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13.02.2023

17:46

Marktmacht

Türsteher Google: Deutsches Reise-Start-up kämpft gegen den Tech-Konzern vor Gericht

Von: Philipp Alvares de Souza Soares, Larissa Holzki

Ein deutsches Reiseunternehmen darf plötzlich keine Anzeigen bei Google mehr schalten. Seitdem liegt das Geschäft am Boden. Ein Verdacht: Google will das Geschäftsfeld künftig selbst besetzen.

Google triebt die Entwicklung der eigenen Mobilitätsdienste voran. BMW

Android Auto

Google triebt die Entwicklung der eigenen Mobilitätsdienste voran.

Hamburg, Düsseldorf Google ist einer der mächtigsten Türsteher der Welt. Die Suchmaschine entscheidet maßgeblich darüber, wer im Internet gefunden wird – und wer nicht. Dies gilt erst recht für das populäre Werbeprodukt Ads: Wer hier keine Anzeigen schalten darf, geht schnell unter. So bestimmt der Konzern auch über Wohl und Wehe ganzer Geschäftsmodelle.

Ein Hamburger Gerichtsverfahren (Az.: 415 HKO 5/23), von dem das Handelsblatt erfuhr, zeigt, was es konkret für Folgen hat, wenn Google von seiner Macht Gebrauch macht. Die Auseinandersetzung gibt einen detaillierten Einblick in das Vorgehen des Suchmaschinenanbieters.

In seinem jüngsten Urteil von Anfang Februar folgte das Landgericht zwar weitestgehend der Argumentation von Googles Anwälten. Die Kläger haben jedoch bereits Berufung eingelegt. Auch darüber hinaus stellt sich die Frage, wie fair der Konzern mit seinen Kunden umgeht – und ob er seine Dominanz nicht womöglich zur Beförderung eigener Pläne missbraucht. In diesem Fall: der Expansion im Markt für digitale Mobilitätsdienste, in den Google etwa mit seinem Betriebssystem Android Auto vordringt.

Jan Martin Kofoet und Tobias Hübner, Gründer und Geschäftsführer des Onlinedienstleisters Barely Digital, bekamen ihre Abhängigkeit von Google-Anzeigen abrupt zu spüren. Am 19. Oktober sperrte Google ihr Konto für das Werbeprodukt Ads – und stellte das Geschäft der beiden Unternehmer damit plötzlich kalt. Die Umsätze sind eigenen Angaben zufolge seitdem um etwa 80 Prozent eingebrochen.

Kofoet und Hübner verdienen ihr Geld unter anderem mit dem Vertrieb von E-Vignetten. Ihre Kunden können zum Beispiel per Smartphone die Mautgebühr für ungarische oder tschechische Autobahnen entrichten.

Außerdem betreiben sie ein Portal, das Bahnkunden dabei unterstützt, Entschädigungen für verspätete Zugreisen einzutreiben. Im Erfolgsfall wird dann eine Provision fällig.

Die beiden Marken Vintrica (Vignetten) und Fahrkartenerstattung.de setzen dabei vor allem auf Google-Anzeigen. Wenn jemand nach Autobahnvignetten oder Entschädigungen der Bahn suchte, wurden ihre Angebote in der Regel relativ weit oben angezeigt und so zu ihnen gelockt. Dazu boten Kofoet und Hübner bei Google Ads viel Geld auf relevante Suchwortkombinationen wie „Vignette“ und „Ungarn“.

Barely Digital zahlte vier Millionen für Anzeigen – dann sperrte Google das Konto

Googles Vorwurf: Mit ihren Anzeigen hätten die Unternehmer gegen die Richtlinie „Umgehung von Systemen“ verstoßen. Wirklich nachvollziehbar war der Vorwurf mangels Begründung indes nicht.

Kofoet und Hübner legten umgehend Widerspruch ein und setzten sich mithilfe ihrer Anwälte zur Wehr. Schließlich waren sie seit 2018 Kunde Googles und hatten dort allein in den zwölf Monaten vor der Sperrung rund vier Millionen Euro für Anzeigen ausgegeben. Das geht aus Gerichtsdokumenten hervor, die dem Handelsblatt vorliegen.

