Die Autokonzerne streichen ihre Produktionspläne erneut zusammen – das alarmiert sogar US-Präsident Joe Biden. Entspannung ist nicht in Sicht.
Halbleiter-Produktion
Der Autoindustrie drohen Umsatzeinbußen in Höhe von 210 Milliarden US-Dollar.
Bild: obs
München Keine Chips, keine Fahrzeuge: Für die Autohersteller werden die Lieferengpässe elektronischer Bauteile immer bedrohlicher. Alix Partners schätzt, dass den Konzernen dieses Jahr deshalb 210 Milliarden Dollar Umsatz entgehen. Die Marken müssten ihre ursprünglichen Produktionspläne um 7,7 Millionen Einheiten reduzieren, teilte die Beratungsgesellschaft am Donnerstag mit. Im Mai hatte Alix Partners noch mit lediglich 3,9 Millionen Autos kalkuliert, die nicht gebaut werden können. Die Produktionskapazitäten der Chipanbieter hätten sich nicht wie erwartet erholt, begründet Alix Partners die düstere Prognose.
Die Engpässe rufen nun auch US-Präsident Joe Biden auf den Plan. Am Donnerstag trafen sich Spitzenvertreter des US-Präsidialamts und führender Industriekonzerne virtuell, um über die Halbleiterkrise zu beraten. Mit dabei war unter anderem Pat Gelsinger, der Chef von Intel, des weltgrößten Halbleiterherstellers.
An der Videokonferenz waren amerikanischen Medienberichten zufolge auch Apple, Microsoft, Samsung, Micron und der weltgrößte Chip-Auftragsfertiger TSMC beteiligt. Von den Autobauern nahmen demnach BMW, General Motors, Ford und die Opel-Mutter Stellantis teil. Es war bereits das dritte Treffen dieser Art seit dem Amtspantritt Bidens im Januar.
Die amerikanische Regierung fordert von den Firmen unter anderem einen besseren Einblick in die gesamte Lieferkette, um künftig Unterbrechungen zu vermeiden. Sie gaben den Unternehmen - Produzenten, Konsumenten und Zwischenhändlern von Halbleitern - 45 Tage Zeit, um ihre Informationen über Lagerbestände, Nachfrage und die Dynamik der Verteilung mit der Regierung zu teilen. "Ziel dieser Informationsanfrage ist es, Engpässe zu verstehen und zu versuchen sie zu quantifizieren", teilte das Weiße Haus mit.
Seit Monaten stehen in Autowerken immer wieder die Bänder still, weil die Bauteile fehlen. Die großen Marken könnten das zum Teil mit höheren Fahrzeugpreisen kompensieren, meint Marcus Kleinfeld, Partner von Alix Partners. Die Zulieferer hingegen würden sich damit schwerer tun „und sind nach unserer Einschätzung noch mehr vom Chipmangel betroffen“.
Das zeigte sich am Donnerstag: Mit Faurecia und Hella senkten zwei namhafte Autozulieferer wegen der Chipkrise ihre Prognose. Der französische Konzern Faurecia erwartet nun für 2021 einen Umsatz von 15,5 Milliarden Euro, eine Milliarde weniger als bisher. Zudem rechnet das Unternehmen mit einer operativen Marge von lediglich rund sechs Prozent anstatt der zuvor erwarteten sieben Prozent.
Der kürzlich von Faurecia übernommene deutsche Wettbewerber Hella geht jetzt von Erlösen von maximal 6,5 Milliarden Euro aus, 400 Millionen weniger als bisher. Die operative Marge werde im besten Fall sieben statt acht Prozent erreichen.
Am Mittwoch hatte bereits die VW-Lastwagentochter Traton Alarm geschlagen. Die Lkw-Verkaufszahlen würden bis zum Jahresende hinter den Erwartungen zurückbleiben. Schon heute zeichne sich ab, dass auch das Jahr 2022 alles andere als einfach werde.
