Infarm kündigt 500 Mitarbeitern. Das Gewächshaus-Start-up will 2023 profitabel werden, doch höhere Energiekosten und eine geringere Nachfrage setzen der Firma zu.
Gewächshäuser von Infarm
Noch im vergangenen Dezember wurde das Unternehmen als erstes deutsches Foodtech-Start-up mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet.
Bild: imago images/IP3press
Berlin/Frankfurt Das Berliner Foodtech-Start-up Infarm trennt sich von mehr als der Hälfte seiner Belegschaft. Firmenchef Erez Galonska gab am Montag auf einer Mitarbeiterversammlung bekannt, rund 500 Mitarbeitende zu entlassen. „Das ist die schwierigste Entscheidung, die ich je als Firmenchef treffen musste“, sagte Galonska und begründete den Schritt mit der schwierigen Finanzierungssituation an den Kapitalmärkten.
Eine von einem Teilnehmer aufgezeichnete Tonaufnahme der Veranstaltung lag dem Handelsblatt vor. Dem Mitarbeiter zufolge arbeiten aktuell noch 950 Menschen für das Unternehmen. Bei einigen seien auch die Visa an den Job gebunden, sagte der Mitarbeiter.
Galonska machte klar, dass sich nun alles darum drehe, im kommenden Jahr profitabel zu werden. Dafür müsse das Unternehmen sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die Geschäfte in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden würden zurückgefahren, auch aus Seattle und Texas ziehe sich Infarm zurück.
Das Unternehmen werde sich auf die Gewächshauszentren in Kopenhagen, Frankfurt und Toronto konzentrieren und Baltimore noch eröffnen. In diesen Kernmärkten verfüge Infarm über starke Verträge und enge Verbindungen zu Kunden. In Japan stünden die Operationen auf dem Prüfstand. Infarm bestätigte am Abend in einer Pressemitteilung die Entlassungen sowie die strategischen Schritte in den einzelnen Ländern. Bereits im Sommer mussten rund 50 Leute die Firma verlassen.
Es ist bereits seit Längerem bekannt, dass das Start-up Probleme hat. Die steigenden Kapitalkosten erschweren es Supermärkten, die Gewächsschränke vorzufinanzieren. Die steigenden Energiepreise erhöhen zugleich deren Betriebskosten. Zudem gehören die Kräuter und Gemüse, die Infarm züchtet, zu den Premiumprodukten. Galonska führte zudem noch gestiegene Materialkosten und Lieferschwierigkeiten an.
Noch im vergangenen Dezember wurde Infarm als erstes deutsches Foodtech-Start-up mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet und gehört damit zu den sogenannten Einhörnern in Deutschland. Finanzkreisen zufolge ist eine Rettungsfinanzierungsrunde geplant, die von der Qatar Investment Authority angeführt wird.
Infarm-Firmenchef Erez Galonska
Galonska gab am Montag bekannt, dass rund 500 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen.
Bild: Infarm
Die klassischen Risikokapitalinvestoren hätten wenig Appetit verspürt, sich zusätzlich bei Infarm zu engagieren, hieß es. Einer mit der Angelegenheit vertrauten Personen zufolge soll das Unternehmen im Zuge der Finanzierungsrunde mehr als 50 Millionen Euro bekommen, wobei die Bewertung unter der vor einem Jahr erreichten eine Milliarde Dollar liegen soll.
>> Lesen Sie dazu auch: Milliarden-Bewertung, aber Mini-Geschäft: Start-up Infarm musste Umsatzrückgänge hinnehmen
Infarm züchtet in vertikalen Farmen etwa Salat, Basilikum und Pilze und vertreibt sie über Handelspartner wie Aldi, Kaufland und Metro. Das Geschäftsmodell soll Lieferwege verkürzen, Preise senken und den CO2-Fußabdruck der Lebensmittelproduktion senken.
Infarm setzte lange auf starkes Wachstum und expandierte in viele Länder, darunter auch die USA. Profitabel waren die Berliner noch nie. 2020 setzte Infarm nach eigenen Angaben 5,2 Millionen Euro um und machte dabei einen Verlust von 48 Millionen Euro.
Anzeichen für eine Profitabilitätswende gab es seither nicht: Am Jahresende 2021 stand nach Handelsblatt-Informationen ein Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von minus 67 Millionen Euro in der Bilanz. Galonska deutete in seiner Ansprache Probleme an, eine neue Finanzierungsrunde gestemmt zu bekommen. Es sei aktuell sehr schwierig, Geld einzusammeln.
Infarm wurde 2013 von den Brüdern Erez und Guy Galonska sowie Mitgründerin Osnat Michaeli gegründet. Die Unternehmer stammen ursprünglich aus Israel, wohnten in dieser Zeit aber in Berlin. Zu den aktuellen Anteilseignern zählen neben den Berliner Wagniskapitalinvestoren Cherry Ventures, Foodlabs und dem auf Nachhaltigkeit spezialisierten Aenu-Fonds mehrere internationale Geldgeber wie Atomico und Balderton aus London, Hanaco aus New York und Tel Aviv und der katarische Staatsfonds QIA.
Angesichts der steigenden Zinsen, schwacher Aktienkurse von Technologiewerten und der weltweiten Wirtschaftskrise nimmt die Zahl der Entlassungen in der Technologiebranche rund um den Globus zu. Zuletzt sorgte vor allem der Stellenabbau beim Facebook-Eigner Meta und beim Kurznachrichtendienst Twitter für Schlagzeilen.
Erstpublikation am 28.11.22, um 16:53 Uhr.
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