Schlechte Ergebnisse zeigen, dass der große Halbleiterboom zu Ende geht. Einige Investoren wetten allerdings bereits auf den nächsten Aufschwung.
Nvidia-Chef Jensen Huang
Der wertvollste Chipkonzern der Welt hat seine eigenen Ziele verfehlt.
Bild: Reuters
München Das Geschäft der Halbleiterhersteller schrumpft: Im Juni ist der Umsatz der Branche zum ersten Mal überhaupt gesunken, und zwar um knapp zwei Prozent gegenüber Mai. „Außergewöhnlich“ sei das, urteilen die Marktbeobachter von IC Insights. Normalerweise sei der Juni einer der stärksten Monate des Jahres, in dieser Zeit ordern die Kunden für das Weihnachtsgeschäft.
Die Investoren aber fassen bereits neuen Mut. Sie ignorieren die schwachen Prognosen von führenden Konzernen wie Nvidia und Micron. Die Kurse der Halbleiteraktien sind in den vergangenen vier Wochen geklettert. Mehr noch: Analysten rechnen damit, dass ein Kurseinbruch trotz der düsteren Aussichten ausbleibt.
Beispiel Nvidia: Der wertvollste Chipkonzern der Welt hat seine eigene Umsatzprognose im jüngsten Quartal, das am 31. Juli endete, deutlich verfehlt. Vorstandschef Jensen Huang präsentierte kürzlich Erlöse von lediglich 6,7 Milliarden Dollar, 1,4 Milliarden weniger als zuvor angekündigt.
Die schlechte Nachricht ließ den Aktienkurs aber nur kurz absacken. In den vergangenen vier Wochen haben die Papiere rund zehn Prozent an Wert gewonnen. Zwar haben viele Analysten ihr Kursziel zuletzt deutlich gesenkt. Kein Banker aber rät, die Titel abzustoßen.
Im Schnitt geht die Wall Street davon aus, dass der Nvidia-Kurs binnen Jahresfrist um gut ein Fünftel zulegt. Dabei warnt Konzernchef Huang ausdrücklich vor weiteren Turbulenzen im Kerngeschäft mit Grafikkarten für Spielecomputer.
„Wir glauben, dass Nvidia vor einigen herausfordernden Quartalen steht“, urteilen die Analysten von Morningstar. Langfristig orientierte Anleger könnten trotzdem über einen Einstieg nachdenken. Denn das Geschäft mit Prozessoren für Rechenzentren sei robust, trotz des weltwirtschaftlichen Gegenwinds.
Beispiel Micron: Der viertgrößte Halbleiterhersteller der Welt fürchtet, dass Umsatz und Marge im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahrs, es beginnt im September, „signifikant“ sinken. Im laufenden Quartal würden die Erlöse lediglich knapp an die Prognose von 7,2 Milliarden Dollar herankommen – und damit deutlich unter den 8,3 Milliarden Dollar des Vorjahres liegen.
Grund dafür, so der Speicherchip-Spezialist aus den USA, sei das schwache PC-Geschäft. Die Gewinnwarnung vergangene Woche allerdings ließ die Anleger weitgehend kalt. Der Kurs ist seither nur leicht gefallen.
Nvidia und Micron sind keine Ausnahmen: Der Philadelphia Semiconductor Index der wichtigsten in den USA notierten Halbleiteranbieter gewann binnen Monatsfrist knapp zehn Prozent. Damit haben sich die Hightech-Papiere, ungeachtet aller Hiobsbotschaften, in etwa gleich gut geschlagen wie der breit gefasste S&P-500-Index.
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Im Vergleich zu den Höchstständen im vergangenen Herbst sind die Chipaktien jetzt jedoch günstig. So hat sich der Kurs von Nvidia trotz der jüngsten Gegenbewegung fast halbiert. Damals wurde der Konzern aus Kalifornien etwa mit dem 70-Fachen des zu erwartenden Gewinns bewertet. Inzwischen beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis knapp 50.
Besonders gut abgeschnitten haben an der Börse in jüngster Zeit jene Chipwerte, die anders als Nvidia und Micron nach wie vor vom Halbleiterboom profitieren. Denn das Geschäft mit Autochips oder Bauteilen für die Industrie läuft weiter rund, die Fabriken sind voll ausgelastet.
So kommt es, dass die Papiere von Infineon in den vergangenen vier Wochen rund 13 Prozent zugelegt haben. Zwischenzeitlich lagen die Aktien sogar gut ein Fünftel im Plus. Die optimistischsten Analysten gehen davon aus, dass die im Dax notierten Papiere binnen Jahresfrist mehr als die Hälfte an Wert gewinnen werden.
Der Rekordauftragsbestand unterstreiche die gute Nachfragesituation und gebe Rückenwind für das Schlussquartal und auch für das kommende Geschäftsjahr, urteilt die DZ Bank. Das neue Geschäftsjahr beginnt am 1. Oktober.
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Die Münchener würden vom steigenden Chipbedarf für Elektroautos profitierten, so die Analysten von Morningstar. Die Aussichten seien „glänzend“ und die Anteilsscheine unterbewertet. Infineon-Chef Jochen Hanebeck sprach mit Blick auf Ukrainekrieg, Inflation und Taiwan-Konflikt unlängst zwar von einer „schwierigen Großwetterlage“. Nach wie vor übersteige die Nachfrage aber vielfach das Angebot: „Lieferengpässe sind weitverbreitet“, warnte der Manager.
Janardan Menon vom Analysehaus Jefferies indes warnt: Viele Unternehmen würden wegen des langen Chipmangels mittlerweile die Elektronikbauteile horten. Ab dem Schlussquartal könnte daher ein Lagerbestandsabbau drohen, der die Chipnachfrage belasten würde. Und die Berechenbarkeit des Geschäftsverlaufs bleibe schlecht – trotz zuletzt guter Zahlen von Infineon.
Tatsächlich werden die Marktforscher zunehmend skeptisch. So haben die Experten von Gartner ihre Branchenprognose bereits Anfang des Monats auf gut sieben Prozent Umsatzwachstum halbiert. „Der Markt kühlt sich ab“, sagte Gartner-Analyst Richard Gordon. Und auch diese Vorhersage könnte noch zu hoch gegriffen sein. Denn die Chipproduktion in China schrumpfte Behördenangaben zufolge im Juli um 17 Prozent.
Dazu kommt, dass wichtige Märkte regelrecht einbrechen. So haben die Smartphoneproduzenten im zweiten Quartal neun Prozent weniger Geräte ausgeliefert. Der Ausstoß der PC-Hersteller ist im selben Zeitraum um elf Prozent zurückgegangen, so die Marktbeobachter von Counterpoint.
Dennoch sind die Analysten von Morningstar überzeugt, dass der ganz große Einbruch in der Chipbranche ausbleibt. „Die Halbleiterindustrie ist nicht mehr so zyklisch wie in der Vergangenheit“, meint Analyst Abhinav Davuluri. Weil inzwischen fast alle elektrischen Geräte mit dem Internet verbunden würden, entstehe ein gewaltiger Bedarf an Chips.
„Wenn einige Märkte abflachen, wachsen dafür andere“, sagt Davuluri. Das sorge für ausgeglichenere Ergebnisse der Hersteller – und auch für geringere Ausschläge auf dem Parkett.
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