Die Produktionskapazitäten in der Chipbranche sind voll ausgelastet, vor allem die Auftragsfertiger kommen nicht hinterher mit den Bestellungen. Diese, im Branchejargon als Foundries bekannten Konzerne, übernehmen die Fertigung in bestimmten Bereichen für die führenden Anbieter von Autochips, also für Infineon, NXP und andere.
Die Foundries teilen ihren Kunden, also den Chipherstellern, derzeit im Wochenrhythmus mit, wie viel sie liefern können. Diese entscheiden daraufhin kurzfristig, was gefertigt werden soll. Die Halbleiter stehen dann in etwa 14 bis 25 Wochen zur Verfügung. Doch auch diese Lieferfrist lässt sich nicht immer halten. Derzeit seien Test- und Verpackungskapazitäten und auch wichtige Chemikalien in Malaysia knapp, warnt Peter Fintl, Halbleiterexperte von Capgemini. Die Chipindustrie musste einige Werke in dem Land wegen der Pandemie zuletzt zum Teil wochenlang schließen.
Fintl: „Die Automobilkunden sind nun dabei, sich direkt mit den Auftragsfertigern zu vernetzen, um die tatsächlichen Bedarfe bekanntzumachen.“ Im Klartext: Die Autokonzerne machen Druck bei den Foundries TSMC, Samsung und Globalfoundries.
Bislang haben Autohersteller und die Halbleiterproduzenten kaum miteinander geredet. Die Bauelemente haben in der Regel die Autozulieferer beschafft. Das ändert sich gerade. Beispiel General Motors: Der US-Konzern baue „direkte Beziehungen“ zu den Chipfirmen auf, sagte Vorstandschefin Mary Barra. Die Überlegung dahinter: Wenn die Automarken fixe Abnahmegarantien abgeben, können sie im Gegenzug auf verlässliche Lieferung hoffen.
Auch die eigenen Fabriken der Autochipspezialisten sind unterdessen am Limit. „Die Kunden reißen uns die Chips aus der Hand“, sagte der Produktionsvorstand von Infineon, Jochen Hanebeck. Der größte Flaschenhals seien aber die Foundries. Dass sich die Lage schnell entspannt, sei nicht zu erwarten. „Die Knappheit reicht bis ins nächste Jahr.“
Davon geht auch Berater Fintl aus: „Die Autoindustrie hat einen signifikanten Nachholbedarf, denn derzeit werden margenstarke Fahrzeuge in der Produktion klar bevorzugt, und viele Flottenkunden müssen warten.“
Dazu kommt: Auch andere Industrien gieren nach den Bauteilen. Auslöser ist der Digitalisierungsschub, den die Pandemie befeuert hat. Er ging einher mit geringeren Investitionen der Chiphersteller, die vergangenes Jahr zunächst auf die Bremse traten.
Der Chip-Branchenverband World Semiconductor Trade Statistics rechnet damit, dass der Umsatz dieses Jahr weltweit um ein Viertel auf 551 Milliarden Dollar in die Höhe schießen wird. Für das kommende Jahr erwartet der Zusammenschluss ein weiteres Plus von zehn Prozent.
Der Boom bei PCs und Notebooks dürfte in den nächsten Monaten zwar abflauen. Mobilgeräte und Unterhaltungselektronik indes werden nach Ansicht von Fintl weiter stark nachgefragt. Das trifft die Autoproduzenten. Denn in die Infotainmentsysteme ihrer Fahrzeuge werden ähnliche Chips eingebaut, wie sie etwa Smartphone-Anbieter benötigen. Diese nehmen bei den Auftragsfertigern aber viel größere Mengen ab.
Darüber hinaus klettern die Preise für Autochips. „Wir haben deutlich steigende Kosten, das müssen wir an die Kunden weitergeben“, sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss vergangene Woche.
Analysten sagen nun eine Welle schlechter Nachrichten aus der Autobranche voraus. „Die Prognosesenkung von Hella ist der Auftakt für weitere Prognoseverschlechterungen anderer Branchenunternehmen“, fürchtet Frank Schwope, Automobilexperte der NordLB.
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