Michael Cassau will mit seinem Miet-Elektronik-Start-up Smartphones lange leben lassen. Der Markt für Gebrauchtwaren-Unternehmen wächst rasant.
Gemietetes Smartphone
Ressourcenmangel, die Wirtschaftslage und der Klimawandel: Viele Menschen kaufen sich wiederaufbereitete Elektronik oder mieten ihre Geräte im Monatsabo.
Bild: Grover
Düsseldorf Deutschland hat nun ein Einhorn der Kreislaufwirtschaft – also ein Start-up mit einer Milliardenbewertung. Das Berliner Start-up Grover hat 330 Millionen Euro an Eigen- und Fremdkapital von Investoren eingesammelt und ist seither mehr als eine Milliarde US-Dollar wert.
Das sogenannte Miet-Commerce bietet Elektronik wie Smartphones und Laptops zur Vermietung auf monatlicher Basis an. Das Geschäftsmodell gleicht den vielen Abo-Möglichkeiten zum Beispiel der Streamingdienste: Man mietet ein Handy oder einen Fernseher und kann sie monatlich wieder zurückgeben.
Die Devise von Gründer und CEO Michael Cassau: „Wir wollen Verfügbarkeit schaffen, statt übermäßigen Konsum fördern.“ Weg von einer „Wegwerfgesellschaft“, hin zu wiederholter, langer Nutzung von Produkten.
Angeführt hat die neue Finanzierungsrunde von Grover der Tech-Fonds Energy Impact Partners, neben einigen weiteren Investoren. Nazo Moosa, geschäftsführende Gesellschafterin bei Energy Impact Partners, hält den Markt für vielversprechend: „Das Geschäftsmodell passt zu den immer konkreter werdenden Regulatorien für die Kreislaufwirtschaft und dem Trend zu nachhaltigem Konsum.“
Gleichzeitig rechnet Annette Zimmermann, Smartphone-Expertin vom Marktanalyse-Institut Gartner mit einem leichten Rückgang des Absatzes von neuen Geräten aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Lage mit Krieg und Ressourcenmangel. „Außerdem werden viele Leute wegen der Inflation auf die Preise schauen wollen.“
Grover ist nur ein Anbieter im wachsenden Bereich der wiederverwerteten Elektronikprodukte. Auch die Marktplätze, die reparierte Handys und Notebooks anbieten, werden immer größer. Anbieter Back Market aus Frankreich, der auch in Deutschland immer weiter ausbaut, hat zu Beginn des Jahres die Fünf-Milliarden-Bewertung geknackt, nach einer Finanzierung von 450 Millionen Euro.
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Das österreichische Start-up Refurbed sammelte im August letzten Jahres 45 Millionen Euro ein. Beide Anbieter kooperieren mit Reparaturunternehmen und verkaufen refurbished – also wiederaufbereitete – Elektronik über ihre Plattform.
Die finnische Firma Swappie, die selbst Smartphones wiederaufbereitet und verkauft, bekam im Februar 108 Millionen Euro Wachstumskapital. Dazu kommt noch eine 200-Millionen-Euro-Finanzierung im Dezember 2021 für das Berliner Start-up Everphone, das ebenfalls ein Mietmodell, allerdings für Firmenhandys, geschaffen hat.
Der Trend lässt sich gut in Zahlen mit Smartphones darstellen: Die International Data Corporation (IDC) aus den USA prognostiziert den weltweiten Verkauf gebrauchter Smartphones für das Jahr 2024 auf knapp 352 Millionen Stück und rechnet mit einem Gesamtumsatz von 65 Milliarden Dollar. 2019 waren es noch 206 Millionen gebrauchte Handys.
Auch die EU-Politik liebäugelt mit einem langen Kreislauf für Elektronik, der „Aktionsplan für mehr Kreislaufwirtschaft“ stehe laut EU-Kommission im Mittelpunkt des Europäischen Grünen Deals, einem Fahrplan zur Klimaneutralität. Dieses Jahr soll noch ein Beschluss zum „Recht auf Reparatur“ dazukommen.
Damit will die EU Richtlinien für langlebige Elektronik schaffen. Seit 2021steht bereits eine Richtlinie: Haushaltsgeräte und Fernseher müssen so designt werden, dass sie reparierbar sind, ihre Baupläne müssen frei verfügbar sein. Der Beschluss für ein „Recht auf Reparatur“ soll auch den Elektroschrott in Europa reduzieren.
Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen: 10,5 Kilogramm Elektrogeräte landen pro Kopf pro Jahr in Deutschland im Müll. Zum Vergleich, das entspricht circa 75 iPhones des neuesten Modells. Weniger als 40 Prozent davon wird hierzulande jedoch recycelt, also wieder in den Materialkreislauf gebracht.
Firmen wie Grover, Refurbed und Back Market versprechen, einen Beitrag gegen Elektroschrott zu leisten. „Durch die Weitervermietung haben unsere Geräte einen viel längeren Lebenszyklus als Geräte, die gekauft werden“, sagt Cassau. „Bevor wir sie noch einmal vermieten, werden sie repariert, geputzt und upgedatet.“ Rund fünfmal wird bei Grover ein iPhone vermietet, sagt der Gründer.
