Europas Aufholjagd bei den Halbleitern greift zu kurz: Zum Testen und Verpacken müssen die Halbleiter noch immer nach Fernost. Doch es gibt eine bislang kaum beachtete Lösung.
Backend-Fertigung
Verpacken und Testen von Chips: Infineon investiert in Europa.
Bild: Infineon
München Es ist eine Sensation, von der kaum jemand Notiz nimmt: Infineon fährt gerade ein neues Werk fürs Testen und Verpacken von Chips in Ungarn hoch. Eine derartige Backend-Fabrik ist in Europa eine Seltenheit. Meist fliegen die Konzerne die Halbleiter für die personalintensive Weiterverarbeitung nach Fernost.
Der Neubau vor den Toren von Budapest dürfe kein Einzelfall bleiben, sagen Experten. Sonst sei die von der EU ausgerufene Aufholjagd bei den Halbleitern zum Scheitern verurteilt. Es reiche nicht, sich auf milliardenschwere sogenannte Frontend-Werke zu konzentrieren, wie sie Intel etwa in Magdeburg errichten will, betont Peter Fintl, Halbleiterexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini. „Europa muss sich um die gesamte Wertschöpfungskette kümmern, von Rohmaterial und Werkzeugen über Design bis zur Herstellung.“
Im Frühjahr hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, Europas Anteil an der weltweiten Chipproduktion bis Ende des Jahrzehnts auf 20 Prozent zu verdoppeln. Seither haben einige Firmen angekündigt, neue Frontend-Fertigungen zu errichten. Sie sind der Kern der Halbleiterproduktion.
Die meist räumlich getrennte Weiterverarbeitung hingegen bleibt bislang auf der Strecke. Intel hat zwar Anfang des Jahres versprochen, eine Backend-Fabrik in Italien zu bauen. Noch sind die Verträge aber nicht unterschrieben.
Dabei werde das Testen und Verpacken immer wichtiger, betont Alan Priestley, Chip-Analyst beim Marktforscher Gartner. Schon beim Design der Chips würden sich die Entwickler überlegen, wie sie sich dadurch vom Wettbewerb absetzen könnten.
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Wie abhängig Europa beim Backend von Asien ist, zeigte sich auf dem Höhepunkt der Coronapandemie. Da fehlte Europas führenden Chipkonzernen der dringend benötigte Nachschub, weil Fabriken in Malaysia wegen der lokalen Lockdowns wochenlang allenfalls nur mit halber Kraft arbeiten konnten. Das südostasiatische Land steht für 13 Prozent der weltweiten Backend-Produktion.
Damit nicht genug: China erobert immer mehr Marktanteile beim Testen und Verpacken der Chips. Das Land setze erfolgreich auf Übernahmen, um in dem Geschäft zu wachsen – und auch, um unabhängiger vom Westen zu werden, so die Experten von Accenture.
Doch die Abnehmer zweifeln zunehmend an der Liefertreue Chinas. Wegen der zahllosen Lockdowns in der Volksrepublik verzögern sich viele Bestellungen. Zudem steigt das Risiko eines politischen Konflikts zwischen dem Westen und China.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) drängt seit Monaten darauf, die europäische Chipindustrie zu stärken, mit mäßigem Erfolg. BDI-Präsident Siegfried Russwurm bekräftigte zu Wochenbeginn erneut seine Forderung: „Für die Produktion und Entwicklung der Halbleiter braucht es Technologiekompetenz und eigene Produktionskapazitäten genauso wie mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung.“ Das maschinelle Lernen, Künstliche Intelligenz und darauf aufbauende Anwendungen lassen sich laut Russwurm nur mit leistungsfähigen Halbleitern umsetzen.
Infineon-Chips
Leistungshalbleiter von Infineon: Die Bauelemente werden im neuen Werk in Ungarn verpackt.
Bild: dpa
Die Bundesregierung hat das durchaus erkannt und versucht, ausländische Investoren aus allen Bereichen der Chipbranche anzulocken. Bislang allerdings hat sich von den internationalen Konzernen nur Intel entschlossen, in Deutschland zu bauen.
Max Milbredt von der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest sagt: „Interessant für Deutschland sind neben dem Frontend insbesondere die neuen Chipmaterialien Galliumnitrid und Siliziumkarbid. Wir bemühen uns aber auch um Chipdesigner sowie um Investitionen in die Backend-Fertigung, also das Verpacken und Testen von Halbleitern.“
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Die Zeit drängt, schon seit gut zwei Jahren kämpfen viele Chiphersteller mit der Auftragsflut. Vor allem Autochips sind knapp.
Angesichts der anhaltenden Engpässe würden sich immer mehr Abnehmer dafür interessieren, woher die Bauteile stammen, sagt Sascha Bütterling vom Lieferketten-Spezialisten Supplyframe. „Die Käufer erklären das gerade zum Qualitätsmerkmal.“ Auch die zunehmenden geopolitischen Spannungen würden die Kunden beunruhigen. Je näher die Fertigung an die Abnehmer heranrücke, umso besser – so das Kalkül.
Allerdings ist Europa vergleichsweise teuer. Die Folgen des Ukrainekriegs haben die Lage zuletzt noch verschärft. Die Energiekosten seien bei der Standortwahl der Chipproduzenten ein entscheidender Faktor, erklärt Bütterling. Viele Länder in Asien seien günstiger. Auch die derzeit unsichere Strom- und Gasversorgung macht Investitionen in Europa unattraktiv. Damit nicht genug: „Die Personalkosten sind in Asien nach wie vor deutlich geringer“, so der Experte.
Alexander Gorski, Chef der Backend-Fertigung von Infineon, hält dagegen: Die Löhne in Ungarn seien niedriger als in China, beteuert der Manager. Knapp ein Drittel der firmeneigenen Backend-Kapazitäten unterhalte Deutschlands größter Halbleiterhersteller in Europa.
Allerdings: Infineon testet und verpackt nur etwa 60 Prozent seiner Chips selbst. Den Rest übernehmen Lieferanten, unter anderem aus Taiwan und den USA. Damit liegt der Anteil der Fremdfertiger im Backend deutlich über dem im Frontend, was nicht zuletzt mit den arbeitsintensiven und damit teuren Abläufen zu tun hat.
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Die mit Abstand größten Backend-Standorte betreibt indes auch Infineon nicht in Europa, sondern in Malaysia und Indonesien. Dort expandieren die Münchener kräftig, und daran wird sich so schnell nichts ändern: Es gehe darum, Skalenvorteile zu erzielen, so Gorski.
Gleichwohl, Infineon schaue sich weltweit nach neuen Backend-Standorten um. In Europa ist das eher schwierig, denn es fehlen die Arbeitskräfte. So holt Gorski derzeit 35 Mitarbeiter aus der Fabrik in Indonesien nach Ungarn, um die dortige Produktion sicherzustellen. Falls die Leute sich wohlfühlen, sollen ihnen weitere Fachkräfte aus Asien folgen.
Womöglich liegt die Lösung für Europa gar nicht darin, innerhalb der EU neue Fabriken zu bauen; sondern eine Region für die Chipindustrie zu erschließen, die sowohl günstig als auch nah bei den Kunden ist. Berater Fintl: „Europa sollte sich überlegen, Afrika stärker einzubeziehen. Marokko und Tunesien könnten attraktive Standorte für die Chipbranche werden.“
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