Google wurde auf Barely Digital aufmerksam und nahm das Unternehmen im Sommer 2021 in das sogenannte „Google Accelerated Growth Team“ für „beschleunigtes Wachstum“ auf. Der Deal: Google stellte den beiden Unternehmern Betreuer an die Seite, um das Geschäft zu verbessern. Im Gegenzug verpflichtete sich Barely Digital, innerhalb von drei Monaten einen mittleren sechsstelligen Betrag für Google-Werbung auszugeben.

Teil der Sonderbetreuung war eine Art Finetuning der Anzeigen durch Google-Mitarbeiter. Das heißt: Google wusste nicht nur, was die Firma in ihre Anzeigen schrieb. Es schrieb und übersetzte diese Anzeigen sogar selbst mit.

Trotzdem lehnte Google nur etwas mehr als ein Jahr später die Barely-Digital-Anzeigen als regelwidrig ab. Das kam offenbar auch den Hamburger Richtern seltsam vor. Per einstweiliger Verfügung verpflichtete die Kammer Google kurz vor Weihnachten zur Entsperrung des Kontos.

Wussten Google-Mitarbeiter nicht, was in den eigenen Regeln steht?

Doch Google scheint es ein ernstes Anliegen zu sein, die Vignetten-Werbung zu unterbinden. Nun berief sich der Konzern plötzlich auf eine andere Passage seiner Bedingungen: die osDD-Richtlinie. Sie untersagt Google-Kunden, Werbung für Dienstleistungen zu platzieren, „die auch direkt bei einer Behörde oder einem staatlich beauftragten Unternehmen erhältlich sind“. Das ist bei Vignetten prinzipiell der Fall.

Auffällig ist, dass auch die osDD-Richtlinie bereits 2020 eingeführt wurde, also schon existierte, als Google ein Jahr später mit Verve Barely Digitals Maut-Anzeigen aufhübschen wollte.

So wurde vor Gericht eines Besseren belehrt, wer glaubte, dass Googles Vertriebsmitarbeiter nur regelkonforme Anzeigen vermarkten oder optimieren. „Das Verhalten von Mitarbeitern aus dem Sales-Bereich“ könne nicht als „konkludente Vertragserklärung“ gewertet werden, hieß es etwas sperrig von Googles Anwälten. Es sei klargestellt worden, dass „lediglich Empfehlungen ausgesprochen würden“.

Wussten die Mitarbeiter also womöglich gar nicht, was in den eigenen Regeln steht? Das bleibt auch auf Anfrage offen.

Schwer nachvollziehbar ist zudem, warum Google Barely Digital noch im November 2021 in eine Präsentation über besonders erfolgreiche Anzeigenkunden aufnehmen wollte und das Unternehmen zu zusätzlichen Youtube-Anzeigen ermutigt wurde. Die erfolgreiche Videoplattform gehört ebenfalls zu Google.

Google teilt zu dem Fall auf Anfrage mit, dass man es derzeit „nur Regierungen oder von ihnen beauftragten Anbietern“ erlaube, „für offizielle Dokumente oder Dienstleistungen zu werben“.

US-Konzern treibt eigene Mobilitätsdienste voran

Kofoet und Hübner haben für Googles Stimmungswandel nur eine Erklärung: Sie glauben, dass der Konzern bald in einem seiner eigenen Dienste E-Vignetten anbieten will. Konkret unterstellten sie dem Konzern, über die App Maps eine Schnittstelle schaffen zu wollen, über die künftig nur die Autobahnbetreiber ihre Vignetten verkaufen können. In Ländern wie den USA werden dort Mautpreise bereits angezeigt. Bahntickets oder Taxifahrten vermittelt der Konzern über Maps bereits. Unplausibel ist die These also nicht.

Google ließ dies von einem seiner zuständigen US-Juristen vor Gericht bestreiten. Offen bleibt indes, ob das auch für Produkte wie Android Auto oder die Navigation Waze gilt, die in der Zentrale in Mountain View derzeit mit besonders viel Nachdruck vorangetrieben werden. Es liegt nahe, dass Google hier an Komfortfunktionen wie einer digitalen Mautentrichtung arbeitet. Auf Anfrage des Handelsblatts wollte sich der Konzern nicht zu diesem Verdacht äußern.

Die Geschäftsführer von Barely Digital wehren sich mittels Anwalt gegen die Werbesperre durch Google.

Tobias Hübner (links) und Jan Kofoet

Die Geschäftsführer von Barely Digital wehren sich mittels Anwalt gegen die Werbesperre durch Google.