Das Öko-Institut berechnete in einer Studie die durchschnittlichen Kohlenstoffemissionen für die Herstellung von Handys mit Nutzungsdauer von etwa zwei Jahren und kam auf etwa 100 Kilogramm (kg) CO2. Für ein Smartphone, das fünf Jahre genutzt wird, sind es laut dem Institut nur noch 20 kg CO2.
Zuletzt konnte Grover seine Umsatz-Run-Rate von 61 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 140 Millionen Euro im Jahr 2021 steigern. Mit dem frischen Geld will Cassau nun massiv Abo-Zahlen aufbauen und weiter in die USA expandieren. Derzeit hat das Unternehmen etwa 250.000 Kunden. „Die Nachfrage ist weit davon entfernt, ausgeschöpft zu sein“, schießt Cassau nach.
Thomas Antonioli und Michael Cassau
Die zwei Gründer des Elektronik-Vermietungs-Start-ups Grover haben 330 Millionen Euro eingesammelt.
Bild: Grover
Auch die Wiederaufbereitete-Elektronik-Marktplätze wollen immer weiter wachsen. Refurbed etwa konnte seinen Umsatz im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln. Nach eigenen Angaben erwirtschaftet Refurbed mehrere Hundert Millionen Euro im Außenumsatz. Genauer kann man im Shop von Refurbed wiederaufbereitete Handys und andere Elektronik kaufen, die laut CEO Kilian Kaminski bis zu 40 Prozent weniger kosten als ein Neugerät.
Ein iPhone 12 mit 64 Gigabyte Speicher bekommt man im Shop etwa 31 Prozent günstiger, Kostenpunkt: 547 Euro. Vor allem, dass die Produkte qualitativ hochwertig aufbereitet werden, ist dem Gründer Kaminski wichtig. „Wir wählen deshalb die Reparaturpartner genau aus.“
Back Market kam bereits vor acht Jahren auf den Markt und war einer der Ersten dieser Branche in Europa. Rund 1500 Partner reparieren heute elektronische Geräte für Back Market, die Kunden auf der Homepage kaufen können. „In Deutschland haben wir letztes Jahr auch die Buy-Back- und Swap-Optionen eingeführt“, sagt Mitgründer und Manager bei Back Market, Vianney Vaute.
Kunden können ihre alten Geräte bei dem Unternehmen also eintauschen oder verkaufen, damit sie dann wieder aufbereitet werden können. Vaute hofft, damit viele alte Geräte von Menschen, die sie zuhause lagern, wieder in den Kreislauf zu bringen. Weltweit verzeichnet der Marktplatz sechs Millionen Kunden. Für Deutschland plant das Start-up 60 Millionen Euro für den operativen Betrieb ein. Zudem soll die Größe des deutschen Teams verdreifacht werden.
Die Miet- und Refurbished-Anbieter haben aber nicht nur positive Klimaeffekte, sondern auch ein gemeinsames Problem: Zahlreiche Geräte, vor allem Smartphones können oft nach einer Lebensdauer von wenigen Jahren keine neue Software mehr erhalten. Die großen Hersteller gewährleisten irgendwann keine Updates mehr. „Die Hersteller zwingen somit die Kunden, Geräte auszutauschen, weil die Software nicht verlängert werden kann“, sagt Kaminski. „Der Gesetzgeber muss etwas ändern, oder Hersteller von sich aus agieren.“
In dem Entwurf der EU für das Recht auf Reparatur finden sich dazu zumindest Ansätze: Die Abgeordneten schreiben, dass „Software-Updates für einen Mindestzeitraum verfügbar gemacht werden müssen“. Die Politiker schlagen vor: Wenn sich Hersteller nicht daran halten, sollen sie wegen „unlauterer Geschäftspraktiken“ auf eine schwarze Liste gesetzt werden können.
Und dann ist da noch das Problem, was mit dem Gerät passiert, wenn es nicht mehr erneuert werden kann: Wer recycelt es? Christina Dornack ist Direktorin am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Technischen Universität Dresden und sieht in den derzeitigen Geschäftsmodellen eher eine Verlängerung der Nutzung der Elektronik, aber noch keine geschlossene Kreislaufwirtschaft.
Oft sei es auch nach Lebensende eines wiederaufbereiteten Smartphones nicht mehr möglich, alle Bauteile anderswo zu verwerten. Wenn Rohstoffe in einem Smartphone nur etwa einen Euro wert seien, dann „ist kein Aufbereitungsprozess hinterher wirtschaftlich“, sagt die Professorin. „Primärrohstoffe sind noch viel zu billig.“
Laut Cassau zum Beispiel gibt Grover irreparable Geräte derzeit an andere Re-Commerce Unternehmen weiter, die deren Teile weiterverwenden können. Aktiv recyceln kann das Unternehmen noch nicht. „Aber wir arbeiten daran“, sagt Cassau.
Konkurrenz bekommen die wachsenden Start-ups zunehmend auch von großen Herstellern. Die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete etwa Ende März mit Berufung auf Insiderkreise, dass Apple Ende dieses Jahres ein Hardware-Miet-Modell starten werde. Dornack sieht die Konkurrenz jedenfalls positiv: „Wenn es diese Angebote an vielen Stellen gibt, denken Leute eher darüber nach, da mitzumachen.“
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