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22.12.2022

16:42

Gründer

Start-up-Ausblick für 2023: Kaum Börsengänge, fallende Firmenbewertungen, mehr Insolvenzen

Von: Nadine Schimroszik

Vom Rekordjahr 2021 ist die Gründerszene inzwischen weit entfernt. Experten sehen eine Insolvenzwelle kommen – und die Wirtschaftlichkeit von Gechäftsmodellen auf dem Prüfstand.

Krisenzeiten bergen Chancen für Neugründungen. Aber gerade etwas ältere Start-ups müssen um ihre Finanzierung bangen. Maskot/Getty Images

Büroräume eines Start-ups

Krisenzeiten bergen Chancen für Neugründungen. Aber gerade etwas ältere Start-ups müssen um ihre Finanzierung bangen.

Berlin Die Start-up-Branche hat noch 2021 ein Rekordjahr gefeiert. Nun, Ende 2022, sieht die Lage ganz anders aus. Die Zinswende, der Ukrainekrieg, die anhaltend hohe Inflation und die weltweite Wirtschaftsschwäche sorgen für Zurückhaltung aufseiten der Wagniskapitalgeber. Die Investoren schrecken vor riskanten und teuren Geschäftsmodellen mehrheitlich zurück.

Im noch laufenden Jahr brach der Finanzierungsmarkt drastisch ein. Laut Berechnungen des Datendienstleisters Refinitiv für das Handelsblatt steckten Wagniskapitalgeber von Januar bis November rund acht Milliarden Euro in deutsche Start-ups. Im gesamten Vorjahr war die Summe noch fast doppelt so hoch. Damit haben vielversprechende Start-ups weiterhin gute Chancen, neue Finanzierungsrunden zu stemmen.

Die Prognosen zeigen: Daran wird sich auch 2023 nichts ändern. Allerdings wird dieser Status quo mehr Start-ups in Bedrängnis bringen. Wer bereits dieses Jahr kein frisches Geld einsammeln konnte, bei dem dürfte es im kommenden Jahr knapp werden.

Das trifft vor allem die Gründungen, deren wirtschaftliches Überleben maßgeblich von Finanzierungen abhängt. „Unternehmen, die rezessionsanfällig sind oder kein langfristig funktionierendes und sich selbst tragendes Geschäftsmodell haben, bekommen massive Probleme“, sagt Julian Riedlbauer, Partner bei der M&A-Beratungsgesellschaft GP Bullhound. „Wir werden bei diesen Firmen viel mehr Notverkäufe und auch Insolvenzen sehen.“

Die Übernahme des Berliner Schnelllieferdienstes Gorillas durch Getir aus der Türkei sowie die Pleite des Krypto-Start-ups Nuri dürften demnach nur den Anfang einer Welle darstellen.

Dessen ist sich auch Kai Hesselmann sicher, Mitgründer des M&A-Beratungs-Start-ups Dealcircle. Während der Pandemie sei ständig eine Insolvenzwelle erwartet worden, die letztlich nie kam, sagt der Berater: „Aber das ändert sich jetzt, und die Entwicklung wird sich im nächsten Jahr sicherlich noch verstärken – auch wegen der gestiegenen Energiepreise.“

Aktuell versuchen die meisten Start-ups, ihre Kosten zu senken: Sie entlassen Mitarbeiter, reduzieren ihre Marketingausgaben oder verschlanken ihr Angebot. Damit strecken sie den Zeitraum, mit dem sie mit den bereits eingesammelten Geldern über die Runden kommen. Doch diese Möglichkeiten sind endlich. Nach Jahren breiter Investitionen in den Markt gilt plötzlich: Wer nicht profitabel ist, dem geht das Geld aus.

