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30.01.2023

13:59

Lieferprobleme

Start-up Sand & Silicon hilft bei Chipmangel und Überbeständen

Von: Joachim Hofer

In der Not bestellen Kunden per SMS: Noureddine Seddiki nutzte die Halbleiterkrise zum Start in ein lukratives Geschäft. Jetzt will er auch an vollen Lagern mitverdienen.

Bauelemente auf einer Leiterplatte: Halbleitermangel bis 2030. Reuters

Chips

Bauelemente auf einer Leiterplatte: Halbleitermangel bis 2030.

Frankfurt Der Zeitpunkt war ideal, als Noureddine Seddiki im Frühjahr 2021 mit seiner Brokerfirma Sand & Silicon an den Start ging. Weltweit rissen sich Unternehmen während der Coronapandemie um die knappen Halbleiter. Der Zwischenhändler für Chips habe verzweifelten Einkäufern mehr als einmal in höchster Not helfen können, berichtet Seddiki.

Ihren Höhepunkt hat die Halbleiterkrise inzwischen überschritten. Trotzdem ist dem Unternehmer um sein Start-up nicht bange. „Engpässe wird es bis 2030 geben“, sagt der Betriebswirt voraus. Die derzeit geplanten neuen Chipwerke würden nicht ausreichen, um die steigende Nachfrage zu befriedigen.

Noch etwas stimmt den gebürtigen Frankfurter Seddiki zuversichtlich: Er verdient auch an vollen Lagern. Der 38-Jährige hilft Betrieben, Überbestände zu Geld zu machen. Das wird in diesen Tagen zu einem lohnenden Geschäft.

So manche Firma habe in den vergangenen Monaten zu viele Chips eingekauft aus Angst, nicht genug zu bekommen, weiß Seddiki. Nun würden die üppigen Vorräte die Bilanz belasten.

Zwölf Mitarbeiter zählt Sand & Silicon nach knapp zwei Jahren. „Wir sind schneller gewachsen, als ich gedacht habe“, meint Seddiki. Dabei konkurriert das Start-up mit Hunderten Brokern, die Elektronikteile rund um den Globus hin und her schieben. Häufig sind dies Firmen aus Fernost oder den USA.

Sand & Silicon rettet Konzerne in der Lieferkrise

Seddiki versteht sich indes als vertrauenswürdiger Partner für die Industrie im deutschsprachigen Raum. Das Konzept scheint zu funktionieren. Zunächst habe er Kleinbetriebe im Visier gehabt, erläutert er. Sein erster Kunde sei dann aber ein global tätiges Medizintechnik-Unternehmen gewesen. Inzwischen stünden viele große Abnehmer in der Kartei.

So auch Dormakaba. Der Spezialist für Systeme zur Zutrittskontrolle aus der Schweiz kam mithilfe des Start-ups nach eigenen Angaben gut durch die Chipflaute. Beschaffungsmanager Gabriel Strickler lobt den „unabhängigen Distributor, der sowohl schnell und flexibel als auch zu fairen Preisen arbeitet“. Das Start-up habe dafür gesorgt, dass Dormakaba weiterhin wettbewerbsfähig produzieren konnte. Der Konzern beschäftigt 16.000 Mitarbeitende und erzielte zuletzt einen Umsatz von 2,8 Milliarden Franken.

Unternehmen wenden sich meist dann an Broker, wenn sie über ihre üblichen Kanäle keine Bauteile bekommen. Große Kunden wie Bosch, Continental oder ZF beziehen Chips normalerweise direkt bei den Herstellern.

Kleinere Abnehmer kaufen bei sogenannten Distributoren ein. Größter deutscher Distributor ist Rutronik mit rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz. Die Distributoren unterhalten direkte Vertragsbeziehungen zu den Halbleiterproduzenten und sind zum Teil riesige Konzerne wie Arrow oder Avnet aus den USA.

Fertigung beim Elektronik-Spezialisten Katek: Broker als unerlässliche Helfer in der Not. Katek SE

Elektronik-Produktion

Fertigung beim Elektronik-Spezialisten Katek: Broker als unerlässliche Helfer in der Not.

