Viele junge Unternehmen sind in der Pandemie stark gewachsen und haben schnell Personal aufgebaut. Ihre Zukunftsprognosen waren teils zu optimistisch.
Infarm
Das Unternehmen musste zahlreiche Mitarbeiter entlassen.
Bild: imago images/IP3press
Berlin Am härtesten traf es in Deutschland die Angestellten des Berliner Gewächshaus-Start-ups Infarm. Die Verluste stiegen zuletzt, im Dezember entließ das Unternehmen dann mit rund 500 Mitarbeitenden etwa die Hälfte seiner Belegschaft.
Zwar sind die absoluten Zahlen im Vergleich zu Zehntausenden entlassenen Angestellten bei US-Unternehmen wie Google, Microsoft und Facebook deutlich geringer. Doch die Beispiele des mit über einer Milliarde US-Dollar bewerteten „Einhorns“ Infarm und einiger kleinerer Start-ups deuten darauf hin, dass die Entlassungswelle bei Start-ups jetzt auch Deutschland erreichen könnte.
Ob es bald auch bei den deutschen Jungunternehmen zu Massenentlassungen kommt, hängt davon ab, wie sich die Konjunktur und das Finanzierungsumfeld weiterentwickeln.
Die Branche wagt noch keine klaren Prognosen. „Die Einschnitte sind gravierender als zu Beginn der Coronapandemie“, sagt Daniel Breitinger vom Digitalbranchenverband Bitkom. Mehrere sich überlagernde Krisen zwischen gestörten Lieferketten, hohen Energie- und steigenden Verbraucherpreisen machten es schwer, zu sagen, „wie lange die Situation anhalten wird.“
Start-ups stellen in Erwartung eines starken Wachstums oft mehr Leute ein, als sie aktuell benötigen. Wenn sie dann langsamer wachsen als erhofft, kündigen sie die nun doch nicht benötigten Mitarbeiter wieder.
Denn viele Start-ups schreiben Verluste und finanzieren sich über Investorengelder. Haben sie bei sinkendem Wachstum zu hohe Personalkosten, geht ihnen bald das Geld aus und auch die Chancen auf weitere Investorengelder sinken.
Das Ende des Booms in der Coronapandemie hat nun bei vielen Jungunternehmen eine solche Situation ausgelöst. Sie kämpfen mit verschärftem Wettbewerb, Inflation und Lieferschwierigkeiten und müssen mit den eingesammelten Investorengeldern haushalten.
Das trifft aktuell neben Infarm vor allem einige kleinere Start-ups. So entließ der Berliner Menstruations-App-Anbieter Clue erst vergangene Woche mit mehr als 30 Mitarbeitern rund ein Viertel der Belegschaft, weil man zuvor zu viele neue Stellen geschaffen habe. Der Carsharing-Anbieter Share Now trennte sich von knapp 50 Angestellten – man wolle so schnell wie möglich profitabel und wirtschaftlich nachhaltig werden.
Im vergangenen Jahr bauten vor allem die deutschen Einhörner Personal ab, deren letzte Geldspritze bereits eine Weile zurücklag oder die in der aktuellen Krise nicht so schnell an frische Investorengelder kommen.
So unter anderem der E-Scooter-Anbieter Tier Mobility, der 2021 das letzte Mal Geld eingesammelt hat und dessen Markt hart umkämpft ist. Im Sommer 2022 kündigte das Unternehmen dann 180 Mitarbeitenden. Aktuell zählt Tier noch 1400 Beschäftigte. Nun will die Firma schnellstmöglich profitabel werden, sonst drohten weitere Streichungen.
Auch der Elektronikgeräte-Vermieter Grover entließ einem Bericht des Branchendiensts Layoffs.fyi kürzlich 40 Angestellte. Grover selbst nannte keine genauen Zahlen. Zu den Plänen für 2023 teilte das Unternehmen mit, es gebe „keinen generellen Einstellungsstopp“.
Das Logistik-Start-up Forto, wie Tier und Grover ein Einhorn aus Berlin, entließ im November zehn Prozent seiner Mitarbeiter. Inzwischen baut die Firma wieder langsam Personal auf.
Digitalunternehmerin Katharina Wolff sagt, die Tech-Unternehmen hätten „2021 zu viel eingestellt und genau diese Stellen sind jetzt wieder abgebaut worden. Das trägt zu einer langfristigen Gesundung der Branche bei.“ Auch die Unternehmen selbst sehen sich nach den Entlassungen nun gut aufgestellt.
Viele deutsche Einhörner bauen daher einer Handelsblatt-Umfrage zufolge aktuell sogar Personal auf. So hat der Solaranlagenvermieter Enpal aktuell 200 Stellen ausgeschrieben. Das Unternehmen bietet in einer eigenen Akademie zweiwöchige Schulungen für Photovoltaik-Monteure und Weiterbildungen für Elektriker an, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Allerdings hat die Solarfirma auch erst zum Jahresstart eine Finanzierungsrunde über 215 Millionen Euro gestemmt und kann daher Geld in den Stellenaufbau stecken – zudem ist Enpal anders als die meisten Einhörner profitabel.
Auch der Kölner Online-Übersetzer DeepL, der Anfang 2023 zum Einhorn aufstieg, steckt das eingesammelte Geld in den Personalaufbau – aktuell habe das Unternehmen weltweit rund 450 Beschäftigte, vor einem Jahr seien es noch etwa 250 gewesen. Für 2023 plane man einen weiteren Aufbau.
Entlassungen bei Start-ups
Auch in Deutschland bauen einige Jungunternehmen Personal ab. Noch ist unklar, ob eine ähnliche Entlassungswelle wie in den USA droht.
Bild: imago images/Ikon Images
Die Chemnitzer Softwarefirma Staffbase hat die Belegschaft im Jahr 2022 um 60 Prozent aufgestockt. Das Geschäft wachse weiter, sagt Firmenchef Martin Böhringer. Der Prozessmanagement-Software-Anbieter Celonis aus München hat aktuell 300 offene Stellen, der Wasserstoffspezialist Sunfire aus Dresden will rund 70 Stellen aufbauen.
Daniel Breitinger vom Branchenverband Bitkom rechnet dank der Diversifizierung und Professionalisierung in der Technologiebranche trotz der Krise ebenfalls mit weiterem Wachstum und sagt: „Die Chancen stehen gut, dass die, die entlassen wurden, bald bei einem solchen Unternehmen unterkommen.“
Einige Unternehmen wachsen daher nun vorsichtiger: Das Logistik-Start-up Sennder, der Fernbus-Anbieter Flix oder die Neobank N26 stellen gezielter ein und konzentrieren sich auf bestimmte Bereiche. Das Fintech Scalable Capital plant, basierend auf strategischen Prioritäten im laufenden Jahr rund 40 Stellen zu schaffen.
Der Personaldienstleister Personio möchte zwar ebenfalls noch 200 Stellen besetzen, nach 700 neuen Mitarbeitenden im Jahr 2022. Unternehmenschef Hanno Renner plant „aufgrund der unklaren ökonomischen Situation allerdings mit einem etwas langsameren Wachstum als in den Jahren zuvor.“
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