Seit Jahren leiden deutsche Mobilfunkkunden unter miesen Netzen – auch weil manche Funklöcher wirtschaftlich Sinn ergeben. Neue Technologien und Projekte versprechen jetzt Besserung.
Suche nach dem Netz
Hamburg, Mailand „Hallo? Sind Sie noch dran?“ Sprachfetzen wie diese sind in Deutschland alltäglich, Telefonieren im Zug ist oft unangenehm oder gar unmöglich. Auch auf eine zuverlässige Internetverbindung können sich Geschäftsreisende selbst in Großstädten nicht verlassen. Statt zu fluchen, würden manche Bahnfahrer wohl Stoßgebete gen Driton Emini schicken, wenn sie um den Telekommunikationsingenieur und seine Mission wüssten.
Emini ist bei der Deutschen Telekom für den „Schwarzen Schäferhund“ verantwortlich. Hinter dem merkwürdigen Namen steht ein Projekt, in das Millionen Euro fließen: Bis 2026 will die Telekom endlich alle Bahnstrecken in Deutschland mit schnellem Mobilfunk versorgt haben. Und zwar nicht fleckig wie ein Dalmatiner, sondern „lückenlos“ wie das Fell eines Schäferhunds. So stellt sich Namensgeber Emini das jedenfalls vor.
Es fehlen allerdings Grundstücke, um alle Löcher zu stopfen und weitere Funktürme aufzustellen. Etwa in Aumühle bei Hamburg, durch das der Schnellzug in Richtung Berlin fährt – die auch für die Wirtschaft wichtige Verbindung zwischen Deutschlands größten Metropolen. Und die Zeit drängt: 2024 sollen die wichtigen ICE- und IC-Strecken netzangebunden sein.
Selbst mit genug Grundstücken wird Emini das neue Highspeed-Ziel von 200 Megabit pro Sekunde nur an die Strecke und in die Tunnel bringen – aber nicht ins Innere der Züge. Dazu muss die Deutsche Bahn mithelfen und die Fensterscheiben ihrer Waggons bearbeiten. Mit einem speziellen Laser sollen Karomuster in die Wärmeisolationsschicht geschnitten werden, damit überhaupt Mobilfunkstrahlen hindurchkommen.
Noch in diesem Jahr plant der Konzern, einen entsprechend bearbeiteten Testzug aufzugleisen. Kurzfristig sollen modernisierte Repeater auf den Zugdächern den Empfang verbessern. Das kafkaeske WLAN-Angebot der Bahn soll so schon bald überflüssig werden.
Zeit wird es. Bis heute ist die Mobilfunkversorgung in Deutschland ein Ärgernis. In der Infrastruktur von Deutscher Telekom, Vodafone und Co. klaffen große und kleine Löcher. Bisweilen ist das Netz zwar da, aber die Kapazität nicht hoch genug, um viele Geräte gleichzeitig mit schnellem Internet zu versorgen.
Doch neue Initiativen und Technologien machen den Kunden nun Hoffnung. So entschlossen wie derzeit hat die Branche den Kampf gegen die Funklöcher wohl nie geführt. Zumal der neue, hyperschnelle Mobilfunkstandard 5G eine noch dichtere Versorgung erfordert, um sein Potenzial voll auszuspielen.
Verantwortlich für die bisherige Misere: ein fataler Dualismus. Nur wenige Kunden sind hierzulande bereit, für ein besseres Netz höhere Monatsgebühren zu bezahlen. Statt um die Wette weiße Löcher zu stopfen, konkurrieren die Anbieter deshalb vor allem beim Preis. Die EU-Regulierung schmälert die Umsätze der Mobilfunkkonzerne zusätzlich, indem sie 2017 zum Beispiel Roaming-Gebühren verboten hat. Im Ausland dürfen den Kunden seitdem keine zusätzlichen Kosten aufgedrückt werden.
So sind die durchschnittlichen Umsätze je Mobilfunkkunde in Deutschland vergleichsweise gering. Mehr als eine dürftige Versorgung rechnete sich vielerorts nicht.
„Der Fluch des Kapitalmarkts“, sagt Roman Friedrich, Partner und Telekomexperte bei der Boston Consulting Group (BCG). Die zähe Bürokratie bremse den Ausbau zusätzlich, da die Genehmigung neuer Antennenstandorte in Deutschland unnötig lange dauere.
So paradox es klingen mag: Betriebswirtschaftlich machen die weißen Flecken also durchaus Sinn. Am Ende war es der zunehmende Druck aus Politik und Wirtschaft, der zum Umdenken geführt hat.