Schwierig dürfte es vor allem für die Start-ups werden, die bereits länger am Markt sind, aber trotz vergleichsweise hoher Finanzierungsrunden nie in die Nähe der Gewinnzone kamen. Sie benötigen in der Regel mehr Kapital als Start-ups, die erst gegründet wurden, und ihre Firmenbewertung ist stärker abhängig vom Börsengeschehen.

„Wir werden gerade im Later-Stage-Bereich im nächsten Jahr Insolvenzen sehen“, sagt Gerhard Wacker, Rechtsanwalt bei der Unternehmensberatung PwC. Nach Gorillas und dem Kräuteranbau-Start-up Infarm könnten in Deutschland noch andere Einhörner – Jungunternehmen mit einer Firmenbewertung von mehr als einer Milliarde Dollar – Probleme bekommen.

Summen beim Wagniskapital weit entfernt von Rekorden

„2023 wird das Jahr der Auslese“, ist sich Riedlbauer sicher. „Die Zeiten der sehr hohen und teilweise völlig überzogenen Bewertungen aus dem Jahr 2021 sind nächstes Jahr sowie in absehbarer Zukunft vorbei.“ Als Beispiel kann hier erneut die Übernahme von Gorillas durch Getir herhalten: Im Rahmen der Akquisition halbierte sich der Wert des fusionierten Unternehmens auf sieben Milliarden Dollar.

Europa-Analyst Nicolas Moura vom Datenanbieter Pitchbook formuliert es etwas anders: Er rechnet mit einem „gesunden Niveau“ auf dem Wagniskapitalmarkt, der sich sogar irgendwo zwischen 2021 und 2022 einpendeln könne.

Moura geht sogar davon aus, dass in der zweiten Jahreshälfte wieder mehr Deals geschlossen werden. Davon dürften vor allem Start-ups in frühen Unternehmensphasen profitieren. Diese Einschätzung bestätigt Gerhard Wacker: „Diese funktionieren nach unserem Eindruck weiterhin vernünftig, vielleicht zu etwas niedrigeren Bewertungen.“

Er verweist in diesem Zusammenhang auf die hohen Geldreserven der Wagniskapitalgeber, deren Investoren angesichts des langjährigen Nullzinsniveaus nach attraktiven Anlagemöglichkeiten suchten: „Auch in Deutschland wurde zuletzt eine Reihe neuer Fonds initiiert.“

Krisenjahre? Ein gutes Umfeld für Neugründungen

So haben unter anderem Speedinvest oder EQT frische Fonds aufgelegt, um in der Krise zu investieren. Davon wurde noch nicht viel ausgegeben, weswegen die Geldreserven in Europa laut Pitchbook den Rekordwert von 60 Milliarden Euro erreicht haben.

Letztlich dürfte dieses Geld nicht nur in neue Finanzierungsrunden wandern, sondern auch in die Konsolidierung der Branche. Börsengänge – die bevorzugte Ausstiegsvariante der Geldgeber – werde es auch 2023 zumindest im Technologiebereich kaum geben. Dafür sorgten Inflation, Krieg und niedrige Bewertungen, sagt Riedlbauer.

In diesem Jahr wagten in der Tech-Branche in Europa nur zwei Firmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar den Gang an die Börse. Ein erster Test für die Aufnahmebereitschaft des Marktes 2023 könnte nach Einschätzung von Experten das Listing des Cloud-Anbieters Ionos werden.

Schwierige wirtschaftliche Zeiten gelten allerdings auch als Innovationsmotor und Wegbereiter für Neuerungen. Davon zeugt der Erfolg von Firmen wie Uber, WhatsApp oder Airbnb, die alle auf dem Höhepunkt der Finanzkrise entstanden sind.

Hesselmann ist zuversichtlich, dass ähnliche Erfolge auch jetzt zustande kommen könnten: „Krisenjahre sind ein gutes Umfeld für Neugründungen. Viele VC-finanzierte Unternehmen müssen ihre Kosten reduzieren, entlassen Leute, und die ehemaligen Mitarbeiter gründen wieder.“  

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