssituation für Cannabis-Start-ups in Europa ist derzeit schwierig, deshalb ist das ein großer Vertrauensbeweis.“
Insgesamt haben die Gründer Finn Hänsel (39) und Fabian Friede (34) nun etwa 60 Millionen Euro eingesammelt. Damit wollen sie die erst 2018 gegründete Sanity Group zum führenden Cannabisunternehmen in Europa aufbauen. Hänsel spricht von einer „Plattform“, auf der verschiedene Anwendungsfelder exploriert werden sollen. Geplant ist derzeit eine Produktpalette, die von Cannabis-Inhalatoren über die medizinische Therapie bis zu Duschgels, Ölen und Salben reicht, die auf Inhaltsstoffen der Marihuanablüten basieren.
Dabei denken die meisten Menschen bei Cannabis weiter nur an Rauschmittel – und das macht die Sache politisch kompliziert und für Investoren heikel. Noch kann niemand sagen, wie genau Cannabis in Deutschland nach der Bundestagswahl weiter reguliert wird.
Umso wichtiger ist es für Hänsel zu betonen, dass die neue Finanzierungsrunde (Serie A) von Redalpine angeführt wird. Der Schweizer Wagniskapitalgeber ist für Tech-Investments bekannt, tätigt aber mehr als ein Drittel seiner Investments in Life Science und medizinische Geräte.
„Wir glauben, dass die Sanity Group das Thema Cannabis vom kosmetischen bis zum medizinischen Bereich in der gesamten Breite abdecken kann“, sagt Redalpine-Mitgründer Michael Sidler – und gegebenenfalls auch im Bereich Freizeitkonsum, wenn das künftig erlaubt sei.
Seit März 2017 ist Cannabis in Deutschland zur Therapie von schwerwiegenden Erkrankungen erlaubt und kann auf Antrag von den Krankenkassen auch erstattet werden. Außerhalb der medizinischen Anwendung ist der Konsum von Cannabis aber weiterhin verboten.
Die medizinische Wirkung von Cannabis geht vor allem auf die Inhaltsstoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) zurück. THC wirkt berauschend und entspannend, CBD wird eine angstlösende und entspannende, aber auch entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben.
Unter den Neuinvestoren hebt Hänsel auch die beiden US-Kapitalgeber Navy Capital und SOJE Capital hervor: „Es ist ein starkes Signal, dass auch amerikanische Investoren an den europäischen Markt glauben, obwohl sich dieser langsamer entwickelt als in den USA.“ Trotz entsprechend starken Wettbewerbern in den Vereinigten Staaten und auch in Kanada sieht Michael Sidler Platz für einen starken Anbieter aus Europa: „Wir glauben, dass die europäischen Konsumenten und auch der Medizinmarkt hier anders ticken. Die kulturelle Anpassung wird von amerikanischen Firmen oft unterschätzt.“
Neben weiteren Wagniskapitalgebern wie Global Founders Capital, TQ Ventures, Cherry Ventures und HV Capital sind auch Prominente beteiligt. Die Fußballweltmeister Mario Götze und André Schürrle etwa sind als Markenbotschafter für das Unternehmen relevant. Hänsel will zudem weitere Sportprodukte auf den Markt bringen: „Gerade machen wir eine Testreihe, in der wir Entzündungen in Muskeln von Fußballern messen.“
Den überwiegenden Teil des neuen Kapitals will Gründer Hänsel aber in die medizinische Sparte investieren. Gerade baut die Sanity Group bei Frankfurt am Main auf einem ehemaligen Weingut eine Forschungs- und Produktionsstätte auf. Die Cannabisblüten dafür bezieht das Unternehmen aus Portugal, Spanien und Dänemark.
Laut Zahlen des Marktforschungsinstituts Insight Health 2020 wuchs der deutsche Cannabismarkt im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent auf 174,6 Millionen Euro, legt man die knapp 300.000 Verordnungen durch die gesetzlichen Krankenkassen zugrunde.
Marktschätzungen gehen davon aus, dass derzeit mehr als 80.000 Menschen in Deutschland Cannabis für therapeutische Zwecke verordnet bekommen – Privatversicherte und Selbstzahler inklusive. Größter Einsatzbereich sind laut Krankenkassen-Erhebungen chronische Schmerzen, gefolgt von Multipler Sklerose, die häufig mit schmerzhaften Spastiken verbunden ist. Das Potenzial des Marktes ist groß, denn allein die Anzahl der chronischen Schmerzpatienten in Deutschland schätzt die Deutsche Schmerzgesellschaft auf acht bis 16 Millionen.
Um das Geschäft konkurrieren allein in Deutschland bereits 90 Anbieter, die Blüten, Extrakte oder Arzneimittel vertreiben. Auch die deutschen Arzneimittelhersteller Stada und Neuraxpharm haben sich in diesem Jahr in den Markt gewagt.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×