Frankreich verteidigt sich gegen den Vorwurf, man habe beim Ausbau des satellitenbasierten Internets die eigene Industrie bevorzugen wollen. Ganz ausräumen lässt sich der Verdacht aber nicht.
Trägerrakete von Isar Aerospace
Die „Spectrum“ ist eine in Entwicklung befindliche Trägerrakete des bayerischen Raumfahrtunternehmens. Sie ist für den Start von Kleinsatelliten vorgesehen. Ein erster Flug soll noch in diesem Jahr durchgeführt werden.
Bild: Isar Aerospace
Düsseldorf, Brüssel Die Pläne der Europäischen Union für ein neues Satellitennetzwerk konkretisieren sich. Das Satellitennetzwerk soll sicheres und schnelles Internet selbst in die entlegensten Regionen Europas bringen. Die EU will mit dem Projekt technologisch unabhängiger werden. Insbesondere in Deutschland wird das Programm auch als Chance gesehen, die junge private Raumfahrt zu stärken.
Jetzt steht fest: Bei dem Sechs-Milliarden-Euro-Programm soll ein Drittel des Auftragsvolumens an Start-ups sowie kleine und mittelständische Unternehmen gehen. Das gilt zumindest bei Unteraufträgen mit einem Volumen ab zehn Millionen Euro. Darauf haben sich die EU-Mitgliedsländer verständigt. Doch Politik und Start-up-Szene ob der Deal tatsächlich hält, was er verspricht.
Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach begrüßte die Quote: „Das ist ein gutes Signal gerade für die bayerische Luft- und Raumfahrtbranche“, sagte Gerlach und verwies auf zahlreiche „hochinnovative Start-ups“ und kleine Unternehmen aus ihrem Bundesland.
Hoffnungen auf Aufträge könnte sich unter anderem der Münchener Satellitenbauer Reflex Aerospace machen. Isar Aerospace aus München und Rocket Factory aus Augsburg entwickeln Raketen, die für Wartungsarbeiten geeignet wären. Mynaric aus München hat sich als Anbieter für Laserkommunikation in einem solchen Netzwerk positioniert.
Doch die Unternehmen äußern sich skeptisch: „Das Satellitenprogramm liest sich, als wäre es wieder einmal für die großen Unternehmen ausgelegt. Kleine Unternehmen sollen mit Unteraufträgen abgespeist werden“, sagt Daniel Metzler, Chef von Isar Aerospace.
Besser wäre es aus seiner Sicht, das Budget von vornherein aufzuteilen oder in einem Entwicklungswettbewerb alte und junge Unternehmen gegeneinander antreten zu lassen. In den USA erhalten bei solchen Verfahren zunächst mehrere Unternehmen den gleichen Auftrag. Erst an einem bestimmten Meilenstein wird entschieden, wer den gesamten Auftrag gewinnt.
Das neue EU-Satellitennetzwerk soll wie das von US-Milliardär Elon Musk aufgebaute Starlink für eine flächendeckende Versorgung mit Internetdiensten sorgen. In der Ukraine stellt Starlink derzeit sicher, dass heimische Soldaten auch an entlegenen Frontabschnitten mit Kommandeuren Daten austauschen können. In der Industrie ermöglicht es neue Geschäftsmodelle wie autonomes Fahren. Industrieexperten warnen vor einer Abhängigkeit von US-Anbietern.
Gebaut und betrieben werden soll das Netzwerk also auf jeden Fall. Doch die Frage bleibt: von wem? Vor allem EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton steht in Deutschland in Verdacht, etablierte Anbieter aus seiner Heimat Frankreich mit Aufträgen versorgen zu wollen – ein Vorwurf, den er zurückweist.
Auch das Engagement der französischen Ratspräsidentschaft verstärkte den Eindruck vorrangig nationaler Interessen. Raketenbauer Ariane Group und Satellitenhersteller Thales Alenia Space verfügen über beste Kontakte zu den Entscheidern in Paris und Brüssel.
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Deutschland und Italien hingegen machten sich mit einem Positionspapier für kleine und mittlere Unternehmen im Raumfahrtsektor stark. „Wir müssen unsere Kräfte in ganz Europa bündeln – und sicherstellen, dass deutsche und bayerische Unternehmen mitberücksichtigt werden“, sagte Bayerns Digitalministerin Gerlach dem Handelsblatt.
Zwar betont das Programm nun, „die Nutzung innovativer und disruptiver Technologien sowie neuer Geschäftsmodelle der New-Space-Unternehmen“ solle maximiert werden. Doch Start-up-Unternehmer wissen aus Erfahrung um die Schlupflöcher.
„Sehr positiv ist, dass die Bedeutung der von New-Space-Unternehmen entwickelten Innovationen so stark hervorgehoben wird“, sagt Thomas Grübler, der mit Ororatech Infrarotbilder aus dem All anbietet. „Die EU muss nun aber sicherstellen, dass die großen Systemhäuser die Zusammenarbeit mit New-Space-Unternehmen auch wirklich umsetzen.“
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Im Hintergrund verweisen mehrere Unternehmer auf frühere Quoten für Unteraufträge, etwa bei der Satellitenkonstellation Galileo. Oft würden Hauptauftragnehmer die Quote aushebeln, indem sie ihre Anforderungen so definierten, dass kein Start-up sie erfüllen könne.
Ein Punkt, an dem die französischen Interessen deutlich werden: Satelliten sollen „nach Möglichkeit“ vom Territorium der Mitgliedstaaten aus gelauncht werden. Konkret heißt das: vom französischen Überseedepartement Französisch-Guyana. Kein anderer Mitgliedstaat hat eine Startrampe. „Die Beschränkung ist semioptimal, da Frankreich erstens viele politische Hebel hat und zweitens die Möglichkeiten begrenzt wird, mehr Starts durchzuführen“, sagt Thomas Oehl, der mit seiner Wagniskapitalfirma Vsquared Ventures an mehreren New-Space-Unternehmen beteiligt ist.
Ähnlich äußert sich Raketenbauer Metzler: „Wenn nur von französischem Territorium aus gestartet werden darf, wäre das eine unnötige Selbstlimitierung.“ Er sieht es auch kritisch, dass Frankreich bei dieser Regelung gewissermaßen ein Vetorecht zukäme. Oehl und Metzler sprechen sich dafür aus, Starts von Norwegen aus gleichberechtigt zu ermöglichen.
Parallel zu den Mitgliedstaaten arbeitet derzeit das EU-Parlament seine Position aus. Der Grünen-Politiker Niklas Nienaß will sich dort dafür einsetzen, dass vor allem auch die europäischen Bürger profitieren und endlich überall Breitbandinternet verfügbar wird. Zudem soll der Dienst deutlich günstiger sein als Starlink.
„Der bisherige Vorschlag würde dies zwar zulassen, setzt aber keine expliziten Anreize. Das ist mir zu unkonkret“, sagt Nienaß. „Die Europäische Union darf nicht einfach nur hoffen, dass die Wirtschaft entsprechende Angebote auf den Weg bringt. Sie muss aktiv dafür sorgen.“
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