Der Siegeszug des Smartphones hat die Nutzungszeit und Abhängigkeit der Kunden gesteigert – und den Frust bei manch einflussreichem Kunden bis in den Zynismus gesteigert. Die Dinger sollen schließlich immer und überall funktionieren.
Legendär ist bis heute Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaiers Bekenntnis: Er traue sich kaum, im Auto Gespräche mit ausländischen Kollegen zu führen, weil ihm die Verbindungsabbrüche so „peinlich“ seien, sagte er 2018.
Andere Politiker äußerten sich ähnlich. In der Folge schaute die über die Versorgungsauflagen wachende Bundesnetzagentur immer strenger auf die Konzerne. Auch deshalb beobachtet der Telekom-Vorstand die Fortschritte des Schäferhund-Teams genau. Chef Timotheus Höttges hatte das Projekt eigens in seiner jüngsten Hauptversammlungsshow herausgehoben.
Seit Altmaiers Beschwerde hat sich die Abdeckung bereits erheblich verbessert. Telefónica (O2) versorgte damals etwa lediglich 69,1 Prozent des Bundesgebiets mit dem schnellen Mobilfunkstandard LTE. Heute kommt der Konzern laut Bundesnetzagentur auf 84,6 Prozent.
Zufrieden sind damit aber weder Kunden noch Politiker. Projekte wie der „Schwarze Schäferhund“, die auch von Konkurrenten der Telekom aufgelegt wurden, dürften die weißen Flecken in den kommenden Jahren sukzessive schwärzen. Allein Vodafone will bis 2025 rund 7800 Bahnkilometer mit 5G versorgt haben. Auch am Rand von Fernstraßen und Wasserwegen sollen künftig mehr Antennen funken.
Eine tektonische Verschiebung der Branchenarchitektur wirkt im Hintergrund zusätzlich stabilisierend. Noch vor wenigen Jahren galt es in Europa als selbstverständlich, dass Telekomkonzerne nicht nur die Mobilfunkantennen besaßen, sondern auch die Türme, auf denen sie montiert waren.
Diese Zeiten sind vorbei. Die meisten Konzerne haben diesen Teil der Infrastruktur bereits verkauft. Vodafone hat sein Standortnetz etwa als Vantage Towers 2020 an die Börse gebracht. Um die Türme der Telekom, die hierzulande die meisten Masten zählt, feilschen gerade mehrere Bieter.
Einer der Favoriten: der Konzern Cellnex. Er hat sich in Europa zum König der Türme hochgekämpft. Heute vermieten die Spanier 102.000 Standorte auf dem Kontinent.
Das Besondere: Das Unternehmen agiert unabhängig von seinen Kunden, den Mobilfunkanbietern. Anders als etwa bei Vantage nimmt im Hintergrund kein einzelner Telekomkonzern maßgeblich Einfluss.
Das Geschäftsmodell der Spanier kann gerade deshalb den funklochgeplagten Kunden nützen. Weil mehrere Mieter die Türme gleichzeitig finanzieren, wird ein besonders dichtes Netz aus vielen Standorten rentabler. Ineffiziente Parallelstrukturen, wie sie bis heute in Deutschland oft üblich sind, braucht es dagegen nicht mehr.
Die Mobilfunknetze entwickeln sich in dieser Welt ähnlich wie die Bahngleise in vielen Ländern: Netz und Betrieb werden getrennt. Auf Infrastruktur spezialisierte Anbieter wie Cellnex oder American Tower können dank des integrativen Ansatzes ganz andere Versorgungsmodelle möglich machen.
Die Einkaufsstraße Corso Como in Mailand, Mitte Juni. Paolo Gillio führt die Straße hinauf bis zur Piazza Gae Aulenti. Der Mobilfunkexperte von Cellnex Italia zeigt auf die Straßenlaternen, an denen schwarze Kästen montiert sind. Diese sogenannten Small Cells sind kleine Antennen, die Kunden im Nahbereich mit High-Speed-Mobilfunk versorgen.
>> Lesen Sie jetzt auch: Marktführer Cellnex zeigt starkes Interesse an Funkturm-Tochter der Telekom
Die Small Cells ergänzen das konventionelle Netz. Etwa in verschachtelten Gassen oder unter Volllast, wenn Touristen und Einwohner nicht nur in die Bars und Trattorien drängen – sondern sich auch alle gleichzeitig in die Funkzellen einbuchen wollen.
150 Small Cells hat Cellnex allein im Zentrum verteilt. Auftraggeber war die Gemeinde Mailand. „Man kann die Dinger sogar anmalen“, sagt Gillio. Oder sie hinter Tapeten und in Mülleimern verstecken.
