PremiumTrotz Milliardengewinnen und IT-Fachkräftemangel entlassen die Tech-Unternehmen viele Mitarbeiter. Die Gründe sind überraschend vielfältig.
Spotify in Stockholm
Das Unternehmen will künftig mit 600 Mitarbeitern weniger auskommen.
Bild: IMAGO/TT
Düsseldorf Die Technologiebranche feuert so viele Angestellte wie noch nie. In den ersten Wochen 2023 kündigten allein die US-Tech-Firmen rund 60.000 Mitarbeitern, im Vorjahr waren es bereits etwa 160.000. Mit SAP streicht nun auch ein deutsches Softwareunternehmen 3000 Stellen.
Auf den ersten Blick überrascht der Personalabbau, immerhin erzielen die meisten Tech-Unternehmen trotz wirtschaftlich schwierigen Umfelds gute Gewinne. So hat auch SAP im vergangenen Jahr 4,7 Milliarden Euro Gewinn gemacht.
Gleichzeitig klagen Tech-Firmen regelmäßig über die Schwierigkeiten, geeignete IT-Kräfte wie Entwickler oder Cloud-Spezialisten zu bekommen. Warum also entlassen die Unternehmen so viele Angestellte? Die Antworten zeigen eine komplexe Realität.
Die Technologiebranche wuchs in der Coronapandemie enorm: Die Menschen verbrachten viel mehr Zeit zu Hause, abonnierten für die Abendunterhaltung mehr Streamingdienste, kauften mehr Videospiele, Konsolen und andere Unterhaltungselektronik – und das meist bei Onlinehändlern.
Viele Unternehmen mussten zudem ihre IT-Infrastruktur erweitern und wechselten dazu von eigenen Servern in die Cloud, was das Geschäft von Anbietern wie AWS von Amazon, Azure von Microsoft und Google Cloud antrieb.
Die historisch wachsenden Konzerne bauten ebenso historisch Personal auf. Facebook-Mutter Meta und Amazon verdoppelten ihre Belegschaft während der Pandemie, Microsoft und Google vergrößerten ihre Angestelltenzahl um die Hälfte.
Auch SAP stellte im Laufe der Pandemie mehr als 11.000 neue Mitarbeitende ein. Analyst Dan Ives von Wedbush sagt, viele Unternehmen hätten „Geld ausgegeben wie Rockstars in den Achtzigerjahren“.
>> Lesen Sie hier: Die Restrukturierung bei SAP ist richtig – ein Kommentar
Als die Auswirkungen der Pandemie und der Gegenmaßnahmen weniger spürbar wurden, wuchs die Technologiebranche langsamer. Damit hatten die Chefs nicht gerechnet. „Im Nachhinein weiß ich, dass ich im Vergleich zum Umsatzwachstum zu ambitioniert investiert habe“, sagt Daniel Ek, Chef von Spotify, der jetzt mit 600 Mitarbeitern sechs Prozent der Belegschaft entlässt.
Das Problem gibt es bei schnell wachsenden Start-ups häufiger: Sie stellen in Wachstumsphasen mehr Mitarbeiter ein, um auf weiteres Wachstum vorbereitet zu sein. Stagniert die Entwicklung, werden die zusätzlichen Angestellten zum unnötigen Kostenfaktor und müssen gehen.
Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels im für die Technologiebranche wichtigen IT-Bereich sind die Entlassungen dennoch verwunderlich. Allein in Deutschland fehlten im vergangenen November laut Branchenverband Bitkom 137.000 IT-Experten, offene Stellen blieben im Schnitt sieben Monate unbesetzt. Durch den demografischen Wandel dürfte die Zahl langfristig noch steigen.
Außerdem sind Abfindungen nicht nur finanziell teuer. Auch die Motivation und Moral der verbleibenden Mitarbeiter sinkt. Jeffrey Pfeffer von der Universität Stanford verweist auf „ausführliche Belege“ der Wissenschaft. Demnach performten Unternehmen nach Krisen besser, wenn sie niemanden entlassen hatten.
Für die Massenentlassungen in der Tech-Branche bringt Pfeffer als Grund die „soziale Ansteckung“ ins Spiel. „Die Unternehmen imitieren sich gegenseitig“, sagte der Professor in einem Interview mit der Universitätszeitung „Stanford News“.
Er habe mit Managern gesprochen, die gewusst hätten, dass die Entlassungen dem Unternehmen schadeten. Doch die Aufsichtsräte sähen die Entlassungen bei anderen Unternehmen und forderten auch im eigenen Unternehmen Maßnahmen.
Denn die Aufsichtsräte stehen selbst unter Druck. Die Aktienkurse vieler Tech-Unternehmen sind im Keller, Investoren entsprechend unzufrieden. So lobte Hedgefonds-Manager Christopher Hohn Google-Chef Sundar Pichai für den Rauswurf von 12.000 Angestellten als „richtigen Schritt“, auch wenn er seiner Ansicht nach fast dreimal so viele hätte entlassen sollen.
Die Vorstände reagieren auf die Krise, sortieren aus und konzentrieren sich auf das Kerngeschäft. Microsoft verkleinert die eigene Metaverse-Sparte deutlich, baut in Wachstumsfeldern wie der Künstlichen Intelligenz allerdings Personal auf. Auch SAP stärkt das Geschäft mit betriebswirtschaftlicher Software und kürzt dafür bei Programmen für Marketing und Vertrieb.
Dabei ist es wegen der immer stärkeren Spezialisierung der Berufe oft nicht einfach, Mitarbeitende für einen neuen Beruf umzuschulen. Die Kenntnisse eines Cloud-Ingenieurs sind nicht mit denen eines Entwicklers zu vergleichen.
Zudem nutzen Unternehmen Kündigungswellen immer wieder, um ältere Mitarbeitende loszuwerden, die meist besser verdienen als ihre jungen Kollegen. Einige Kündigungen könnten auch eine Reaktion auf die stark gestiegenen Gehälter in der IT-Branche in den vergangenen Jahren sein.
Erstpublikation: 26.01.22, 17:39 Uhr.
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