Broker sind flexibler. Sie kaufen bei anderen Brokern, bedienen sich aus Überbeständen und legen mitunter selbst Ware auf Lager, wenn sie meinen, dass die Technik eines Tages gefragt sein könnte.

„Das Tinder des Bauteilemarkts“

Bei den Distributoren Future Electronics und Arrow hat Seddiki sein Handwerk gelernt. Zuletzt war er in Frankfurt für Converge tätig, den konzerneigenen Broker von Arrow. Die vielen Kontakte, die der Vater von drei Kindern währenddessen geknüpft hat, sind jetzt sein größtes Kapital.

Rainer Koppitz, Chef des börsennotierten Elektronikproduzenten Katek, sagt: „Broker sind enorm wichtig in einem schwierigen Marktumfeld, wie es die letzten achtzehn Monate bestand.“ Katek produziert Elektronik unter anderem für die Autoindustrie, für die Energieversorgung und die Hersteller von Medizintechnik.

Es sind zahlreiche Chip-Werke in Planung und auch im Bau. Bis die Fabriken aber laufen, dauert es Jahre. Albert Waas von der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group

Broker seien so etwas wie „das Tinder des Bauteilemarkts“, findet der Manager. Ohne sie gäbe es viel weniger „Matches“, die richtigen Partner würden nicht zusammenfinden, also Unternehmen mit Überbeständen und jene, denen es an Bauelementen fehle.

Seddiki und sein Team meinen zu wissen, bei wem sie anrufen müssen, um irgendwo auf der Erde Halbleiter zu bekommen, die anderswo vergriffen sind. Sie seien zudem bekannt für ihre guten Preise, behauptet der Unternehmer: „Wir sind überwiegend die Günstigsten.“ Nachprüfen lässt sich das nicht. Auch zum Umsatz macht er keine Angaben. Im ersten Jahr sei es ein einstelliger Millionenbetrag gewesen, der sich 2022 vervierfacht habe.

Klar ist jedoch, dass es Broker auch in Zukunft braucht. Die von der Pandemie ausgelösten Lieferengpässe sind zwar in einigen Bereichen vorüber. Speicherchips und Prozessoren für Computer sind massenhaft verfügbar.

Doch die in Deutschland besonders wichtigen Autochips sind zum Teil weiter knapp. Daran werde sich so schnell nichts ändern, sagt Albert Waas von der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG): „Es sind zahlreiche Werke in Planung und auch im Bau. Bis die Fabriken aber laufen, dauert es Jahre.“

Bestellt wird häufig per SMS

Wenn sich unter Druck geratene Firmen bei Seddiki melden, dann ist meistens der Einkauf dran. Mitunter habe er aber auch Vertriebler am Apparat, die um ihre Verkaufsziele fürchten und selbst die benötigten Bauteile auftreiben wollen.

Habe Sand & Silicon die Chips schließlich an der Hand, gehe es häufig ganz schnell: „Oft bekomme ich die Antwort auf ein Angebot per SMS.“ Die Kunden hätten Angst, dass die knappe Ware schon vergriffen sei, wenn sie auch nur eine E-Mail schreiben.

Seddiki beteuert, dass er stets nur Originalteile liefere. Das garantiere er durch ein unabhängiges Testunternehmen, das die Chips unter die Lupe nehme. Für die Kunden von Brokern ist dies ein wichtiger Aspekt. „Die schlechtesten Erfahrungen haben wir mit Brokern gemacht, bei denen unsere Kunden aus purer Not und ohne ausreichende Qualitätssicherung direkt zugekauft haben“, sagt Katek-Chef Koppitz.

Katek selbst habe bislang aber keine Qualitätsprobleme beim Einkauf über Broker gehabt. Dafür sorgten strenge Verträge, verpflichtende Tests bei den Brokern selbst und eine gründliche Prüfung im Wareneingang.

Nun will Seddiki weiter expandieren. Noch im Frühjahr soll ein eigenes Büro in Dubai öffnen.

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