In der alten, konventionellen Mobilfunkwelt hätte jeder Provider seine eigenen Zellen montiert. Vier Metallstängel an einer Lampe. Für den stilbewussten Turiner Gillio scheint das schon optisch eine Zumutung zu sein.
Ein neues 13-stöckiges Hotel in der Nähe sowie die Bürohochhäuser von Novartis, Google oder Unicredit an der Piazza hat Cellnex im Auftrag der Besitzer ebenfalls mit seinem System ausgestattet. In der Mailänder Allianz-Zentrale funkt eine Small Cell gar im Hochgeschwindigkeitsaufzug an der Außenfassade.
Bisher waren kontinuierliche Gespräche beim Etagenwechsel unmöglich. Der italienische Cellnex-Konkurrent INWIT konnte sich dafür den gegenüberliegenden Glasturm der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers sichern.
„Bei diesen Projekten müssen die Anbieter schnell sein“, sagt BCG-Berater Friedrich, „es geht letztlich um kleine Monopole.“ Die aber – wie bei Infrastruktur nicht ungewöhnlich – in der Regel nützlich sind.
In Großbritannien gewann Cellnex etwa die lukrative Ausschreibung zur Versorgung der Bahnstrecke London–Brighton. In Paris covern die Spanier neue S-Bahn-Linien. Bei beiden Projekten kommen auch Small Cells zum Einsatz.
>> Lesen Sie außerdem: Deutsche Telekom konkretisiert Verkauf der Funkturm-Sparte – das sind die Bieter
Ein Besuch in Mailand ist aus deutscher Perspektive wie eine Reise in die Zukunft. Die Wirtschaftsmetropole gilt als Vorreiter beim systematischen Ausrollen sogenannter Distributed Antenna Systems (DAS), ein System aus Hunderten kleinen Zusatzantennen, die das klassische Funkturmnetz ergänzen. In deutschen Großstädten gibt es das in diesem Umfang bisher nicht.
Dabei lösen die Kästchen gerade in hohen Gebäuden ein altes Problem von herkömmlichen Mobilfunkantennen. Ihre Strahlen decken unter ihnen liegende Gebiete wie Regenschirme ab.
Höher positionierte Smartphones geraten dabei in ein Dilemma, erklären Techniker: Zwar kommen dort Signale vieler Antennen an, bieten aber oft nur dürftigen Empfang.
Die Small Cells in den Gebäuden versenden deshalb eine Art Marker: Hey, funk im Zweifel lieber mich an. Meine Verbindung ist die beste.
Bei der Performance sind die Zellen den WLAN-Systemen in Gebäuden oft überlegen, zumal der nötige Login die Nutzer Zeit und Nerven kostet.
Maßgeblich für den Vorsprung Mailands war einerseits das lokale Small-Cell-Start-up Commscom, das früh auf die Technologie setzte. Andererseits haben Immobilienbesitzer und Kommune erkannt, dass eine leistungsfähige Mobilfunkversorgung Wettbewerbsvorteile bringt.
So stattete Cellnex, das Commscom 2017 aufgekauft hat, auch Teile der Metro und das Fußballstadion San Siro mit einer providerunabhängigen Infrastruktur aus. Alle vier italienischen Mobilfunkkonzerne können sie gegen Gebühr nutzen. Was sie in der Regel auch tun.
In der Folge ändern sich die Spielregeln der Branche. Eine hochwertige Netzabdeckung reift unter den Anbietern betriebswirtschaftlich zur Commodity, sie wird selbstverständlich. Der Wettbewerb spielt sich in dieser Welt noch stärker bei Preis, Service und Zusatzdiensten ab.
Auch wenn Marktführer Cellnex bei den Telekom-Türmen nicht zum Zug kommen sollte, läuft in Deutschland alles auf eine ähnliche Neuordnung hinaus. In diesem Fall nutzt die Mechanik des Kapitalmarkts auch den Kunden: Schon heute kooperierten die großen Anbieter immer öfter, sagt Olaf Riedel, Telekomberater bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. „Eine Investition, die sich alle teilen, ist heute in vielen Fällen wirtschaftlich sinnvoller.“
Die Berliner U-Bahn – noch so ein Schampunkt des deutschen Mobilfunks – wird etwa federführend von Telefónica Deutschland mit 5G versorgt. Vodafone und Telekom können über das Tunnelsystem dann ebenfalls funken.
Ob der Ausbau entlang der Zug- und U-Bahn-Strecken damit wirklich schneller vorangeht als an deutschen Fernstraßen, ist noch unklar. Sollte das Vorhaben gelingen, müssten deutsche Minister für Gespräche mit ausländischen Kollegen wohl bald auf die Schiene umsteigen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×