Andere Unternehmen wie Holiday Check, Booking.com oder Idealo haben Google in der Vergangenheit ähnliche Vorwürfe gemacht wie Kofoet und Hübner. Der Tenor: Google missbrauche seine Dominanz zum eigenen Vorteil.

Erst im vergangenen Herbst hat ein Gericht eine Milliardenstrafe der EU-Kommission bestätigt, die Google aufgrund von illegalen Praktiken bei seinem Handybetriebssystem Android auferlegt wurde. Es ging Google darum, die Marktmacht seiner Suchmaschine zu festigen.

Interessant ist der Fall Barely Digital auch deshalb, weil Google argumentiert, dass es mit der Richtlinie seine Nutzer schützen will. Die sollen nicht arglos in überteuerte Angebote gelockt werden – erst recht, wenn es um hoheitliche Dienstleistungen geht.

Barely Digital fordert Gebühr von Nutzern

Denn der Konzern hat mit seiner überarbeiteten Richtlinie grundsätzlich einen Punkt: Ein Mittelsmann wie Barely Digital bietet Kunden nur wenig Mehrwert. Die Vignetten gibt es online günstiger unmittelbar beim Autobahnbetreiber, und Entschädigungen bearbeitet die Bahn direkt ebenfalls gebührenfrei. Landet ein Suchender jedoch bei Kofoet und Hübner, muss er zusätzlich eine Gebühr oder Provision berappen.

Tatsächlich fordert Barely Digital nach eigenen Angaben im Schnitt 16 Prozent des Vignettenpreises als Gebühr. Wer etwa zehn Tage über ungarische Autobahnen fahren will, zahlt 14,18 Euro für die Vignette und 2,42 Euro „Dienstleistungsentgelt“ obendrauf – im Wesentlichen für die Übersetzung in viele Sprachen und Zusatzdienste wie eine Erinnerung, dass die Vignette abläuft.

Nutzt der Tech-Konzern seine Marktmacht gegenüber anderen Onlinefirmen aus? imago/Future Image

Logo der Firma Google

Nutzt der Tech-Konzern seine Marktmacht gegenüber anderen Onlinefirmen aus?

Es gibt Verbraucherschützer, die darin ein Problem sehen, da der Unterschied zum offiziellen Original nicht sofort offensichtlich ist. Google hat also zumindest prinzipiell ein berechtigtes Interesse, seine Nutzer und damit den eigenen Ruf zu schützen. Dem Konzern zufolge geht es etwa darum, unnötige Kosten zu vermeiden.

Aber wo liegt genau die Grenze zwischen Irreführung und legitimen Angeboten? Schließlich sind Gebühren oder Provisionen von Vermittlern staatlicher Dienstleistungen wie Kfz-Zulassungen oder Lottoscheinen nicht ungewöhnlich.

Unscharfe Regeln lassen viel Spielraum

Die kartellrechtlichen Hürden für eine Sperrung von legalen Angeboten seien „relativ hoch“, sagt Fabian Stancke, Professor an der Brunswick European Law School. Googles Richtlinien müssten „eindeutig sein und dürfen Einzelangebote nicht diskriminieren“, sagt Stancke.

Die Unschärfe mancher Regeln lässt Google bisweilen sehr viel Spielraum. In einem anderen Fall, in dem es ebenfalls um die osDD-Richtlinie ging, sah das Frankfurter Landgericht (Az.: 2-03 O 58/22) im vergangenen Jahr einen „Marktmissbrauch“ durch Google. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

In den USA wirft die Bundesregierung dem Konzern im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor, mit seinen Werbeprodukten „mit Absicht eine irreführende Blackbox“ geschaffen zu haben, „in der Google die Regeln für Auktionen zum eigenen Vorteil setzt“.

Barely-Digital-Anwalt Christopher Unseld spricht von einer „grenzenlosen Regelsetzungsmacht“ bei dem Suchmaschinenkonzern, der mehr als 90 Prozent Marktanteil hat. Kollege Philipp Westerhoff sieht in dem Urteil einen „Freifahrtschein für Google, ohne Rücksicht auf die Belange der Vertragspartner und ohne drohende Konsequenzen von heute auf morgen die Spielregeln zu ändern“.

Das Hanseatische Oberlandesgericht wird sich nun wohl bald ebenfalls dazu äußern müssen.

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